"So links wie das Evangelium“

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Caritas-Präsident Michael Landau über die neue Regierung und die Frage, wie politisch eine Hilfsorganisation agieren darf - oder muss.

* Das Gespräch führte Doris Helmberger

Michael Landau, Sohn eines jüdischen Vaters, studierter Biochemiker und spätberufener katholischer Priester, ist vor einem Monat Franz Küberl als Präsident der Caritas Österreich nachgefolgt. Dass der 53-Jährige keine Scheu vor klaren, politischen Ansagen hat, bringt ihm teils heftige Kritik von konservativer Seite ein. Wie politisch darf - oder muss - eine kirchliche Hilfsorganisation sein? Und wie bewertet Landau die Pläne der neuen Regierung? Die FURCHE hat mit dem "Manager der Nächstenliebe“, wie es gerne heißt, im Wiener Café Korb gesprochen.

Die Furche: Herr Landau, Sie haben sich von der neuen Regierung eine "Mutinjektion“ gewünscht sowie "die Bereitschaft und Fähigkeit, Visionen zu entwickeln“. Damit ist es leider wieder nichts geworden …

Michael Landau: Das Regierungsprogramm ist etwas besser als sein Ruf, aber zum Teil werden schon ziemlich kleine Semmeln gebacken. Noch dazu schwebt über allem das Damoklesschwert des Finanzierungsvorbehalts. Entscheidend wird sein, ob die Regierung wenigstens beim Umsetzen Mut beweist. Der Elchtest ist also das Budget 2014.

Die Furche: In Ihrem "5-Punkte-Programm zum Thema Asyl“ haben Sie zahlreiche Forderungen formuliert. Ihre neue Ansprechpartnerin ist die alte: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), mit der Sie so manchen Strauß ausgefochten haben …

Landau: Eine Innenministerin ist keine Caritas-Präsidentin, und ein Caritas-Präsident ist kein Innenminister. Für mich ist entscheidend, ob es gelingt, jene Lösungsorientierung, die zuletzt im Bereich Integration erreicht wurde, auch in den Bereich des Asyl- und Fremdenrechts hineinzubringen. Gibt es das gemeinsame Ziel von fairen Verfahren, wird endlich sichergestellt, dass Menschen wenigstens nach sechs Monaten einen tatsächlichen Zugang zu Arbeit haben? Heute sind ja Flüchtlinge oft jahrelang im Wartesaal des Lebens. Die Flüchtlingsreferenten der Länder haben letztens klar gesagt, dass es im Bereich der Grundversorgung menschenwürdige Mindeststandards geben muss. Ich hoffe, dass diese Lösungsorientierung auf den Bund abfärben wird.

Die Furche: Apropos menschenwürdig: Laut Regierung soll ein "Verbot von Tötung auf Verlangen“ in der Verfassung verankert werden. Freut Sie das?

Landau: In Österreich gibt es einen breiten politischen Konsens darüber, dass Menschen an der Hand eines anderen Menschen sterben sollen und nicht durch die Hand eines anderen Menschen. Aber wer aktive Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen. Für mich ist das zuallererst ein dringender Appell an die zuständigen Minister, beim Hospizthema Tempo zu machen und sicherzustellen, dass am Lebensende alle Menschen die Betreuung und Begleitung erhalten, die sie brauchen. Es darf hier nicht am Geld scheitern.

Die Furche: Dass die Caritas vor der Wahl für eine gemeinsame Schule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen plädierte, hat ihr teils heftige Kritik eingebracht. Warum haben Sie sich in dieser umstrittenen Causa exponiert?

Landau: Weil Bildung ein wesentlicher Punkt von Armutsvermeidung und Armutsbekämpfung ist. Hier kommt dem Elementarbereich entscheidende Bedeutung zu. Auch flächendeckende Angebote ganztägiger Schulen liegen uns am Herzen: Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien haben oft zu Hause so beengte Situationen, dass vernünftiges Lernen unmöglich ist. Und zum Thema gemeinsame Schule: Heute differenzieren wir im Grunde zwischen den Schuleingängen. Ich würde mir wünschen, dass künftig viel mehr innerhalb der Schulen differenziert wird, damit möglichst jedes Kind seine Begabungen entfalten kann.

Die Furche: In welcher Schulform das besser gelingt, ist ein ewiger, ideologischer Streit ...

