Sinnliche und körperliche Spiritualität

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Am 5. Februar kehrt nicht nur "Josephs Legende" an die Wiener Staatsoper zurück, sondern auch John Neumeier. Der Direktor des Hamburg Ballett hatte schon 1977 eine Fassung in Wien choreographiert. Im Gespräch gibt er nun Einblick in seine Arbeit.

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Am 5. Februar kehrt nicht nur "Josephs Legende" an die Wiener Staatsoper zurück, sondern auch John Neumeier. Der Direktor des Hamburg Ballett hatte schon 1977 eine Fassung in Wien choreographiert. Im Gespräch gibt er nun Einblick in seine Arbeit.

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Uraufgeführt 1914 in Paris, 1977 unter der Choreographie von John Neumeier an der Wiener Staatsoper zu sehen, kehrt "Josephs Legende" nun wieder nach Wien zurück. Die FURCHE sprach mit dem Direktor des Hamburg Ballett über neue und alte Fassungen, über Stoff und Musik, über Sinnlichkeit und Spiritualität.

Die Furche: "Josephs Legende" liegt eine Bibelstelle zugrunde, es gibt ein sehr ausführliches Libretto von Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal. Wie interpretieren Sie diesen Stoff?

John Neumeier: Ich glaube, die ursprüngliche Tradition der "Josephs Legende" war interessanterweise sehr weit weg von der Ur-Intention, denn eine der Hauptrollen wurde von einer Opernsängerin gemimt, es war kein Tanz im eigentlichen Sinne. Léonide Massine, der Joseph der Uraufführung, stand am Anfang seiner Karriere. Er sah sehr hübsch aus, war aber wahrscheinlich nicht besonders virtuos.

In dieser Zeit der Ballets Russes hat die Exotik dieses Themas eine große Rolle gespielt. Wenn man das heute macht, muss man etwas anderes finden. Ich denke, dass es hauptsächlich darum ging, den Beginn eines Schicksals darzustellen. Das Schicksal eines Menschen, der auf dieser Erde lebt und durch seine Berufung zwischen dem Spirituellen und Sinnlichen schwebt. Da es ein Ballett ist, muss man der spirituellen Seite auch eine körperliche geben. Denn wir Menschen können das Spirituelle sowieso nur durch das Menschlich-Körperliche verstehen.

So ist es für mich eine Geschichte aus Josephs Sicht, der langsam seine wirkliche Berufung erkennt in der Spannung zwischen Sensualität -nämlich die Verführung durch Potiphars Weib, der Joseph nicht gänzlich abgeneigt ist - und der Welt des Engels, dessen Rolle sich durch das ganze Ballett zieht. Außerdem ist es wichtig, dass Potiphars Weib nicht nur Verführerin ist. Denn es ist sinnlos, ein Ballett zu machen, das von einer nicht geklappten Verführung handelt. Sondern es ist viel interessanter, ihre Faszination von Joseph zu zeigen, die wahrscheinlich vom Licht seiner Berufung ausgeht. Obwohl sie in Potiphar einen Mann hat, der für sie perfekt sein müsste, hat sie eine große Sehnsucht.

Diese zwei Welten sind wichtig. Für mich ist die "Josephs Legende" erst der Beginn seiner Berufung in das biblische Schicksal. Und Potiphars Weib wird am Ende quasi leer zurückgelassen, nachdem sie nicht nur Josephs körperliche Schönheit angefasst, sondern auch das Gefühl einer spirituellen Ebene bekommen hat, die ihr vielleicht fehlt. Für mich ist die Geschichte sehr vielschichtig und es ist nicht leicht, das einfach schnell zu erzählen.

Die Furche: Sie haben also den Figuren eine Tiefe, einen psychologischen Hintergrund gegeben?

Neumeier: Das ist wichtig, weil sonst wäre es, als ob man den Prunk des spätrussischen Balletts nachmachen möchte und das finde ich nicht so interessant. Ich kann nur Figuren choreographieren, denen ich glaube, dass so etwas möglich ist.

Und ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass das Ballett ein Endpunkt von einigem ist: es war der Endpunkt einer stilistischen Form für das russische Ballett, aber es war auch der Endpunkt einer gesellschaftlichen Form, denn es wurde 1914 uraufgeführt und dann wegen des Ersten Weltkrieges sehr selten gespielt. Diese Endpunkt-Stimmung ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt in der Dramaturgie.

