"Sie hoffen, dass wir einfach verschwinden!

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Christen in islamischen Ländern: Vor allem im Orient werden sie zwischen fanatischen Islamisten und westlichem Überheblichkeits-und Großmachtdenken zerrieben.

Wir sind eine sterbende Gemeinde." Verzweifelt appelliert Raed Mualem, Präsident des Mar Elias Universitäts-Campus in Ibillin, Galiläa, an den Vatikan, die christlich-arabische Gemeinde in Israel zu retten. Der israelische Staat hätte die arabisch-christlichen Mitbürger über die Jahrzehnte so sträflich vernachlässigt und ignoriert, dass die Gemeinden in alarmierender Geschwindigkeit ihre Kraft verlieren. "Es gibt keine direkte Verbindung zwischen dem Westen und der Gemeinde, die eine wichtige Brücke zu Frieden und Toleranz bilden kann."

"So viele Menschen hier hoffen, dass wir einfach verschwinden", fasst ein christlicher Palästinenser die Situation seiner Glaubensbrüder in Jerusalem, Betlehem, Hebron zusammen. In der Wiege des Christentums werde bald nichts mehr übrigbleiben als die leeren heiligen Stätten. Ein Blick in die Statistik bestätigt große Ängste, die die Christen des Mittleren Ostens quälen und in die Emigration treiben. In Jerusalem lebten 1967 rund 27.000 Christen. Ihre Zahl ist heute auf weniger als 7000 zusammengeschrumpft.

Emigration als letzter Ausweg

Dieses Bild präsentiert sich im gesamten Mittleren Osten. Selbst in Jordanien, wo die Christen vom Staat geschützt werden wie kaum sonstwo in der arabischen Welt, wo sie sogar in der Armee die höchsten Ränge erreichen können, nimmt die Emigration drastische Ausmaße an. Hält die gegenwärtige Entwicklung an, wird es bis 2025 nur noch sechs Millionen Christen im Mittleren Osten geben, die Hälfte ihrer jetzigen Zahl.

Die Gründe für diese Entwicklung sind im gesamten Orient dieselben. Die christlichen Minderheiten werden zerrieben in den Konflikten zwischen fanatischen Islamisten auf der einen, wenig reflektierter westlicher Großmachtpolitik, sowie mangelndem Respekt und all zu geringem Verständnis für die andere Kultur im Abendland auf der anderen Seite. Viele Muslime, insbesondere Radikale, identifizieren die Christen des Orients mit dem verhassten Westen, zu dessen Religion sich diese Minderheit bekennt und für dessen Werte sie deshalb weit mehr Verständnis findet, als die muslimischen Mitbürger. So sind die Christen im Orient häufig dem Vorwurf ausgesetzt, sie seien eine "fünfte Kolonne" des Westens. In Wahrheit aber haben die arabischen Christen westliche Großmacht-und Hegemonialpolitik, so auch die amerikanische Besatzung des Iraks, mehrheitlich zurückgewiesen.

Fünfte Kolonne des Westens

"Es ist ein Einzelfall", versucht der türkische Außenminister Abdulla Gül den Mord an einem katholischen Priester in Trabzon herunterzuspielen. In der durch den Konflikt über die dänischen Mohammed-Karikaturen aufgeheizten Atmosphäre hatten fanatisierte Jugendliche den Geistlichen hingemetzelt. Ein anderer Priester entging in Izmir in einem ähnlichen Zwischenfall knapp dem Tod. Auch im Libanon versuchten bei Massendemonstrationen gegen die Karikaturen Fanatiker ihren Zorn gegen christliche Ziele zu richten. Ebenso gibt es im Irak eine Welle von Attacken gegen Christen in Zusammenhang mit dem Karikaturen-Streit. Dabei zeigen führende Christen in diesem Konflikt offen Verständnis für die verletzten Gefühle ihrer muslimischen Mitbürger.

