Siechtum des Feuilletons

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"Die Industrialisierung der Literatur ist wie die aller Künste nahezu vollkommen. Was die deutsche Buchkritik anlangt, so ist sie auf einem Tiefstand angelangt, der kaum unterboten werden kann. Das Publikum liest diese dürftig verhüllten Waschzettel überhaupt nicht mehr." So urteilte Kurt Tucholsky 1931 in der Weltbühne - und so urteilten manche bei der Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik, die heuer zum Thema "Literaturwissenschaft und Literaturkritik" vor dem Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt stattfand.

Die Rezension als Buchtipp, Literaturgeschichte als biographisches Bilderbuch, "o-Ton" statt Reflexion: die Vertreter eines altbewährten Kulturpessimismus hatten etliche Verfallssymptome im Sog einer effekthascherischen Fernsehästhetik zu beklagen. Andere hielten dagegen, die Krise der Kritik ereigne sich immerhin auf hohem Niveau: Nirgendwo sonst würden literarische Urteile so gründlich argumentiert, kulturpolitische Debatten so engagiert geführt wie im deutschsprachigen Feuilleton.

Können sich deutsche und Schweizer Kollegen noch mit dem Status quo trösten, so sieht die Lage in Österreich anders aus: Das ohnehin schmalbrüstige Feuilleton leidet an Auszehrung. Neben den zeitlosen Problemen der Literaturkritik - Tucholsky spricht von "Lobesversicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit" - gibt es zeitgeistbedingte. Gedankenarbeit braucht Raum zur Darstellung. Wenn die Anbiederung an den (vermeintlichen) Leserwunsch dazu führt, dass die "Qualitätszeitungen" des Landes intern das "Ende der intellektuellen Rezension" ausrufen und nur noch auf "Porträts" und bunt kostümierte "Dossiers" setzen, investieren sie in den eigenen Bankrott. Der Abschied von der Kunstkritik ist die Selbstaufgabe des Feuilletons. Immerhin: was Sie gerade lesen, ist noch eines.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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