Landau: Wir sollten diese Diskussion endlich aus den ideologischen Sackgassen herausführen. Vielleicht gelingt das mit einem ganz starken Fokus auf den Elementarbereich. Hier müssen wir mehr Fantasie entwickeln …

Die Furche: Wie politisch darf - oder muss - die Caritas insgesamt sein?

Landau: Unser Kernauftrag ist Nächstenliebe ohne Wenn und Aber. Doch das Zweite Vatikanum hält im Dekret über das Laien-Apostolat auch fest, dass man nicht "als Liebesgabe anbieten“ darf, was "schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist“. Man muss die Ursachen der Übel bekämpfen, nicht nur die Symptome. Deshalb dürfen wir als Kirche zu Unrecht nicht schweigen.

Die Furche: Ex-"Presse“-Chef Andreas Unterberger hat Ihnen in seinem Blog vorgeworfen, Sie seien "ein noch üblerer Propagandist des linken SPÖ-Flügels als Küberl“ und würden "statt der individuellen Nächstenliebe noch mehr staatliche Bürokratie“ fordern …

Landau: Hier werden falsche Frontstellungen aufgebaut. Es braucht beides: individuelle und strukturelle Solidarität. Der Sozialstaat ist aus meiner Sicht nicht ein beliebig verschlankbares Anhängsel zum Wirtschaftsstandort, sondern ein notwendiger Ausdruck für die Würde des Menschen. Es mag schon sein, dass das einzelnen Autoren aus ideologischen Gründen nicht gefällt, aber wer sich mit den Texten der Soziallehre und gerade jenen des jetzigen Papstes auseinandersetzt, weiß, dass die Kirche ihren Platz an der Seite der Armen hat.

Die Furche: Ärgert es Sie, dass man Ihnen eine SPÖ- oder Grünen-Schlagseite vorwirft?

Landau: Wir stehen auf der Seite gar keiner politischen Partei. Wir machen unsere Aufgabe im Dienste des Evangeliums und als Teil der Kirche, der von Christus die Sorge um die Armen ins Pflichtenheft geschrieben worden ist. Pointiert könnte man sagen: Wir sind so links wie das Evangelium.

Die Furche: Ist die ÖVP in ihrer momentanen Verfasstheit eine christlich-soziale Partei?

Landau: Da müssen Sie die Verantwortlichen der ÖVP fragen, wie wichtig ihnen ihre christlich-sozialen Wurzeln sind. Für mich gehört zum Glauben auch der feste Wille, die Welt zu verändern und ein Stück fairer, gerechter, menschenfreundlicher zurückzulassen. Das ist die Maßschnur, die wir an alles politische Handeln herantragen.

Die Furche: Laut einem anderen Ex-"Presse“-Chef, Michael Fleischhacker, pendeln die Caritas-Vertreter "irgendwo zwischen elegantem Bobo-Antikapitalismus und bodenständigem Urchristenkommunismus“. Sie bräuchten den "statistischen Hauptsatz der Armutsdynamik“, wonach die Zahl der Armen immer gleich bleibe, um den Ruf nach mehr Sozialstaat zu legitimieren …

Landau: Die jüngsten Zahlen, wonach in Österreich 1,2 Millionen Menschen oder 14,4 Prozent akut arm oder armutsgefährdet sind, sind nicht von uns, sondern von offiziellen Stellen. Aber als Caritas geht es uns um die Menschen hinter den Statistiken: um Alleinerzieherinnen, alte Menschen und erschreckend oft Kinder. Es mag schon sein, dass aus der gesicherten Position des Bildungsbürgers darüber leichtfüßig gescherzt werden kann. Aber wir sehen jeden Tag die Not und uns ist dann weniger zum Scherzen zumute.

Die Furche: Wie sehr treffen Sie solche Attacken eigentlich persönlich?

Landau: Ich halte es schon für wichtig, Kritik ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite habe ich auch vor Augen, was Leopold Ungar gesagt hat: Christus hat die Kirche nicht zum Jasagen gestiftet, sondern als Zeichen des Widerspruchs. Und wenn Michael Fleischhacker kritisiert, dass jetzt sogar Papst Franziskus die Sichtweise der Caritas teile, dann antworte ich, dass man sich eben nun entscheiden muss, ob man lieber den Papst oder Michael Fleischhacker an seiner Seite hat.

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