"So widersprüchlich wie die Welt"

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Stephan Suschke, der neue Schauspielchef am Linzer Landestheater, im FURCHE-Gespräch über die fast irrationale Sehnsucht nach Heimat, über politisches Theater, Sprache und österreichische Literatur - und über seine erste Inszenierung in Linz.

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Stephan Suschke, der neue Schauspielchef am Linzer Landestheater, im FURCHE-Gespräch über die fast irrationale Sehnsucht nach Heimat, über politisches Theater, Sprache und österreichische Literatur - und über seine erste Inszenierung in Linz.

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Seit der Spielzeit 2016/17 ist Stephan Suschke Schauspielchef am Linzer Landestheater. Suschke war Assistent beim 1995 verstorbenen Autor und Regisseur Heiner Müller, inszenierte an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen und reüssierte als Schauspieldirektor in Würzburg. Die FURCHE sprach mit ihm über politisches Theater, den Reiz österreichischer Literatur und seine ersten Theaterprojekte.

DIE FURCHE: Wie sahen Ihre Vorbereitungen aus, nachdem der Ruf an Sie ergangen war, als Schauspieldirektor ans Linzer Landestheater zu kommen? Wie begegnen Sie Oberösterreich und seinem Publikum?

Stephan Suschke: Nachdem ich wusste, dass ich hier Schauspieldirektor werde, habe ich mich mit Linz beschäftigt, mit der Region und natürlich auch mit Österreich. Mir war es immer wichtig, mich auf die Städte bzw. die Region einzulassen, in denen ich gearbeitet habe, und auf deren spezifische Themen. Aber die allgemeinen Probleme sind von Deutschland nicht so verschieden, weil die Mechanismen innerhalb der globalisierten Gesellschaft immer ähnlicher werden. Natürlich habe ich mich intensiv mit österreichischer Literatur, mit österreichischen Autoren beschäftigt, was ich sehr produktiv, bereichernd und interessant fand. Mein Vorgänger hat uns glücklicherweise ein weites Feld nicht bzw. kaum gespielter österreichischer Stücke und Autoren hinterlassen.

DIE FURCHE: Worauf kommt es aus Ihrer Sicht an - besonders nach Ihrer Österreich-Lektüre?

Suschke: Die Sprache ist wichtig. Wenn man österreichische Autoren spielen möchte, muss man auch österreichische Schauspieler engagieren, die diese Sprache mit all ihren Zwischentöne verstehen und beherrschen. Wenn ich nach Thüringen fahre, fühle ich mich sofort zu Hause, wenn ich die Leute sprechen höre. Heimat hat mit Sprache zu tun. Das ist auch Teil meines Verständnisses von Theater. Wenn man möchte, dass Theater ein Ort von Kommunikation zwischen Bühne und Zuschauerraum ist, muss man die Bedingungen dafür schaffen. Das war ein Grund, warum wir Felix Mitterers "Jägerstätter" in den Spielplan genommen haben. Die historische Figur hat in Oberösterreich gelebt, das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis war in Linz. Die Hauptbesetzungen waren österreichische Schauspieler, das ist neben der Qualität und der politisch-moralischen Fragestellung eine Ursache für den großen Erfolg dieser Aufführung.

DIE FURCHE: Neben Felix Mitterer bringen Sie viele, höchst unterschiedliche österreichische Autoren auf den Spielplan: Ferdinand Raimund, Ödön von Horváth, Thomas Köck, Ewald Palmetshofer und Franz Grillparzer. Wie trafen Sie die Auswahl?

Suschke: Die Themen und Fragestellungen waren wichtig. An Raimunds "Alpenkönig und Menschenfeind" interessierte mich der Terror in der Familie, der im Gewand der Posse daherkommt. Grillparzers "Goldenes Vlies" ist aktuell, weil Medea als Fremde angespült wird und vergeblich nach Heimat sucht. Diese Suche nach Heimat spiegelt sich auch in Horváths "Niemand", hier allerdings in Szenen aus dem Prekariat. "Niemand" ist auch die Annäherung an einen Autor, bei dem in seinem Frühwerk sein grundsätzliches Thema und die Figuren in ihrer Einsamkeit aufscheinen. Diese Vereinzelung findet sich bei Palmetshofer und Köck wieder, in fragmentierten Sequenzen, die mit einer fragmentierten, kaum zusammenhängend scheinenden Gegenwart zu tun haben.

DIE FURCHE: Sie waren Schüler von Heiner Müller. Was bedeutet es für Sie - mit dieser künstlerischen Herkunft -politisches Theater zu machen?

Suschke: Müller ging es nie vordergründig darum, politisches Theater zu machen, sondern darum, Theater politisch zu machen. Er arbeitete am Schnittpunkt von Politik, Kunst und Geschichte. Und das mit einer außergewöhnlichen Sprache. Es ging um das in die gesellschaftlichen Verhältnisse geworfene Individuum, den Spielraum für seine Interessen, Ängste und Sehnsüchte, letztlich um die Tragödie. Das hing mit Müllers Erfahrung in zwei Diktaturen zusammen. Mittlerweile sind die politischen Ängste als Normierungsmittel abgelöst worden von sozialen, zumindest in Mitteleuropa. Wir wissen, dass auch das private politisch ist. Die Sprachlosigkeit in Beziehungen etwa, die Palmetshofer beschreibt. Aber uns interessiert auch der Alltag politischer Praxis. Deshalb unser Dokumentarstück "SWAP - oder Wem gehört die Stadt" über die Geldbeschaffung mit spekulativen Finanzprodukten. Wenn die Stadt Linz tatsächlich die im Raum stehende Summe bezahlen muss, hat das ganz konkrete Auswirkungen auf jeden Bürger. Da geht es auch um das Analysieren komplizierter Verhältnisse, Aufklärung im angeblich postfaktischen Zeitalter. Aber das alles darf nicht belehrend sein, sondern soll Lust auf Neues machen. Im übrigen geht es darum, ein Klima herzustellen - das habe ich an Müller immer bewundert -, das angstfrei ist.

DIE FURCHE: Im Programm zur ersten Spielzeit sprechen Sie von der "neuen Welt". Was ist damit gemeint?

Suschke: Jeder erfährt die globalisierte Welt als sich ständig verändernde. Die Geschwindigkeit, mit der diese Veränderungen vor sich gehen, macht uns Angst. Der Grund, die Sicherheit, geht verloren. Daher die fast irrationale Sehnsucht nach Heimat. Deshalb haben wir die Reihe HEIMATABEND entwickelt. Mit Musik, Vorträgen und Diskussionen wollen wir herauskriegen, was Heimat ist. Wir teilen die Sehnsucht, einen Platz in der Welt zu finden.

DIE FURCHE: Ihre erste Inszenierung in Linz wird Shakespeares "Sturm" sein. Aufgrund des Umbaus des Schauspielhauses wurde die Premiere auf 1. April verschoben. Wie ist Ihr Zugriff?

Suschke: "Der Sturm" ist ein ebenso großartiges wie schwieriges Stück: Rachetragödie, Liebesgeschichte und Königsdrama sind eng verwoben mit Magie -Grundfiguren von Theater. Das Stück ist so widersprüchlich, so labyrinthisch wie die Welt, in der wir leben und in der wir uns zurechtfinden müssen. Plötzlich stehen die meisten Figuren der sinnabweisenden Stummheit der Natur gegenüber. Darauf müssen sie Antworten finden. Wir auch, täglich, durch das, was wir tun. Um nicht mehr und nicht weniger geht es. Im Theater und im Leben.

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