Sie sprechen, doch sie sagen nichts

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Zum 100. Geburtstag von Ödön von Horváth, Chronist und Analytiker seiner Zeit, der mit seinen Figuren litt und um ihre Sprachlosigkeit wusste.

Kurz vor seinem Tod hatte Ödön von Horváth ein neues Buch begonnen. Es sollte "Adieu Europa" heißen, ein Titel, wie er kaum besser zu Leben und Werk dieses urösterreichischen Schriftstellers gepasst hätte. Dabei war er von seiner Herkunft her kein Österreicher. Er wurde als Sohn eines Diplomaten am 9. Dezember 1901, also noch in der k. u. k. Monarchie geboren, im damaligen Fiume, dem heutigen Rijeka, kam noch als Baby mit seinen Eltern nach Belgrad und schließlich nach Budapest, wo er seinen ersten Unterricht in ungarischer Sprache erhielt. Nach seinen eigenen Worten war das Ergebnis, dass er "keine Sprache ganz beherrschte". Erst mit vierzehn Jahren schrieb er den ersten deutschen Satz.

Doch steht gerade seine Sprache in einer wesentlich österreichischen Tradition, mit Hofmannsthals "Chandos-Brief" und Wittgensteins Sprachkritik. "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" schreibt Wittgenstein. Horváths Menschen sprechen, doch sie sagen nichts. Sie benützen Floskeln und Phrasen, errichten sprachliche Barrieren statt sie niederzureißen.

Horváth kam1919 nach Wien und wandte sich nach der Matura nach München. Dort lernte er, gerade 19 Jahre alt, den Komponisten und Verfasser von Pantomimen Siegfried Kallenberg kennen, der ihn zum "Buch der Tänze" animierte und es auch vertonte. Diese Arbeit wurde konzertant aufgeführt, die erste Verbindung von Horváth'schem Text mit Musik. Später wurde diese Verbindung ein wesentliches Element in seinen "Geschichten aus dem Wienerwald", in die an die dreißig bekannte Lieder eingearbeitet sind. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass diese Lieder in ihrem Leichtsinn und ihrer Frivolität auf musikalischer Ebene die Sprachunfähigkeit der Menschen illustrieren: Je tragischer die Konflikte werden, umso "fescher" klingen die Melodien.

Im Jahr 1929 kam für Horváth der Durchbruch als Dramatiker mit der Uraufführung seines Stückes "Die Bergbahn" in Berlin. Noch im selben Jahr - er hatte eine Denkschrift zur Justizkrise gelesen - wurde sein Stück "Sladek der schwarze Reichswehrmann" in einer Matinee aufgeführt und provozierte heftige Angriffe der sich damals schon stark fühlenden Nationalsozialisten. Es sollte nicht sein einziger Konflikt mit ihnen bleiben. Seine Stücke standen zu sehr im Gegensatz zum "deutschen Menschen", wie ihn die Ideologie zeichnete. Er schildert kleine Leute, die sich an jeden Funken Hoffnung klammern und an ihren Sorgen zerbrechen, keine Helden, keine Kämpfer für Führer und Vaterland. Das war auch der Grund, warum 1933 Heinz Hilpert in Göttingen gezwungen wurde, die geplante Uraufführung von "Glaube Liebe Hoffnung" abzusetzen, auch keine andere deutsche Bühne wagte sich mehr an diesen Autor.

Im selben Jahr wurde das Haus der Eltern Horváths in Murnau von der SA durchsucht. Horváth verließ Deutschland und lebte in Henndorf bei Salzburg und in Wien. In der Schweiz, in Wien, in Prag wurden seine Stücke gespielt, im Herbst 1937 erschien bei Albert de Lange sein Roman "Jugend ohne Gott" und wurde zu einem außerordentlichen Erfolg. Doch bald führten finanzielle Sorgen, gepaart mit künstlerischer Unzufriedenheit zu starken Depressionen, und als im März 1938 viele seiner Freunde aus der "Ostmark" flüchteten, verließ auch Horváth dieses ihm nun so fremd gewordene Land.

Über mehrere Zwischenstationen kam er nach Paris. Dort traf er am 1. Juni 1938 den Regisseur Robert Siodmak, der "Jugend ohne Gott" verfilmen wollte. Am Nachmittag dieses Tages besuchte er eine Vorstellung von Walt Disneys "Schneewittchen" im Cinéma Champs Elysées. Auf dem Heimweg kam ein Windstoß auf und knickte eine Kastanie am Rond Point. Ein Ast traf Horváth ins Genick, er war tot. Zum Begräbnis kamen seine alten Eltern, sein Bruder und seine Braut Wera Liessem, das Ehepaar Zuckmayer, Franz und Alma Werfel, Josef Roth und Robert Siodmak standen an seinem Grab auf dem Friedhof St.Ouen.

In Wien begann die eigentliche Horváth- Pflege im Dezember 1945 mit einer Aufführung von "Der jüngste Tag" in der Josefstadt, im Volkstheater führte 1948 "Geschichten aus dem Wienerwald" zu einem Theaterskandal. Der Reihe nach folgten die Wiener Bühnen "Don Juan kommt aus dem Krieg" wurde am Theater der Courage gespielt. In Graz wurde 1969 "Zur schönen Aussicht" uraufgeführt, das letzte Horváth-Stück, das dem Publikum noch unbekannt war. Regisseur war Fritz Zecha, der damit eine viel beachtete Serie von Horváth-Aufführungen einleitete. Mittlerweile gibt es Horváth-Gesellschaften, Dissertationen werden verfasst, Übersetzungen in alle Kultursprachen sind selbstverständlich. Er war Chronist und Analytiker seiner Zeit, er litt mit seinen Menschen, er wusste um ihre Sprachlosigkeit. Er war auch von den Grenzen des Autors überzeugt: "Wer also ehrlich Menschen zu gestalten versucht, wird wohl immer nur Spiegelbilder gestalten können."

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