Sind die Großväter die Lehrmeister?

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Die 3. Thomas-Bernhard-Tage in Ohlsdorf galten Thomas Bernhards Beziehung zu seinem Großvater Johannes Freumbichler.

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Die 3. Thomas-Bernhard-Tage in Ohlsdorf galten Thomas Bernhards Beziehung zu seinem Großvater Johannes Freumbichler.

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Wie hätte sich wohl Thomas Bernhard geäußert, über den wir in Gmunden wieder hörten, welch heftige Attacken er gegen Naturidyllen verfaßte, wenn er bei den Literaturtagen vom 25. bis 27. August allein diese fast unwirklich schöne Naturkulisse um die Villa Toscana bei der Eröffnung am 24. August erlebt hätte? In diesem Rahmen läuft bis 11. September eine Ausstellung unter dem Titel: "Das Lithographische und das Wirkliche", mit Bildern von Bernhard Braumann. Der Künstler, ein Freund von Thomas Bernhard, verfügt ebenso wie der Dichter in seiner Gattung über Ironie, Sinn für das Skurrile und Phantastische. Über ihn und natürlich auch über Bernhard hielt der bedeutende Bernhard-Forscher Hans Höller eine Einführung. Er begegnete uns auch als kompetenter Referent am letzten Symposionstag; er sprach zu typischen Figuren bei Grillparzer, Raimund, Stifter und Bernhard.

Nun, es liegt wohl in des "Ohlsdorfer Bürgers" Intentionen, daß diese dritten Bernhardtage - veranstaltet von der Gemeinde Ohlsdorf - die Widersprüche in Rezeption und Diskussion des Werkes nicht aufheben, sondern den Diskurs über die provozierende Persönlichkeit und deren Werk fördern wollen. Aus Anlaß des 10. Todestages Bernhards und des 50. seines Großvaters Johannes Freumbichler wurde die vielschichtige menschliche und literarische Beziehung der beiden Dichter zueinander wissenschaftlich analysiert und durch sehr lebensnahe Kommentare in der Diskussion kritisch kommentiert. Ganz im Sinne von Thomas Bernhard: "Es lebe der Widerspruch!" Das Niveau dieser Veranstaltungen war fachlich und persönlich begeisternd hoch.

Die Organisatoren, vor allem Franz Gebesmair und Bürgermeister Wolfgang Spitzbart, hatten in Zusammenarbeit mit dem Adalbert-Stifter-Institut Linz, dem ORF-Landesstudio Oberösterreich, dem Germanistik-Institut der Universität Salzburg und der Thomas-Bernhard-Privatstiftung international bedeutende Bernhard-Experten geladen. Besonders entwickelt hat sich die Bernhard-Rezeption in Frankreich.

Wir kennen die Auseinandersetzung mit der Vätergeneration. Der Großvater als eine Art von Leitmotiv, bei aller Ambivalenz, für ein persönliches und literarisch bestimmendes Leben ist seltener und birgt ganz andere Facetten. Ein Versuch der Aufarbeitung der Beziehung Freumbichler-Bernhard ist engstens verbunden mit einer Auseinandersetzung mit dem großväterlichen Werk. Die Referentin Renate Langer zeigte sehr differenziert anhand des unveröffentlichten Freumbichler-Manuskriptes: "Eling, das Tal der sieben Höfe" auf, welch fanatischer Schriftsteller der Großvater war, der - obwohl Träger des Staatspreises - wenig Erfolg hatte. Bernhard schildert in der autobiographischen Erzählung "Der Keller" (1976) "das tödliche Geschäft des fanatischen Schriftstellers und Philosophen". Es wäre viel zu oberflächlich, als Symbol dieser Beziehung nur die Schreibmaschine zu sehen, die der Großvater dem Enkel hinterließ.

Das Erbe, die Ähnlichkeit, die Verschiedenheit sind viel tiefgreifender - wie anders möglich bei zwei so schwierigen Persönlichkeiten! Deutlich wurde auch, daß die Literaturwissenschaft über Freumbichlers Werk und Persönlichkeit nur eine Art Zwischenbilanz ziehen kann, denn der Nachlaß des Großvaters bedarf noch einer vollständigen Aufarbeitung, vor allem seine literarisch-philosophischen Tagebucheintragungen. Aus Thomas Bernhards Werk ist zu erkennen, daß er sich dem Großvater zuerst als literarischer Figur näherte und ihn später aus biographischer Sicht schilderte. Dank des Enkels erfährt Freumbichler diese späte Bekanntheit, wobei Bernhard sich auch teilweise absolut antithetisch zum Gedankengut des Großvaters äußert, also nicht mehr für "Gott, Kaiser, Vaterland" eintritt. Bernhard setzte sich aber nie wütend oder denunzierend mit des Großvaters Dichtung und Individualität auseinander.

Der Enkel, der bei den berühmten Spaziergängen mit dem Großvater schweigen mußte, antwortet sozusagen posthum. Dies empfindet er auch als eine Art Befreiung und Entkrampfung. Bernhard ging aber nicht mit all seinen Mentoren so gnädig um. Gerhard Fritsch, ein wesentlicher Förderer, wurde von ihm hart verurteilt, obwohl auch literarisch eine große wechselseitige Beziehung bestand.

Eine Ausstellung im Bernhard-Hof in Ohlsdorf über Freumbichler und Bernhard versucht eine Aufhellung der Beziehung. Interessanterweise spielen Alter und Tod sowie die Ahnen bei Bernhard eine große Rolle. Als absolutes Novum dieses Symposions dürfen Werke von Bernhard rezitiert beziehungweise aufgeführt werden. Freumbichler wollte aus seinem Enkel einen "Künstler" machen. Dies ist ihm gelungen.

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