Sind wieder einmal nur tote Juden gute Juden?

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Richard Chaim Schneider schießt oft übers Ziel hinaus, trifft aber auch oft ins Schwarze.

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Richard Chaim Schneider schießt oft übers Ziel hinaus, trifft aber auch oft ins Schwarze.

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Die Ankündigung und später die ersten Seiten von Schneiders neuem Buch las ich mit Unbehagen und Widerwillen. Denn in Deutschland - oder ebenso in Österreich - Sätze wie die folgenden zu schreiben, ist einfach problematisch: "Wenn es ihn nicht gegeben hätte, müßte man ihn glatt erfinden: denHolocaust. Die Gegenwart ist undenkbar ohne ihn, die Medien, die Öffentlichkeit profitieren von ihm. Der Holocaust... erfüllt bedürftige Seelen mit gehobener Stimmung, er füllt, nicht zuletzt, die Kassen... Wohin sollten wir unsere Energien lenken, wenn nicht auf den Holocaust? Ohne den Holocaust wäre es verdammt langweilig im heutigen Deutschland."

Der eigentliche Inhalt des Buches aber überrascht, und ihm ist in wesentlichen Punkten - leider - zuzustimmen. Der in München lebende Autor, Dramaturg und Regisseur Richard Chaim Schneider, der 1994 mit einem pessimistischen Band über das jüdische Leben im heutigen Deutschland bekannt wurde ("Zwischenwelten", FURCHE 24/1994), schrieb ein provozierendes, aber vielleicht auch notwendiges und heilsames Buch.

Der erste Teil widmet sich dem Fall Goldhagen und vor allem Goldhagens Kritikern, wobei er nach der ausführlichen Analyse der Stellungnahmen Hans Mommsens resümiert: "Es gibt genug wissenschaftliche Argumente, um die ausgeweitete Dissertation von Daniel Goldhagen anzugreifen, das steht außer Zweifel. Doch neben der wissenschaftlichen Kritik mischt sich auch eine Menge Niederträchtiges und Beleidigendes in die deutsche Kritik."

Erschreckend, obwohl nicht neu, sind die von ihm zitierten und kommentierten Aussagen des "Spiegel"-Herausgebers Rudolf Augstein, "dessen antijüdische Haltung" er herausarbeitet, und von Marion Gräfin Dönhoff, wobei sich Schneider auch auf die von Y. Michael Bodemann in seinem Buch "Gedächtnistheater - Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erinnerung" publizierte Analyse der "Zeit" beruft. Dönhoff schrieb nicht nur 1952 gegen das Luxemburger Abkommen über die Wiedergutmachung und 1993 gegen Simon Wiesenthal, sondern in der Goldhagen Debatte auch einen Satz, der, so meint Schneider, "zum Himmel schreit": "Auch ist die Befürchtung, daß das Goldhagen-Buch den mehr oder weniger verstummten Antisemitismus wieder neu beleben könnte, leider nicht ganz von der Hand zu weisen."

Schneiders zweites Thema ist das von Lea Rosh initiierte Holocaust-Mahnmal in Berlin, bei dem die nichtjüdischen Opfer ausgegrenzt wurden und dessen Verwirklichung noch lange nicht feststeht. Wer die deutsche Debatte von hier aus nicht so genau verfolgen konnte, wird gerade dieses Kapitel mit Gewinn lesen.

In einem eigenen Abschnitt beschreibt Schneider auch die Formen der Erinnerung an die Shoah in Israel, wobei er in seinem polemischen Rundumschlag Yad Vashem sicher nicht gerecht wird und sich ansonsten in sehr subjektive und persönliche Erinnerungen verliert.

Sein Kapitel über Spielbergs Film "Schindlers Liste" enthält wieder sehr viel Wahres, leider auch, was die Kritik an seiner ShoahFoundation betrifft: "Die Eile, mit der Spielberg sein Projekt betreibt, ist ein weiteres Problem... Auch die Reglementierung der Interviews macht wenig Sinn. In zwei Stunden soll nach einem strengen Grundmuster Vorkriegszeit, Verfolgung und Nachkriegszeit erzählt werden. Ganz zum Schluß gibt's dann ein Gruppenbild mit Familienangehörigen. Ob das wirklich Sinn macht? ... Bei Spielbergs Unternehmen wird die Erinnerung zwangsinformiert; der Holocaust wird damit zu einem digital übersichtlichen, leicht handhabbaren Informationskonvolut, das im Zeitalter des binären Systems auf die simple Struktur von 0 und 1 reduziert ist."

Die abschließenden Seiten widmet Schneider den Tagebüchern Victor Klemperers, und er bemerkt auch hier anhand einiger ausgewählter Zitate völlig richtig: "Klemperer war nämlich ein vehementer, ja fanatischer Gegner der ostjüdischen Orthodoxie und des Zionismus... Klemperer schrieb sich seine Abneigung und seinen Widerstand ohne viel Umschweife von der Seele... Die Zionisten waren für ihn ,genauso ekelhaft wie die Nazis'... Auch hier wieder tiefes Aufatmen von deutscher Seite... Hier spricht ein Jude gelassen aus, was viele denken!"

Der Autor findet sich in Deutschland, wie er schreibt, in einer Situation, in der man die toten Juden am liebsten hat, in der die lebenden aber stören. So werden zahllose Synagogen in ganz Deutschland bei nicht mehr existierenden jüdischen Gemeinden restauriert - mit Summen, die nach Schneider den sozialen Einrichtungen der jüdischen Gemeinden bei staatlichen Budgetkürzungen fehlen. Er sieht die Tragik seiner Generation, aber keinen Ausweg: "Wir wissen nicht, wie man dem Ungeheuerlichen begegnet; wir haben keine Wege, keine Mittel, keine Methoden."

Das Buch ist auf jeden Fall lesenswert und regt zum Nachdenken an, obwohl mehr sprachliche Sorgfalt und eine Straffung des Textes - auch der Zitate, besonders aus dem Roman von Andre Schwarz-Bart "Der Letzte der Gerechten" - nicht geschadet hätten.

FETISCH HOLOCAUST Die Judenvernichtung - verdrängt und vermarktet Von Richard Chaim Schneider, Kindler Verlag, München 1997, 287 Seiten, geb., öS 263,-

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