Soldaten mit Schokoguss

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Pascale Marthine Tayou verwandelt in seiner ersten Einzelausstellung in Österreich das Kunsthaus Bregenz in ein Paradies, in dem man nicht sein möchte.

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Pascale Marthine Tayou verwandelt in seiner ersten Einzelausstellung in Österreich das Kunsthaus Bregenz in ein Paradies, in dem man nicht sein möchte.

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Die Einladung an die Passanten, einmal das Kunsthaus Bregenz zu besuchen, könnte entwaffnender nicht sein. Hat der 1966 in Kamerun geborene, derzeit in Belgien lebende Pascale Marthine Tayou doch in riesigen Neon-Buchstaben "I love you!" über dessen Eingang geschrieben. Ob der neun Meter lange Schriftzug als Liebeserklärung an das Publikum oder an den Spielort seiner ersten Personale in Österreich verstanden werden soll, ist die Frage. Wenn auch irrelevant für die Schau, in der es sehr viel zu sehen, zu verstehen, zu hinterfragen gibt.

Die drei Ausstellungsgeschosse waren Tayou offensichtlich nicht genug, weshalb er auch die Stiegenaufgänge in seine sinnlich bunte Inszenierung einbezogen hat. Um etwa ein schräges Konglomerat aus Vogelhäuschen an die Decke zu montieren. Vordergründig als skulptural daherkommende Installation, bei deren Anblick aber man unwillkürlich an die Slums der Dritten Welt denkt. Welcher soziale Sprengstoff hier schlummert, drückt sich auch in den aggressiv zugespitzten Holzpfählen aus, denen sich der Stiegengeher aussetzen muss, bevor am Ende des dunklen Tunnels ein Verschnitt aus Kreuz, Halbmond und Davidstern aufleuchtet.

Pascale Marthine Tayous Kunst hat sehr viel mit ihm, seinen afrikanischen Wurzeln, seinen Reisen um die Welt und seine Sicht auf sie zu tun. Um sich weder inhaltlich noch formal festnageln zu lassen, wie er bereits bei seinen spektakulären Teilnahmen unter anderem an der Kasseler documenta 2002 oder der venezianischen Biennale drei Jahre später bewiesen hat. Mit Arbeiten in den unterschiedlichsten Medien bespielt Tayou auch das Kunsthaus Bregenz. Mit kleinen Zeichnungen und Objekten genauso wie mit monumentalen Installationen.

Pompöse "Pharaon Kings"

Die oft in dekorativer Opulenz ausgebreitet sind oder auch ganz still in einem Winkel stehen. Wie etwa eine Arbeit, die auf einen ersten Blick wie eine ganz normale Kühl-Gefrierkombination daherkommt. Doch was hat eine solche in einem Kunsthaus zu tun? Und so öffnet man vorsichtig die Tür des "Kühlschranks" und bekommt ein Video zu sehen, das uns das ganz banale arme afrikanische Leben vorführt. Nebenan zweidimensional extrahiert zu Bildern, die aus afrikanischen Erden "gemalt" sind. Reduziert zur abstrakten Struktur, zum tonigen Konstrukt.

Ins Zentrum des ersten Geschosses hat Pascale Marthine Tayou die riesige Installation "Things Fall Apart" gehängt. In hintergründiger Besetztheit, bestückt mit 400 bunt gefärbten afrikanischen Handbesen, 150 Masken, Holzpfählen, Figuren in naivem Kolonialstil und Büchern. Indem die Assemblage von der Decke hängt, wird dem Besucher hier eine auf den Kopf gestellte Welt vorgeführt, eine aus den Fugen geratene.

Denn so augenreizerisch bunt und voller fröhlich erzählerischer Details Tayous Kunst auch ist, sind diese letztlich doch nichts anderes als Vehikel, um den Betrachter zu zwingen, unsere noch immer kolonialistisch gefärbte westliche Sicht auf Afrika und die daraus resultierenden Klischees kritisch zu hinterfragen. Wenn er etwa 400 gefärbte Kalabassen an eine Wand montiert, die genauso zur dekorativen Skulptur stilisierte Schädel sein könnten. In einer Ecke liegt eine "Africonda". Das einzige Bedrohliche an ihr sind die zugespitzten Pfähle, auf der sie zum Knäuel verschlungen liegt, ist sie doch aus bunten Waschlappen genäht und gefüllt mit Heu. Daneben steht eine Armee von "Human Beings". Sonderbare, mit Schokolade übergossene Fetische, die einerseits an afrikanische Stammeskunst erinnern, durch ihre Körper aus Kristallglas aber eigenartige Zwitter unterschiedlicher Kulturen sind.

Die Bilder, die der Künstler in das dritte Geschoss gehängt hat, sind aus alten Kleidern genäht. Als reizvoll reliefartige Landschaften umhängen sie eigenartig glatte Bronzen und einen Haufen kleiner bunter Alabastereier. Das Sagen haben hier zwei pompöse "Pharaon Kings", deren offensichtliche sexuelle Erregtheit eigenartig befremdet. Da eilt man gern zu einem am Boden liegenden Sack, der gefüllt mit Reis ist, zwischen dessen Körnern ein Video flimmert und Vögel zwitschern.

Pascale Marthine Tayou. I love you!

Kunsthaus Bregenz, bis 27.4.2014 www.kunsthaus-bregenz.at

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