Siebter Teil der Furche-Serie über Kaffeehäuser: "Die Verflossenen"

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Die Globalisierungsfalle schnappt zu - auch in Wien. Zwei Kaffeehäuser sind der Pizza-Hut Kette gewichen, ein anderes einem Wettpunktcafe.

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Die Globalisierungsfalle schnappt zu - auch in Wien. Zwei Kaffeehäuser sind der Pizza-Hut Kette gewichen, ein anderes einem Wettpunktcafe.

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Das Kaffeehaus und Wien gehören zusammen wie der Schlag und die Sachertorte. Weicht ein Kaffeehaus einem Pizza-Hut Lokal, kann der Wiener nur trauern. Das Jammern ums verlorene Stammkaffee kommt der ostösterreichischen Mentalität sehr entgegen.

Das klassische Kaffeehaus hat ja immer ein bißchen etwas Trauriges an sich. Weil die Zeit aber nicht stehen bleibt, und einige Cafetiers im heldenhaftem Kampf um die puritanische Tradition der Sache die veränderten Publikumsbedürfnisse nicht wahrgenommen haben, mußten sie den Marktgesetzen weichen und Konkurs anmelden.

Wien hat damit ein paar wirkliche Kaffeehausinstitutionen der alten, verschlissenen Art verloren. Eine davon war das Cafe Haag. Statt einem stimmungsvollen Gastgarten, der im Sommer Schatten spendet, und einer samtroten Bankgarnitur, aus der bisweilen schon die Metallfedern am Sitzfleisch wetzen, strömt nun Pizzaduft aus der Retorte über die Schottengasse. Dicke, geschmacklose, genormte Pizzaeinheiten in penetrant buntem Interieur ersetzen Wiener Kaffeehauskultur durch das austauschbare Flair einer internationalen Ausspeisungskette.

Dabei waren sowohl das "Haag", als auch das Cafe in der Karlsplatzpassage zwei ganz unterschiedliche Vertreter der Spezies "Kaffeehaus." Traditionsbewußt und gediegen in der Schottengasse gelegen, bevölkerte das "Haag" einen kaffeehausmäßig betrachtet beinahe toten Winkel der Stadt. Für Jusstudenten, Schottenschüler und alle, die sich nach der Hauptunivorlesung auf der inneren Seite des Rings treffen wollten, war das "Haag" erste Adresse. Zwar lag das Preisniveau im Vergleich zum gebotenen hoch, auch die Arroganz der Kellnerin bleibt ziemlich unübertroffen. Dafür aber gab es ausreichend Zeitungen, klassische Sitznischen mit samtüberzogenen Bänken, Topfen- oder Apfelstrudel, und eine wunderbare Mischung aus Stimmengewirr und Zeitungsgeraschel. Im Haag war man nie allein, und man war immer umgeben von schönen Menschen.

Die Telefonzelle aus Holz im Eingang gehörte ebenso zu den Eigenheiten des "Haag" wie die Tatsache, daß der Gang zum WC über eine ziemlich prominent gelegene Treppe ins Obergeschoß führte. Allerdings gab diese beim Abgang einen wundervollen Überblick über das Geschehen im Hauptraum frei. Die Vielzahl der überfüllten Tische und das vornehmlich studentische Publikum machten das "Haag" zu einem sehr anregenden Ort, an dem sich leicht ins Gespräch kommen und noch leichter diversen Disputen zuhören ließ.

Anders anregend, aber mindestens genauso aufregend war ein Besuch im gläsernen Rondeau der Karlsplatzpassage. Hier hatte man das Gefühl, als einzig ruhende Person in einem Strudel gehetzt wogender Menschenmassen zu verweilen. Zwar war das Ambiente nicht klassisch gediegen wie im "Haag", im "Grillparzer", dem "Brioni" oder dem "Florianihof", dafür aber war es avantgardistisch. In den siebziger Jahren konzipiert, setzte dieses Cafe auf Glas, Künstlichkeit und Sky-Leder. In einer Zeit des Umbruchs entstanden, verstand sich dieses Cafe als Beitrag zu einer modernen, coolen Urbanität. Metall, Glas, blaue Farbe, und steinerne Tische ließen erst gar keinen behaglichen Kaffeehauseindruck aufkommen. Statt dessen fühlte man sich hinter der zum Boden reichenden Glaswand wie im Cockpit eines Science-Fiction-Fahrzeugs. An Bord eines gläsernen Ufos brach rundherum eine Katastrophe aus, die alle rennen ließ. An einem dieser Tische Zeitung zu lesen, war zwar möglich, aber lang nicht so unterhaltsam, wie den Wachtturmmenschen, den Greenpeace Werbern, den unterschriftensammelnden Tierschützern und ähnlichen Gruppierungen zuzusehen, die immer, wie in einem Schaufenster, vor einem der Tische des runden Kaffees stehen und agitieren mußten.

Einen Nachteil hatte der Spaß allerdings doch: wollte man die Toiletten aufsuchen, wurde man höflich, aber bestimmt durch das außen wogende Gewimmel geschickt, um auf der öffentlichen Anlage am Karlsplatz sein Geschäft um fünf Schilling zu verrichten, wie jeder andere Bedürftige Nicht-Kaffeehausgast auch.

Heute stellt sich das Problem nicht mehr: der "Pizza-Hut" hat neben dem Kaffeekonzept auch das architektonische aufgegeben: weder ist es durchgehend rund, noch durchgehend verglast. Statt dessen wurde die runde Grundform geöffnet, damit auch niemand der Vorbeihastenden vergißt, sich eine Schnitte aus dem Pappkarton im Rennen mitzunehmen, um sie dann laufend zu verdrücken.

