"Sie können sich auf der Bühne austoben“

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Martin Schwab im Gespräch über sich als Schauspieler, die Rolle des Theaters und die Zusammenarbeit mit Größen wie Peymann oder Zadek.

Martin Schwab, 1937 in Möckmühl/Baden Württemberg geboren, debütierte 1986 am Burgtheater; seit 1987 ist er festes Ensemblemitglied, seit 2009 Ehrenmitglied. Bekannt wurde er u.a. bei den Salzburger Festspielen als Darsteller in zeitgenössischen Stücken. Er begleitete zahlreiche Uraufführungen, darunter Werke von Thomas Bernhard, Peter Handke und Elfriede Jelinek. Sein Werdegang war nicht unbedingt vorgezeichnet, viele seiner Vorfahren waren Pfarrer, Lehrer oder Weinbauern; erst nach einer Ausbildung zum Chemiekaufmann studierte er von 1959 bis 1961 Schauspiel an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin.

Die Furche: Wo kommt die Notwendigkeit her, Schauspieler zu werden?

Martin Schwab: Es gibt diejenigen, die aus Schauspielerfamilien kommen, die sind so erzogen worden und sehen auch so aus. Die haben etwas, da sagt jeder: Ja, der muss Schauspieler werden. Dann gibt es etwas, das würde ich für mich in Anspruch nehmen, das kommt aus dem Schwäbischen, aus der protestantischen Linie heraus, von dem Goethe sagt, dass zwischen Pfarrer und Komödiant kein großer Unterschied ist. Wenn ich mich frage, warum ich Schauspieler geworden bin, dann weiß ich, dass ich das schon immer wollte. Schon während der vorpubertären Zeit wollte ich immer aus mir herauskommen dürfen. Das hat man von der Erziehung her nicht, wo es auf Formen und Rücksichtnahmen ankommt. Auf der Bühne müssen Sie nicht Rücksicht nehmen, Sie können sich auf der Bühne austoben. Der Schutz der Bühne ist ja der Schutz vor bösen Geistern. Nach meiner Ansicht muss ein Schauspieler nicht zum Psychiater, er kann sich austoben, loslassen, er kann spielerisch agieren.

Die Furche: Wie stelle ich mir die Zeit vor, als Sie auf dem Sprung waren, Schauspieler zu werden. Die Adenauer-Ära haben wir verstaubt und restaurativ im Gedächtnis.

Schwab: Das sind ja Begriffe, die man rückwirkend sagt. Während man da drin war, hat man nicht gesagt, ich bin in einer festgezurrten Ära. Ich würde nie sagen, die Zeit war eine restaurative. Natürlich kam später, in den Sechzigern, der Anspruch, gegen den Muff unter den Talaren vorzugehen. Und es gehörte zu meiner Zeit des Aufbruchs der Drang, gegen die älteren Intendanten anzugehen, die noch ihre Zeit verteidigt haben. In Ulm gab es einen sehr guten Intendanten, der nicht verstehen konnte, wie ein junger Regisseur "Egmont“ inszeniert hat. In einer Szene geht Egmont auf die Toilette und zieht sich um, kommt spanisch wieder und sagt zu seinem Klärchen: "Ich versprach dir doch einmal, spanisch zu kommen.“ Da brach für den Intendanten alles zusammen: Mein Egmont geht nicht aufs Klo. Und wofür tritt man heute ein? Man ist nur noch mit sich selber beschäftigt. Mit den eigenen Befindlichkeiten. Oder tiefere Gefühle, weil man die nicht begründen kann, werden lächerlich gemacht.

Die Furche: Sie haben den Politisierungsschub mitgemacht. Ist das eine Schubkraft, die anhält?

Schwab: Ja. Im Sinn von Günter Eich, man soll Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt sein. Thomas Bernhard sagt, dass es auf die Irritation ankommt. Wir sind nicht dazu da, den Leuten eine Gefälligkeit zu erweisen. Das Theater ist keine Gefälligkeitsanstalt. Gerade in der heutigen Zeit. Ich bin ein begeisterter Komiker, aber die Komik muss aus einer tiefen Wurzel, aus einer Verzweiflung kommen oder aus einer bösen Absicht wie bei Karl Valentin.

Die Furche: Ist das Theater heute nicht wieder drauf und dran, eine Gefälligkeitsanstalt zu werden?

Schwab: Es ist es zum Teil schon.

Die Furche: Das Quotendenken spielt eine Rolle.

Schwab: Genau. Das ist aufgrund der gedeckelten Zuschüsse von Gemeinden und Ländern so wichtig geworden. Dass damit ein Kulturauftrag verloren geht oder dass der damit schwer durchzusetzen ist, ist die Folge. Wenn man an einem subventionierten Theater ist wie an der Burg muss man auch Autoren durchsetzen, die nicht gleich die Einschaltquote erfüllen. In Stuttgart haben wir Botho Strauß durchgesetzt. Langsam gingen dann doch die Schwaben rein, auch wenn sie fanden, dass die Handlung nicht ersichtlich sei. Handke ist auch so ein Fall. Da hörte man den Vorwurf, der sei doch zum Lesen bestimmt, nicht für die Bühne. Gert Jonke, Elfriede Jelinek, Peter Turrini, die gehören alle in diese Kategorie.

