So kann eine Literaturverfilmung gelingen

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Julian Pölslers Verfilmung von Marlene Haushofers Roman "Die Wand“ wird der Vorlage gerecht und kann doch als eigenständiger Film - nicht zuletzt dank exzellenter Tonspur - bestehen.

Michael Haneke hat unlängst gemeint, eine Literaturverfilmung könne entweder dem Buch gerecht werden, dann werde es kein guter Film, oder das Buch nur als "Steinbruch“ benutzen, dann sei der Autor zu Recht böse. Julian Pölslers Verfilmung von Marlen Haushofers Roman "Die Wand“ (1963) scheint so etwas wie einen dritten Weg zu eröffnen: Einerseits hält Pölsler sich geradezu peinlich genau an die literarische Vorlage, andererseits hat er eine eigenwillige Bild-, aber auch Tonsprache entwickelt, die den Film souverän für sich bestehen lässt. Und doch hätte Haushofer keinen Grund, dem Regisseur böse zu sein, ganz im Gegenteil.

Lange hat man "Die Wand“ überhaupt für unverfilmbar gehalten: eine Frau allein im Wald, umgeben von Hund, Katze und Kuh - wie sollen da die Dialoge aussehen? Wie bringt man Haus- und Wildtiere dazu, zu tun, was die Geschichte verlangt? Was fängt man filmisch mit der unsichtbaren Wand an, die über Nacht entstanden ist und die Protagonistin vom Rest der Welt trennt?

Symptom einer aktuellen Krise

Nach dem Tod von Karin Brandauer, die konkrete Pläne zur Verfilmung hatte, musste Julian Pölsler die Rechte erst von Klaus Maria Brandauer erwerben. Sieben Jahre war er mit dem Projekt beschäftigt. Dass "Die Wand“ gerade jetzt ins Kino kommt, hat also zunächst ganz handfeste Gründe. Das aufflammende Interesse an Haushofers wichtigstem Buch lässt sich aber natürlich auch als Symptom einer aktuellen Krise deuten.

Der Roman war in mehrfacher Hinsicht eine Reaktion auf seine Entstehungszeit: Das Wettrüsten der Supermächte hatte die Angst vor dem Atomkrieg genährt, in der durch und durch männlichen Wirtschaftswunderwelt waren Zweifel an Fortschritt und Technisierung verpönt, der Existentialismus und Camus’ Vorstellung vom glücklichen Sisyphos waren auch in Österreich angekommen. Die Kriegsangst mag heute nicht mehr so konkret sein, die Angst vor der atomaren Katastrophe aber ist es gewiss, und die Idee eines Rückzugs aus der Urbanität, eines Auszugs aus der Geschichte scheint verführerischer denn je.

So ist es nur folgerichtig, dass Pölsler die Geschichte nicht in den Sechzigern angesiedelt hat, aber auch nicht im Heute, sondern in einer merkwürdig entrückten Gegenwart. Die elegante Frau, die hier an einem strahlenden Frühlingstag mit ihrer Cousine und deren Mann zu einem verlängerten Wochenende ins Jagdhaus aufbricht, wirkt deplatziert, als sie dann mit Luchs, dem Hund des Ehepaars, auf der Veranda sitzt und vergeblich auf ihre Gastgeber wartet, die abends noch auf einen Sprung ins Dorf wollten. Die Realität der Wand, die in wenigen Szenen als durchsichtige Glasscheibe erscheint, und der Augenschein der Katastrophe - alles organische Leben dahinter ist erstarrt - zwingen die Frau in einen Überlebenskampf, der sie verwandelt.

Martina Gedeck als die namenlose Frau ist ein Ereignis in ihrer existenziellen Wahrhaftigkeit, ihrem Mut zum Nichtspielen. Nach und nach blättert die Tünche der Zivilisation von ihr ab, bis sie ihre radikale Einsamkeit zum Schluss akzeptieren kann.

Pölsler hat den Film in langen, ruhigen Einstellungen gedreht, er schwelgt in schönen, ja erhabenen Bildern der Natur, wobei die grandiose Gegend rund um den Gosausee nicht weit vom Originalschauplatz am Fuße des Sengsengebirges liegt; er zeigt aber auch die hässliche Wahrheit des Tötens, denn die Frau jagt Rehe und erschießt am Ende den menschlichen Eindringling, der ihre Tiere erschlagen hat. Dass Haushofer früh im Buch Luchs’ Tod vorwegnimmt, ist kein dramaturgischer Fehler, wie der Regisseur in einem Interview gemeint hat, sondern vielmehr ein Kniff, der das Gefühl ständiger Gefährdung steigert. Diese Spannung überträgt sich auf den Film - auch wer den Roman genau kennt, vermag sich ihr nicht zu entziehen.

Gar nicht auf den Hund gekommen

Der literarische Text erhält durch Martina Gedecks verhalten sinnliche Erzählstimme breiten Raum, Pölslers intelligente Dramaturgie lässt das Richtige weg und fügt wenig hinzu, etwa einen eindrucksvollen Crash gegen die Wand, als die Frau mit dem Mercedes ihres Gastgebers auf Erkundung fährt.

Essenziell für das Gelingen dieses Films ist seine Tonspur: Musik wird sehr sparsam als Kontrast zu Krähengeschrei und Waldstille eingesetzt, sei es ein Song aus dem Autoradio, seien es Bach-Partiten, die dramatische Momente akustisch inszenieren. Ein merkwürdig diffuses Dröhnen als Signalton für die Wand macht die Bedrohung durch das Unheimliche zwingend erfahrbar.

Großes Glück hatte die Hauptdarstellerin mit ihrem Partner: Luchs, im Abspann, wie es sich gehört, mit vollem adeligem Namen genannt, spielt mit überzeugendem Einsatz, expressiver Mimik und ganz auf Martina Gedeck fixiert; es stimmt nicht, aber hier reizt es einen zu sagen: Er spielt sie an die Wand.

Die Wand

D 2012.

Regie:

Julian Pölsler.

Mit Martina Gedeck, Wolfgang M. Bauer, Ulrike Beimpold, Karlheinz Hackl. Thimfilm.

108 Min. Ab 5. 10.

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