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Einfach komplex: Die Ars electronica 2006 suchte mit hochtechnologischen Mitteln nach neuer Einfachheit.

Romantisch sind alle jene Versuche zu nennen, die ohne große Umschweife wieder zum beschaulichen, ruhigen, langsamen, einfachen Leben von anno dazumal zurückkehren möchten. Zumindest sagen dies die großen Vordenker - so sie nicht selbst derartigen Ideen verfallen sind. Zugegeben, es fällt relativ leicht, diese Sehnsucht zu verstehen: selbst wieder romantisch werden und auf die Insel flüchten - reif dafür ist man ja oft genug. Aber was passiert, wenn man sich dann eine Zeitlang der sprichwörtlichen Einfachheit der unerschlossenen, in ihrer natürlichen Pracht verbliebenen Insel hingibt? Man wünscht sich nichts so sehr, als endlich wieder in die undurchsichtigen Strukturen unseres Alltags zurückzukehren.

Wie kommt man aber auf die Insel und wieder zurück? Mit Hilfe einer mehr oder minder ausgereiften Technik, die selbst bei der Flucht vor ihr unsere Begleiterin bleibt. So ist es nur folgerichtig, dass auch ein Hightech-Festival wie die Ars electronica sich auf die Suche nach der Einfachheit macht und dabei alle zur Verfügung stehenden technischen Tricks zur Anwendung bringt.

Spirituelle Einfachheit

Die vom christlichen Kulturkreis noch irgendwie Geprägten kennen den Aufruf aus den Seligpreisungen der Bergpredigt, wo denjenigen eine große Zukunft versprochen wird, die "arm sind vor Gott", "arm im Geiste" oder "geistlich arm" sind, je nachdem, wie man die Übersetzung aus dem Griechischen anlegt. Was oftmals von den Mächtigen dazu missbraucht wurde, die Menschen ungebildet zu halten, um für sie das Denken zu übernehmen, hat umgekehrt aber zu unzähligen spirituellen Aufbruchsbewegungen geführt, allen voran natürlich jene des Franz von Assisi.

Die Bibel als Vordenkerin von modernen Hochtechnologieprodukten? Wenn es um die Einfachheit geht, die ohne unterschwellige Einfältigkeit auskommt, sicher ja. Selbstverständlich heißt das nicht, dass die Theoretiker und Praktiker der heurigen Ars electronica mit der Bibel unter dem Arm ihre Arbeit aufnehmen. Sie stoßen bloß in ihrem Schaffen auf die gleichen Werte, die christlich Sozialisierten längst bekannt sind. Das ist kein Versuch der Eingemeindung, was schon deshalb unredlich wäre, weil auch das Christentum kein Patent auf die Einfachheit besitzt, vielmehr teilt es diese mit allen großen Religionen. Nicht einmal die Religion kann hier einen Anspruch auf eine Führungsrolle übernehmen, aber gemäß der von der Netzgeneration vertretenen "flachen Hierarchie" treffen hier zwei Sphären aufeinander, die in die gleiche Richtung denken und arbeiten. Nicht zuletzt sah man diese Kooperation daran, dass die Ars electronica einen Tag lang Linz verließ, um im Stift St. Florian ungewohnt genuin religiöse Momente in ihr Programm aufzunehmen.

Für den Theorieinput war dieses Jahr John Maeda zuständig, der eine interessante Runde von Beitragenden einlud, aber auch selbst der katholischen Sphäre mit einer Femininisierung der Designer-Sphäre, der er angehört, mit dem Slogan entgegenkam: "SHE's always right". Einfach übersetzt hieße dies, dass "sie" immer recht hat, was nach Maeda auch stimmt, allerdings verbirgt sich hinter SHE die Abkürzung für Shrink, Hide, Embody - Schrumpfen, Verbergen, Verkörpern. Demgemäß hat Einfachheit beim Schrumpfen "mit der unerwarteten Freude zu tun, die uns etwas scheinbar Unbedeutendes bereitet". Das Verbergen hingegen "ermöglicht es dem Besitzer, die Erwartungen selbst zu steuern", ablesbar an der Benutzeroberfläche unserer Computer, auf der wir jene Fenster öffnen können, die wir für wichtig halten; der Rest bleibt verborgen.

All das würde nicht ausreichen, wäre damit nicht auch eine Qualität verkörpert, die ein kleines Mobiltelefon für jedermann erkennbar als ein viel komplexeres Ding vor Augen stellt als etwa eine riesige Planierraupe. Denn darin kamen alle überein: Einfachheit heißt nicht Komplexität ausschalten, vielmehr Komplexität steigern, um dann aber SHE erst die wirkliche Arbeit machen zu lassen.

DeMarinis Beispiel

Viele der ausgestellten Arbeiten der diesjährigen Ars electronica hatten diese Vorgaben von sich aus bereits beherzigt. So - wahllos herausgegriffen - The Messenger von Paul DeMarinis. Er adaptierte die Geräte aus dem Säuglingszeitalter der Telekommunikation vom katalanischen Wissenschafter Francesc Salvà i Campillo beginnend mit dem Jahr 1780. DeMarinis leitet seine persönlichen E-Mails in den Ausstellungsraum, die dort in dreifacher Weise ankommen. Einmal geben 26 sprechende Waschbecken jeweils einen Buchstaben auf Spanisch wieder. Eine Reihe von Plastikskeletten trägt Ponchos mit dem Alphabet, kommt ein Buchstabe an, springt das dazugehörige Skelett wie bei einem Danse macabre. Schließlich gibt es die Buchstabenreihe noch als Metallplättchen in einer elektrolytischen Flüssigkeit, die sich bei einer neuen Botschaft verfärben. Eine komplexe Anordnung, die einfach Aufmerksamkeit erfordert, will man die Botschaft verstehen.

Simplicity. The Art of Complexity

Hgg. v. Gerfried Stocker u. Christine Schöpf, Ostfildern 2006, 375 S., E 28,-

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