Im Iran steht die kleine, überwiegend armenische, Gemeinde der Christen unter Druck wie seit vielen Jahren nicht mehr. Die insbesondere seit der Wahl des radikalen Islamisten Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten verschärfte Atmosphäre wurde durch den Karikaturen-Streit und den Atomkonflikt mit dem Westen noch weiter aufgeheizt. Die Repression der Christen hatten schon in der letzten Phase der Präsidentschaft Mohammed Khatamis mit Verhaftungen von christlichen Führern und Geistlichen zugenommen. Nun hat Ahmadinedschad die Bürgermeister des Landes in einer einzigartigen Aktion beauftragt, alle christlichen Zellen zu zerschlagen.

Kein Blut von Unschuldigen

Auch in Ägypten, wo mehr als sieben Millionen Kopten - die größte christliche Gemeinde der arabischen Welt - leben, wachsen Intoleranz in der Gesellschaft und damit Feindseligkeiten zwischen der zunehmend radikalisierten muslimischen Mehrheit und den Christen. Gewaltsame, von jungen islamischen Fanatikern provozierte Zusammenstöße mit Christen wegen eines Theaterstücks in Alexandria vergangenen November alarmierten selbst das Regime so sehr, dass Präsident Mubarak islamische Gelehrte zu einem "religiösen Gedankenaustausch mit den Christen" aufrief, um "Intrigen und Konflikte" zu beenden und "Ägyptens Stabilität und nationale Einheit zu bewahre: Lehrt die jungen Menschen, dass die Gesetze des Himmels verbieten, das Blut von Unschuldigen zu vergießen", mahnte der Präsident islamische Geistliche.

Gegenseitige Entfremdung

Die großen Stimmgewinne der Moslembrüder bei Parlamentswahlen Ende des Vorjahres haben die Ängste unter den Kopten vor der Zukunft gesteigert, siegte diese als gemäßigt geltende Bewegung doch mit dem Slogan "Islam ist die Lösung". Mehr und mehr beherrschen Radikale - auf beiden Seiten - die öffentliche Diskussion. In "Chatrooms" im Internet ist der Austausch von Beleidigungen zwischen Muslimen und Kopten schon Routine. Die Ironisierung von Muslimen werde unter Kopten immer häufiger, beklagen Muslime. Auch christliche Satellitensender - so etwa der in Zypern stationierte und unter Kopten zunehmend populäre Sender "Al Hayat" - vermitteln immer wieder Intoleranz gegenüber Andersgläubigen. Die große Mehrheit der gemäßigten Muslime und Kopten, die sich traditionell durch gegenseitige Toleranz auszeichnet, erhebt viel zu selten ihre Stimme, während die beiden Religionsgemeinschaften immer mehr auseinanderdriften.

Nicht nur aufgrund des wachsenden islamischen Fundamentalismus, auch wegen der ineffizienten öffentlichen Dienstleistungen wenden sich immer mehr Muslime an die Moscheen und - seit kurzem auch immer mehr Christen an die Kirchen um Hilfe. "So entfremden sich die beiden Gemeinden zunehmend. Das ist eine sehr gefährliche Situation", warnt Mounir Fakhry Abdel Nour, ehemaliger Parlamentarier und Kopte. Zunehmend fühlen sich die Kopten aber auch durch den Staat nicht mehr ausreichend geschützt. Immer wieder schreiten die Behörden bei physischen Attacken gegen Christen nicht ein, bleiben Täter unbestraft. Die Angst sitzt tief.

Wichtige Vermittlerrolle

"Die Christen" des Orients "leiden unter einem psychologischen Trauma als Folge des zunehmenden Fanatismus und Fundamentalismus - des muslimischen, christlichen und jüdischen", sagt der palästinensische Bischof Ria Abu el Assal. Weder der Westen, noch liberale Kreise des Orients hätten sich für den Schutz dieser gefährdeten Minderheit und deren Rechte eingesetzt. Dabei, so der palästinensische Menschenrechts-Anwalt Jonathan Kuttab, werden heute die Christen des Orients durch ihr Verständnis der orientalischen, wie der westlichen Kultur "dringender denn je als Vermittler in einem Konflikt" mit dem Abendland gebraucht, der gefährliche Ausmaße annehmen könnte.

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