Die Furche: Hauptsächlich Österreicher.

Schwab: Ja, ich bin ein Piefke, der wie kein Österreicher viele österreichische Autoren uraufgeführt hat.

Die Furche: Sie haben auch in der Regie mit großen Namen gearbeitet, Peymann natürlich.

Schwab: Theaterleute sind immer begeistert vom Fußball. Das ist ja ein Mannschaftsspiel, die Hierarchie im Fußball ist wie im Theater. Es gibt den Präsidenten, der engagiert den Trainer, der setzt die Spieler ein. Auf das Theater umgelegt haben wir den Intendanten, der besetzt den Regisseur, und der besetzt die Schauspieler. Dann sagt ein Schauspieler wie ein Stürmer: eigentlich bin ich rechts außen, muss aber links außen spielen. Diese Streitereien gibt es im Fußball wie im Theater.

Die Furche: Damit wenden Sie sich gegen das Theater der Mitbestimmung, wie es die 68er gefordert haben.

Schwab: Das geht natürlich nicht. Auf meinem Schiff bin ich Kapitän. Natürlich geht es nie so weit, dass ein Regisseur sagt: Du nimmst die Tasse in dieser Szene hoch. So etwas habe ich nie erlebt. Selbst bei Hans Hollmann, der sehr genau wusste, wie eine Szene auszusehen hat, hatte man seine Freiheiten. Bei Zadek waren die Freiheiten grenzenlos, obwohl er schon genau wusste, wo er eine Szene hinhaben wollte. Mit seiner bösen Ironie konnte er einem schon Wahrheiten sagen. Dann gibt es die ganz sensiblen, geliebte Regisseure wie Klaus Michael Grüber.

Die Furche: Und Peymann ist der Macho?

Schwab: Nein, der tut nur so oder spielt sich was vor. Aber wenn er herumtobt, meint er immer auch sich, wenn er herumtobt, nicht findet, was er sucht, nicht begreifen will. Wenn da steht: Gib mir die Milch, dann fragt er: Was heißt das. Eben, gib mir mal die Milch. Peymann: Das weiß ich schon selber. Davon lassen sich viele einschüchtern, deshalb sind die Peymann-Aufführungen selten bei der Premiere gut. Jeder fühlt sich noch unter der Knute, zu jedem hat er etwas Verletzendes gesagt, keiner ist richtig frei. Wenn es aber einmal läuft und wenn man den Rhythmus gefunden hat, den Peymann ja auch nicht beherrscht hat - bei ihm war alles gleich, alles gleich wichtig -, dann waren die Aufführungen richtig gut. Das zwingt den Schauspieler mitzudenken und nicht nur über seine Emotionen zu spielen.

Die Furche: Das sind alles unberechenbare Menschen.

Schwab: Peter Zadek hat zu mir einmal gesagt: Ich beobachte dich schon seit vierzehn Tagen, du bist ein wunderbarer Schauspieler, deshalb arbeitest du ja auch bei mir. Aber lass doch mal das Peymannsche Kindertheater. Ich erschrocken: Was? Kindertheater? Und er: Du weißt ganz genau. Wenn du sagst, ich habe Kopfweh, dann fasst du dich an den Kopf, wenn du sagst, ich habe Bauchweh, dann fasst du dich an den Bauch. Sag doch einmal: Ich hab Kopfweh und fass dich an den Arsch. So ist das Leben. Oder ich hab mich mit Peymannscher Gründlichkeit auf eine Szene bei Shakespeare vorbereitet, und meinte, da stimmt doch etwas nicht, das klingt so gleichmäßig, da sind doch viel mehr Brüche drin. Und Zadek: Du kannst die Szene spielen, wie du willst, die ist völlig unwichtig. Shakespeare hat sie nur geschrieben, mit sich Porcia inzwischen umziehen kann. Darum geht es. Nicht alle Szenen sind gleich wichtig.

Die Furche: Filme hatten nie die gleiche Bedeutung wie das Theater für Sie?

Schwab: Gelegenheit macht Diebe. Ich war ja lange bei Peymann, ich konnte da gar nicht weg. Es gab keinen Urlaub während der Spielzeit für einen Film. Gegen Ende der siebziger Jahre habe ich zwei oder dreimal "Tatort“ gespielt. Nicht nur den dritten Kommissar, sondern den Fall. Dann noch ein paar literarische Sachen beim WDR. Ich hätte mich schon verführen lassen, aber es hatte nicht sollen sein. Ich bin ein großer Freund von Kino.

Martin Schwab liest aus "Buddenbrooks“ von Thomas Mann Doris Linder spielt am Klavier Wagner

6. August, 19.30 Uhr

Stadttheater Gmunden

www.festwochen-gmunden.at

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