Slowenische Sehnsucht

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Dankrede für den Vilenica-Literaturpreis.

Der erste Slowene meines Lebens war ein halber Donauschwabe und ein halber Serbe. Mitte der sechziger Jahre stand er, ein baumstarker junger Mann mit verwegenem Bart, vor der Tür unserer Wohnung in Salzburg und schloss uns der Reihe nach in seine kräftigen Arme. Nandor Gauß war der Sohn des älteren Bruders meines Vaters, der 1938 in Palanka in der Batschka eine Serbin geheiratet hatte; nach dem Krieg hat diese Frau sich in zweiter Ehe einem Offizier der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee verbunden, der nach Ljubljana versetzt wurde. Mein um fünfzehn Jahre älterer Cousin Nandor, der mir die abenteuerlichsten Geschichten in einem recht guten Deutsch erzählte, war ein richtiger Stadtpatriot von Ljubljana, was ihn allerdings nicht daran hinderte, später als Architekt nach Stuttgart zu übersiedeln. Nandor, mein slowenischer Cousin, hat alleine durch den grandiosen Auftritt seines unerwarteten Erscheinens in mir eine slowenische Sehnsucht und das Interesse für etwas geweckt, das viele für ganz und gar langweilig halten: nämlich das Interesse für die Familie, der man entstammt und die in Mitteleuropa fast bei jedem verschüttete Verbindungen, vergessene Zusammenhänge hat, die weit über den einen Ort hinausweisen, in dem man durch den Zufall der Geschichte geboren wurde.

Den zweiten Slowenen meines Lebens, der mich mit der ihm eigenen Leidenschaftlichkeit auf die mir damals noch unbekannte slowenische Literatur brachte und meine Frau, meine Kinder und mich auf unseren ersten Fahrten ins Slowenische begleitete, war ein Europäer aus dem Salzburger Pinzgau. Einen besseren Reiseführer in eine unbekannte Landschaft der Bücher und der Menschen als Ludwig Hartinger kann man sich schwerlich vorstellen, und so ist mir von diesen Reisen mit ihm Ende der achtziger Jahre zweierlei in Erinnerung geblieben: Das Bild meiner Kinder, die auf den großen Steinplatten an der Mole von Piran lernten, was es heißt, als Piraten Ausschau aufs Meer zu halten, und das tage- und nächtelang nicht abreißende Gespräch, in dem Ludwig und ich uns befanden.

Natürlich habe ich nachher, mit der wiederum mir eigenen Gründlichkeit, mir mein eigenes Slowenien erlesen und erreist; und natürlich habe ich nach diesen beiden ersten Slowenen meines Lebens viele andere kennen gelernt, die ich mich nur deswegen scheue, "richtige Slowenen" zu nennen, weil ich das Wort "richtig" im Zusammenhang mit einer nationalen Zuordnung irgendwie für unrichtig, jedenfalls unangemessen halte. Das waren melancholische Schriftsteller, humanistische Gastwirte, verzweifelt witzige Intellektuelle, die mir in ihrer oft reichlich mit Wut gewürzten Zuneigung zu ihrem Land sehr österreichisch verwandt vorkamen.

So scheint es mir, dass der Weg, der mich bis hierher geführt hat, von vielen guten Geistern gesäumt war, denen jener Dank gebührt, mit dem ich selber den Preis von Vilenica entgegennehme, der mir als einer der schönsten erscheint, die einer wie ich in Europa erhalten kann.

Vilenica-Preis

In der Grotte von Vilenica wurde der renommierte slowenische Preis für mitteleuropäische Literatur zum 20. Mal überreicht: Ilma Rakusa und Karl-Markus Gauß. Zu den bisherigen Preisträgern gehören Peter Handke, Péter Esterházy, Milan Kundera oder der Litauer Tomas Venclova.

"Europa ist für Karl-Markus Gauß fremder und widersprüchlicher als jene ahnen, die es ständig im Mund führen", sagte Drago JanÇcar in seiner Laudatio.

Gauß' neues Buch "Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer" ist ein weiteres Beispiel für seine Entdeckung randständiger Minderheiten. Die Furche gratuliert ihrem Kolumnisten. CH

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