Sie lehrte Nixon das Fürchten

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Auf Beobachtungsposten im Zentrum politischer Orkane: Die Erinnerungen der Zeitungsherausgeberin Katharine Graham.

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Auf Beobachtungsposten im Zentrum politischer Orkane: Die Erinnerungen der Zeitungsherausgeberin Katharine Graham.

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Katharine Graham sagte: "Wir drucken!" und legte auf. Die zwei Worte, gesprochen am 17. Juni 1971 in Washington, machten US-Geschichte, Zeitungsgeschichte. Es ging um den Abdruck der geheimen Pentagon-Papiere, deren Veröffentlichung Präsident Nixon unter allen Umständen verhindern wollte. Die spontan getroffene Entscheidung Grahams, die seit September 1963 Verlegerin der "Washington Post" war, ist eine Schlüsselstelle ihrer Erinnerungen: "Wir drucken!"

Das Buch ist ihr stark angeschwollen. Trotzdem fasziniert es. Es ist eine Familiensaga, kaum weniger dramatisch als die erfundene in "Vom Winde verweht". Es ist die Geschichte einer Frau, die sich nie um "die Geschäfte" gekümmert hatte und sich alles eher zugetraut hätte als die Führung eines Medienkonzerns. Nach dem Selbstmord ihres Mannes in einem manisch-depressiven Schub nahm sie von einem Tag auf den anderen das Steuer in die Hand. Es ist die Geschichte einer kaum beachteten Zeitung, die sich, nachdem Katharines Vater 1933 das Konkurs-Unternehmen erworben und saniert hatte, langsam aber sicher zur politischen und moralischen Instanz mauserte. Nicht zuletzt erfährt man eine Menge über das Funktionieren des politischen Systems der USA, Verhaltensweisen ihrer Oberschicht, die schwierigen Beziehungen zwischen Politik und Medien, darüber, wie Amerikas Reiche leben - und über die Unabhängigkeit amerikanischer Richter.

Die Verlegerin wollte auf einer Geburtstagsparty gerade eine kurze Ansprache halten, als jemand sie am Ärmel zupfte: Sie werde am Telefon verlangt. Sie sei mit ihrer Rede gleich fertig. Nein, sofort. In der "Washington Post" rückte der Drucktermin für die entscheidende Ausgabe näher. Ein New Yorker Gericht hatte der "New York Times" befohlen, den Abdruck der Pentagon-Papiere sofort abzubrechen. Sie enthielten Aufschlüsse über die Vorgeschichte des Vietnamkrieges, deren Veröffentlichung eine Bloßstellung der amerikanischen Politik bedeutete. Die "Post" hatte die Dokumente bis dahin aus der "Times" zitiert und mit eigenen Kommentaren versehen. Einen Tag zuvor waren auch ihr Fotokopien der wichtigsten Abschnitte, Tausende Seiten, zugespielt worden.

Damit strebte der Konflikt zwischen Nixon und den ihm zutiefst verhaßten Medien dem Höhepunkt zu. Es ging aber auch um die Existenz der "Washington Post". Der mühsam aufgebauten Redaktion drohte ein innerer Konflikt, wenn die Zeitung klein beigab. Während der juristische Berater meinte: "Wenn du mich fragst, ich würd's wahrscheinlich nicht tun", schalteten sich Redakteure von ihren Nebenstellen in das Gespräch ein und beschworen die Verlegerin, inzwischen habe sich herumgesprochen, daß die "Post" die Papiere besitze, alle Augen seien nun auf sie gerichtet. Drei Monate lang hatte die "New York Times" alle Eventualitäten erwogen, bis sie sich entschloß, das Risiko der Veröffentlichung auf sich zu nehmen. Katharine Graham mußte sich binnen Minuten entscheiden. Hin- und hergerissen rief sie ins Telefon: "Macht es, macht es, macht es! Wir drucken!"