Die Furche: Findet sich da auch die Klammer zu "Verklungene Feste"?

Neumeier: Ja. Auch von "Verklungene Feste" gibt es unterschiedliche Versionen. Aber die Tatsache, dass die Premiere einer Version mitten im Zweiten Weltkrieg stattgefunden hat, signalisiert für mich, dass es auch wieder ein Stück des Abschieds ist:

Abschied von einer Zeit, von einer Gesellschaftsform, die durch diesen furchtbaren Krieg auch zu Ende gegangen ist

Die Furche: Seit der Uraufführung 1977 haben Sie "Josephs Legende" einige Male überarbeitet. Welche Fassung wird in Wien zu sehen sein?

Neumeier: Sie basiert auf der Neufassung von 2008. Ich habe das Ballett in München sowie in Hamburg gemacht, immer wieder mit anderen Bühnenbildnern. Nachdem es länger nicht gespielt wurde, habe ich es 2008 ziemlich deutlich umgearbeitet: neue Choreographie, neue Kostüme und neues Bühnenbild.

Die Furche: Wie kam es dazu, dass 1977 die afroamerikanische Tänzerin Judith Jamison als Potiphars Weib engagiert wurde? War es Zufall oder hatte das für Sie eine Bedeutung?

Neumeier: Das hatte für mich eine große Bedeutung. Als ich diesen Auftrag angenommen habe, war die Idee, dass Mikhail Baryshnikov Joseph tanzen und Maria Callas Potiphars Weib darstellen sollte. Ich habe gesagt, dass ich das nicht haben möchte, weil ich kein Galastück machen wollte, sondern zu einer Wirklichkeit dieser Thematik kommen wollte. So besetzte ich Joseph mit dem 21-jährigen Kevin Haigen, der bei mir im Ensemble in Hamburg war. Ich wollte zu diesem wirklich sehr sinnlichen aber gleichzeitig Unschuld ausstrahlenden jungen Tänzer einen großen Kontrast haben und dachte an Judith Jamison. Ich denke, dass gerade das das Tolle daran war. Weil bis dahin hatte man immer die Tradition fortgeführt, dass die Frau eine große darstellerische Persönlichkeit, aber nicht unbedingt eine Tänzerin war. So hat man nie eine choreographische Sprache entwickelt, aber genau das war für mich wichtig.

Die Furche: Sie haben sehr viele Werke mit religiösem Hintergrund choreographiert. Interessiert Sie mehr der Stoff oder die Musik?

Neumeier: Das ist sehr unterschiedlich. Bei Werken wie "Matthäus-Passion","Weihnachtsoratorium" oder "Magnificat" war es in erster Linie die Musik, die mich inspiriert hat. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass Tanz eine große Kunst ist, die den gesamten Menschen darstellt. Wenn man einen Menschen darstellt, sind seine spirituelle Neugier, Zweifel oder Glaube sicher ein Teil davon. Nicht im frommen Sinne, dass man zeigt wie man ein guter Mensch ist, wie ein guter Mensch aussieht. Sondern, dass man zeigt, was Religion ausmacht und für mich überhaupt ist: ein Dialog mit etwas, das nicht bekannt ist, was natürlich zu ganz verschiedenen Reaktionen führen kann. Das sind die Dinge, die mich interessieren. Verkörpert oder dargestellt für mich vor allem in der Musik von Johann Sebastian Bach, weil ich finde, dass die Form der Passionen sowie des "Weihnachtsoratoriums" ideal für Tanz ist, weil sie eine Geschichte erzählen. Aber diese ist nicht das Wesentliche, sondern die Meditation, die Auseinandersetzung mit diesen Ideen bringt das Ganze in die Gegenwart.

Die Furche: Das heißt, Sie denken, der Mensch ist nach wie vor auf der Suche nach Spiritualität?

Neumeier: Auf jeden Fall; selbst einer, der das verneint - vielleicht ist sein Dialog kürzer, aber wenn ich etwas verneine, dann verneine ich etwas, das existiert.

Verklungene Feste - Josephs Legende

Wiener Staatsoper

4., 5., 8., 9., 14. Februar

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