Neben dem "Pizza-Hut" sind "Wettpunkt" und "Admiral" Konzerne, die Kaffeehäuser schlucken. Zwar nennen sich die neu eröffneten Dependancen immer noch "Cafe", mit dem klassischen Begriff dieser österreichischen Sonderform von Gastronomie haben sie aber nichts mehr zu tun. Hier geht es nicht ums Kaffeetrinken, Leute betrachten oder Zeithaben, sondern vor allem ums Geldverdienen.

Das "Cafe Brioni" im neunten Bezirk war einst Stammlokal des sperrigen Literaten Heimito von Doderer. Bis in die achtziger Jahre hinein hat es sich als braun-beiges Kaffeehaus klassischen Stils halten können. Ein reiches Zeitungsangebot, das obligate Glas Wasser am Silbertablett, den Ober im schwarzen Frack und die charakteristische Anordnung der Tische und Bände in Nischenform sorgten bis zur Übernahme des "Brioni" für typischen Kaffeehauscharakter. Bote einer schlechteren Zukunft war nur die notorische Stille, die hier herrschte. Trotz der Lage am Franz Josefs-Bahnhof, und obwohl die meisten um den Doderer-Bezug des "Brioni" wußten, verirrte sich kaum mehr jemand hin. So kam der Konkurs nicht wirklich überraschend. Das Kaffeehaussterben erfolgt still und unauffällig. Die verflossenen Kaffeehäuser leben nur noch in der melancholischen Erinnerung.

"Grillparzer" hieß der Vorgänger des heutigen Kaffee "Blaustern". Steht der Typ der modernen Bar-Kaffee-Kreuzung für die Zukunft, so war das "Grillparzer" ein klassisches Cafe der Vergangenheit. Bis vier Uhr früh geöffnet, bildete es im verkehrsumwogten Eck zwischen WU, Straßenbahnstation und Würstelstand eine Oase der Wärme. Das "Grillparzer" war durch einen klassischen Windfang zu betreten. Glänzt sein Nachfolger heute mit Transparenz, bestach das "Grillparzer" mit dem Gegenteil. Hinter verstaubten Fensterscheiben bot das barmherzige Dunkel des verschlissenen, rotbraunen Samtinterieurs in dezenten Sitznischen einer kleinen Handvoll gestrandeter oder ruhesuchender Existenzen das bißchen Heimatgefühl, das sie gerade brauchten. Zeitungen, Wärme, eine Melange zu niederem Preis, Glühwein und vor allem viel, viel Stille gab es hier. Ein uralter Ober bemühte sich mit unaufhörlicher Ausdauer, die verstaubten, alten Punschkrapfen in der Glasvitrine an den Mann oder die Frau zu bringen. Einige WU-Studenten lernten hier am Nachmittag, zu fortgeschrittener Stunde bekamen die Sandler des Gürtels schon einmal einen Strohrum umsonst in den Tee. Preise an der Tafel wurden mit Einlangen der schnoddrigen Chefin um ein, zwei Schilling für den Glühwein hinaufgesetzt, verhandeln ließ sich aber immer noch. In stillschweigendem Einverständnis trauerte man sich durchs Leben, in der tröstlichen Gewißheit, im Kampf gegen soziale und klimatische Härten nicht allein zu sein. Der Schließtag des "Grillparzer" war für den alten Ober und die Stammkundschaft ein trauriger Tag. Wo sie nun ihren Glühwein witterungsgeschützt trinken können, ist weiters nicht bekannt. Jedenfalls ist Wien mit dem "Grillparzer" um einen unaufdringlichen sozialen Stützpunkt des Alltags ärmer.

Die Größe dieses Cafes lag in seinem unsterblichen Stil. Es vereinte den Studenten mit dem Wiener Gewohnheitsalkoholiker, ohne einem von beiden seiner Menschenwürde zu berauben. Der Ober mit dem buckligen Rücken bediente nie ohne Frack, mit all der vornehmen Zurückhaltung, die das höchste Berufsethos erfordert. Das "Grillparzer" war bis zu seinem Konkurs unter allen Staubschichten ein echtes Kaffehaus, jeder Besucher ging als Beschenkter hinaus. Der Nachfolger "Blaustern" ist ein Kaffeehaus neuen Stils, mit dem "Grillparzer" nicht vergleichbar. Ein Teil der alten Klientel würde sich dort weder hineintrauen, noch heimisch fühlen. Dennoch ist es, gastronomisch gesehen, zweifellos ein Gewinn.

Ein weiteres unwiderbringliches Kleinod war das Cafe "Donauwelle" am Wiener Naschmarkt. Im Originaldesign der fünfziger Jahre, waren hier die Auftritte einer charismatischen, dafür umso schlechteren Sängerin legendär. Wirklichen Fans ging sie als Künstlerin nicht verloren, immer noch tritt sie auf: im Cafe Raimann in der Schönbrunnerstraße 285. Ihre Karriere als Kaffeehausbesitzerin ist aber unwiderruflich zu Ende. Allein wegen der Frappees, die es in der "Donauwelle" zu trinken gab, ein enormer Verlust. Man lebt eben heute nicht mehr in den Fünzigern, wer das nicht rechtzeitig einsieht, geht unter.

Ein Kaffeehaus mit Jugendstilflair, und durchaus gepflegtem Ambiente, war der "Florianihof" im achten Bezirk. Sein Sterben ist zumindest noch nicht endgültig beschlossen. Momentan liegt er in stiller Agonie, er wartet auf das "Aus" oder eine andere Lösung, die ihn noch weiterleben läßt. Einen trauerumflorten, hochemotionalen Heringsschmaus hat es unter Stammgästen schon gegeben.

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