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Für die gelungene vierbändige Jura Soyfer-Werkausgabe verlieh der Wirtschaftsverband Wien am 28. April im Rahmen des Bruno Kreisky-Preises für das politische Buch 2002 dem Verlag Deuticke den Sonderpreis.

Vor nicht allzu langer Zeit, als es in Wien noch das Jura-Soyfer-Theater gab, wurde Soyfer häufig gespielt, er galt als revolutionärer Autor mit Zukunftsaussichten, als undogmatischer Linker mit poetischer Potenz, als österreichisch-witzige Antwort auf Brecht, kurz: er war in. Dann kam das Jahr 1989 und mit ihm die rückwirkende Erledigung aller Utopien. Kommunistische Schriftsteller waren plötzlich nicht einmal mehr als Bereiter eines möglichen "Dritten Weges" interessant. Das Brechtsche Schicksal - endlich durfte man die Lehrstücke ungeniert langweilig nennen - schien auch Jura Soyfer zu ereilen.

Umso erstaunlicher, dass zum 90. Geburtstag Soyfers am 8. Dezember 2002 eine neue Werkausgabe in vier Bänden erscheinen konnte. Horst Jarka, der Biograf des Dichters, hat sie mit Eleganz und Akribie besorgt. Gut zwanzig Jahre nach der im ehemals österreichischen Europaverlag publizierten Edition tritt uns das Oeuvre des im 20. Jahrhundert hierzulande wohl bedeutendsten politischen Autors mit einem neuen Antlitz entgegen: solide, handlich, grafisch einladend, modern - einfach schön.

Poetisch, prophetisch

Band I umfasst Soyfers Lyrik, illustriert durch zeitgenössische Karikaturen. Sind auch viele seiner unter der Überschrift "Zwischenrufe links" in der "Arbeiter-Zeitung" erschienenen tagespolitisch zugespitzten Gedichte nur noch von historischem Interesse, so gibt es darüber hinaus etliche, meist grimmig sarkastisch Verse, die, wie Jarka meint, keine Fußnoten brauchen: "Reformiertes deutsches Kirchenlied" etwa oder der "Kapitalistische Segensspruch", prophetische Kommentare zur kriegsträchtigen Lage im Dritten Reich. Und natürlich einige Lieder aus den Stücken, zum Beispiel "Von der Käuflichkeit der Menschen" aus "Astoria", zu dem sich sehr gut die Melodie der Globalisierung pfeifen lässt: "Nur eine Ware geht im Preis nicht mit / Und bleibt die billigste im Land: / Das ist die Ausschußware, Mensch' genannt."

Zum Spannungsfeld zwischen Utopie und Resignation tut eine (Re-)Lektüre der im zweiten Band versammelten Theaterstücke gut: "Der Lechner Edi schaut ins Paradies" oder "Vineta", Dramen, in denen Poesie und Pointen die Propaganda dominieren, rechtfertigen den Vergleich mit Horváth, Brecht und nicht zuletzt Nestroy: Schärfstes Volkstheater ist Soyfers von "Häuptling Abendwind" inspiriertes Kolumbus-Stück "Broadway-Melodie 1492": Nicht nur Freund Friedrich Torberg schätzte es. Die Kaffeehaus-Indianer, die von den Spaniern kolonisiert werden sollen, spotten der Weltwirtschaft Hohn, sie gleichen aber auch Soyfers Landsleuten, denen bald heim ins Reich geleuchtet werden wird. Den Kolumbus spielte 1938 Leon Askenasi, welcher unlängst als Leon Askin in Wien hochbetagt geheiratet hat.

Solche Entdeckungen kann man in dieser Ausgabe zuhauf machen. Neben dem immer noch unterschätzten Roman-Fragment "So starb eine Partei", in dem Jura Soyfer auf spannende Weise mit dem kräfteraubenden Hin-und-Her der Sozialdemokratie im Vorfeld der Februarkämpfe hadert und den Schluss nahelegt, diese habe sich ihr Grab selbst geschaufelt, finden sich bemerkenswerte kleine Prosastücke, politische Reportagen, Kritiken. Besonders interessant ist der vierte Band, der alle überlieferten Briefe enthält, inklusive der Korrespondenz zwischen dem Dichter und seiner Freundin Helli Ultmann, während der Untersuchungshaft im Ständestaat (1937/38) und der Haft im KZ Buchenwald, wo Soyfer am 16. Februar 1939 an Typhus starb.

Ironisch, unpathetisch

Der Sohn eines jüdisch-ukrainischen Fabrikanten war seit der Flucht der Familie vor den Bolschewiken den Zeitstürmen ausgesetzt, er exponierte sich, immer weiter nach links rückend, als Kabarett- und Zeitungsautor an vorderster Front - und doch beeindrucken seine Briefe gerade durch ihre unbekümmerte Plauderlust, ihren (selbst)ironischen Charme, ihre Herzlichkeit. Freilich äußert Soyfer sich darin auch zum "Fascisierungsprozeß" des von ihm bewunderten Karl Kraus. Und er berichtet von einer Deutschlandreise 1932, er habe in Braunschweig Hitler gehört und sei "über die Geistlosigkeit und Brutalität dieses Massenbezauberers baff" gewesen. Vor allem aber lernen wir einen uneitlen, lustigen und herzerfrischend unpathetischen Liebesbriefschreiber kennen, der sich ganz offen und durchaus zeitgemäß auf die "seelische Treue" zu seinen Partnerinnen konzentriert.

Vorworte für die einzelnen Bände haben Ilse Aichinger, Franz Vranitzky und Otto Tausig beigesteuert: Auch das lässt hoffen, dass Jura Soyfer heute nicht mehr in der Pacht einer Partei steht, sondern bei den österreichischen Klassikern angekommen ist.

Jura Soyfer: Werkausgabe Hg. von Horst Jarka, 4 Bde: Auf uns kommt's an!; Sturmzeit; So starb eine Partei; Zwischenrufe links. Deuticke Verlag, Wien 2002, geb., in Kassette, e 74,90

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