Wohnbau-Architekt Harry Glück: Siedlung statt Zersiedlung
Harry Glücks Großwohnbauten sind Teil des Wiener Stadtbilds. Kaum bekannt sind seine ebenfalls "ganzheitlichen" Reihenhausanlagen.
Harry Glücks Großwohnbauten sind Teil des Wiener Stadtbilds. Kaum bekannt sind seine ebenfalls "ganzheitlichen" Reihenhausanlagen.
Roland Rainer versus Harry Glück: So lautete der wohl größte ideologische Disput im heimischen Wohnbau nach 1945. Während Rainer den banalen Massenquartieren in der Stadt und der Zersiedlung am Land sein Modell der modernen Gartenstadt, also verdichtete Flachbausiedlungen mit üppiger Bepflanzung entgegenstellte, entwickelte Glück als Alternative das Modell des Wohnparks mit mehrgeschoßigen Terrassenhäusern, die Wohnraum mit eigenem Grün übereinander stapeln.
Rainer warf Glück die "unmenschliche" Dimension seiner Wohnkomplexe vor, worauf Glück die niedrigere Bebauungsdichte und die damit geringere Leistbarkeit von Rainers Siedlungen bemängelte. Dabei lässt sich sagen: Im Grunde verfolgten beide dasselbe Ziel, nämlich einen bodensparenden, aber hochwertigen Wohnbau für die breite Bevölkerung – mit unmittelbarem Grünkontakt und frei von Autoverkehr. Was wir heute als nachhaltigen Wohn- und Siedlungsbau anstreben, aber nur allzu selten realisieren, haben beide ab den 1960er-Jahren – also lange bevor "Nachhaltigkeit" zum Begriff wurde – bereits verwirklicht.
Fußläufige Infrastruktur
So wie die Gartenstadt in Puchenau bei Linz zum Synonym für Roland Rainers Schaffen geworden ist, stehen die drei Hochhauszeilen in Wien-Alt Erlaa für Harry Glücks Philosophie des sozialen Wohnbaus: für jede Wohnung eine bepflanzbare Terrasse unter freiem Himmel oder eine großzügige Loggia; weitläufige Freiräume mit parkartiger Begrünung; fußläufige Versorgung mit Geschäften, Sozial- und Bildungseinrichtungen; ein breites Angebot an Gemeinschaftsräumen -und nicht zuletzt Dachschwimmbäder mit Blick über die Stadt. Diese Faktoren brachten Glücks Wohnanlagen, die der Architekt selbst in die Tradition der Gemeindebauten des "Roten Wien" stellt, in sozialwissenschaftlichen Studien die höchsten Wohnzufriedenheitswerte ein. Und diese Wohnzufriedenheit wird selbst von zeitgenössischen, Jahrzehnte später errichteten Wohnbauten selten erreicht – mitunter nicht einmal von freistehenden Einfamilienhäusern mit Garten.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!