Das Justizministerium reagierte sofort und forderte eine einstweilige Verfügung. Die ersten Exemplare wurden bereits ausgeliefert, als Richter Gesell es um 20.05 Uhr ablehnte, den Druck zu stoppen. Fünfeinviertel Stunden später hob die Revisionsinstanz seinen Spruch auf, untersagte den weiteren Abdruck und beauftragte den Richter, zwei Tage später neu zu verhandeln. Weitere 50 Minuten später gestand sie zu, da auf den Straßen bereits Tausende Exemplare verkauft worden waren, gelte die Verfügung erst für den nächsten Tag.

Einer von 29 Richtern Gesell war ein standhafter Richter. Er befahl den Vertretern des Justizministeriums, die zehn wichtigsten Punkte auszuwählen, deren Veröffentlichung dem Land schaden würde. Als sie ihm mit der Forderung kamen, die Anhörung müsse unter Ausschluß der Beklagten stattfinden, sagte er: "So führen wir kein ordnungsgemäßes Verfahren. Dann wird Ihre Klage sofort abgewiesen. Dann halte ich nicht einmal eine mündliche Verhandlung ab." Sie sollten im Weißen Haus oder wo immer anrufen und dies mitteilen.

Gesell ließ die Regierung wieder abblitzen. Die Revisionsinstanz gab ihm wieder Kontra und setzte für den übernächsten Tag eine Verhandlung des Appellationssenats an. Dieser befand, die "Post" habe zwar das verfassungsmäßige Recht, mit ihrer Serie fortzufahren, hielt die einstweilige Verfügung aber aufrecht, um eine Revision zu ermöglichen. Drei Tage später ließ sich das höchste Gericht die Akten vorlegen und entschied, um die Gleichbehandlung der beiden Zeitungen sicherzustellen, die "Washington Post" dürfe bis zur endgültigen Entscheidung den Abdruck der Dokumente nicht fortsetzen. Zum erstenmal in der Geschichte der USA unterband der Supreme Court die Veröffentlichung eines Zeitungsartikels. Am nächsten Tag, einem Samstag, verhandelte er beide Verfahren und am folgenden Mittwoch, 30. Juni, verkündete Chief Justice Warren Burger das mit sechs zu drei Stimmen gefällte Urteil: Die Regierung sei der "schwerwiegenden Beweislast", die Veröffentlichung gefährde die nationale Sicherheit, nicht gerecht geworden. Beide Zeitungen durften ihre Veröffentlichung fortsetzen. Gesell meinte nach seiner Pensionierung, sollte man sich je eine Inschrift für seinen Grabstein überlegen, käme folgende in Frage: Von 29 Richtern, die mit den Pentagon-Papieren befaßt waren, war er der einzige, der die Druckerpresse keine Minute anhielt.

Die Pressionen der Nixon-Administration hörten auch nach dem Urteil nicht auf. Nun ließ der stellvertretende Justizminister die Herausgeberin wissen, man werde strafrechtlich vorgehen. Er drohte mit Regelungen, "die den Besitz von Radio- und Fernsehstationen nach einer Verurteilung wegen bestimmten Vergehen ausschlossen" (der "Washington Post" gehörte ein Fernsehsender), außerdem müsse die Zeitung in ihren Börseneinführungsprospekt einen Hinweis aufnehmen, daß ein Strafverfahren gegen sie anhängig sei.

Sie hatte erreicht, was seit Jahrzehnten ihr Traum gewesen war: In einem Atem mit der "New York Times" genannt zu werden. Gemeinsam hatten sie einen Musterfall für die Freiheit der Presse durchgekämpft. Das ist Zeitungsgeschichte. In die US-Geschichte aber ging der Fall als Auftakt zum Watergate-Skandal und zum Sturz Präsident Nixons ein, der hier nicht weiter ausgebreitet werden muß. Zwei Reporter der "Washington Post", Bernstein und Woodward, deckten auf, daß republikanische Agenten in das demokratische Wahlkampf-Hauptquartier im Watergate-Building eingebrochen waren und daß Präsident Nixon dies wußte. Sie setzten damit eine Ereigniskette in Gang, die Eigengesetzlichkeit gewann, bis sich Nixon nur noch durch seinen Rücktritt vor der Amtsenthebung retten konnte.

Den Spitznamen einer Eisernen Lady erwarb sich Katharine Graham freilich endgültig erst 1975, als sie - wochenlang selbst als Packerin mithelfend - einen monatelangen Druckerstreik durchstand und sich weigerte, jene Gewerkschaftsmitglieder, die schwere Schäden an den Druckmaschinen angerichtet hatten, wieder einzustellen. Die von der Druckergewerkschaft provozierte Kraftprobe ging letztlich nach hinten los: Nachher arbeiteten statt 17 nur noch acht bis zehn Drucker an jeder Maschine - bei höherer Druckgeschwindigkeit, wodurch sich die Anschaffung einer weiteren Druckmaschine erübrigte.

"Atlas des Lebens" Historische, auch in Europa zur Kenntnis genommene Ereignisse. Doch als Autobiographie einer klugen und mutigen Frau in einer Männerwelt ist das Buch nicht minder interessant, auch wenn sie fallweise sehr ins Detail geht und uns minder Wichtiges bis hin zu den Einzelheiten des einen oder anderen Kleides nicht erspart. Die Romanze ihrer Mutter mit Thomas Mann hingegen ist ein kleines psychologisches Kabinettstück.

Katharine Grahams Großvater war ein jüdischer Einwanderer, der in seinem kleinen Laden nachts mit geladener Pistole die eiserne Kasse mit dem für seine Kunden verwahrten Geld bewachte und vom kleinen Händler zum Bankier aufstieg. Der Vater: Ein Mann, der auf eigenen Füßen stehen wollte, die Familie verließ und, ebenfalls als Bankier, seinen "Atlas des Lebens" verwirklichte: Im ersten Lebensdrittel lernen, was man braucht, es im zweiten anwenden und Geld verdienen und im dritten mit dem Geld etwas anfangen, was nicht nur einem selber nützt. Sein Lieblingsbruder war einer jener reichen Passagiere der "Titanic", die ihre Familie ins Boot brachten und auf dem Schiff zurückblieben. Eugene Meyer selbst erwarb sagenhaften Reichtum, wurde später oberster Währungshüter der USA und verstand den Kauf der "Washington Post" als Erfüllung eines alten Wunsches. Er hatte finanziellen Atem und Geduld für eine lange Durststrecke, engagierte die besten Leitartikler und Reporter, die er bekommen konnte und machte nicht die Summen, die er zuschießen mußte, sondern das steigende Ansehen seiner Zeitung zum Gradmesser des Erfolges.

Die Eltern waren überzeugte Republikaner und Roosevelt-Gegner, Katharine und ihr Mann ebenso überzeugte Roosevelt-Anhänger, was aber den Familienfrieden nie störte. Katharines Mann Phil Graham stammte aus Florida und aus einer Familie mit starken antisemitischen Vorurteilen (auch über den US-Antisemitismus erfährt man einiges), er muß ein verlegerisches Naturtalent gewesen sein, gewann schnell Eugene Meyers Vertrauen, wurde von ihm zu seinem Nachfolger aufgebaut und kaufte später auch das Magazin "Newsweek". Er mischte (ganz anders als später seine Frau) gern in der Politik mit, beteiligte sich an den Bemühungen, John F. Kennedy zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu machen, er war ein Mann mit Charisma und wurde von der Mannschaft der "Washington Post" angebetet. Katharine Graham hatte es in den ersten Jahren schwer, sich durchzusetzen, vermied später aber, was sie für einen Fehler in jedem Familienbetrieb hielt, überließ ihren Chefsessel rechtzeitig ihrem Sohn Don und beschränkte sich darauf, interessante Persönlichkeiten zu interviewen.

Don Graham qualifizierte sich für die Leitung der Zeitung und später des Konzerns nicht nur in allen möglichen untergeordneten Funktionen vom Anzeigenwerber bis zum Sportreporter. Er bestand auch darauf, als gewöhnlicher Streifenpolizist in Washington zu arbeiten, um etwas von jenem Leben mitzubekommen, über das die Zeitung täglich schreibt.

Wir drucken! Die Chefin der "Washington Post" erzählt die Geschichte ihres Lebens. Von Katharine Graham. Kindler Verlag, München 1999. 704 Seiten, Fotos, Ln., öS 496,- E 36,04

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