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Mit einem Fuß im Partygedränge und mit dem anderen im Kanu. Ein Schlüsselroman über die afrikanischen Intellektuellen.

Es gärt in Nigeria. Das Land ist seit 1960 unabhängig, der Kolonialismus offiziell Geschichte. Von Befreiung und Reinigung ist jedoch auch fünf Jahre später, zur Zeit des Romans, keine Spur. Der Regen hat auch seit Wole Soyinkas Roman "Die Ausleger", der nun mit 37 Jahren Verspätung auf Deutsch erschien, die Probleme nicht fortgewaschen, darum ist er noch immer aktuell. Die Metaphorik des Regens zieht sich durch den Schlüsselroman des ersten afrikanischen Nobelpreisträgers, der wegen Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung in Biafra in den siebziger Jahren eingesperrt wurde und in den Neunzigern wegen seines Protests gegen die nigerianische Regierung mehrfach mit dem Tod bedroht wurde.

"Ich frage mich die ganze Zeit, was tun wir eigentlich? Außer die Herolde der Zukunft zu stützen, die im Herzen Sklaven und wehleidige Typen sind, abgesehen davon, was tun wir? Habt ihr nie das Gefühl, euer ganzes Leben wäre eine durchsichtige Wasseroberfläche, die die Last von Idioten trägt, bloß ein Übergang, ein reflektierendes Medium oder eine rein zufällige Masse, kontrolliert von Gärstoffen, auf die ihr keinen Einfluss habt?" Diese Stelle drückt die Stimmung der sechs Intellektuellen im Roman aus, kann aber auch als Warnung vor der verschlüsselten und hermetischen Bildsprache des Autors gelten, der es dem Leser nicht leicht macht. Nicht nur mit seiner Sprache, sondern auch mit seiner Art zu erzählen. Man muss stets den afrikanischen Hintergrund mitdenken, um die vielen Anspielungen verstehen zu können. Der Schleier der Magie hebt sich nur langsam und die zuweilen technisch anmutende Sprache stellt eine Unzahl gefährlicher Hindernisse in den Flusslauf der Erzählung.

Soyinka vollführt einen Spagat zwischen der afrikanischen Tradition und Kultur und der klassischen Moderne. Programmatisch war schon sein erstes Buch "A Shuttle in the Crypt", in dem er sich mit archetypischen Figuren der europäischen Kulturgeschichte beschäftigte, darunter Hamlet, Gulliver und Ulysses. Mit einem Fuß stehen die Protagonisten auf einer Cocktailparty, mit dem anderen im Kanu. Die Vergangenheit und die Tradition lassen Egbo, den Spitzenbeamten im Außenministerium, Sekonie, den Ingenieur, Sagoe, den Journalisten, Kola, den Künstler und Bandele, den Wissenschafter, nicht los. Tradition und Vergangenheit sind nicht bloß Elemente der Identität, sondern bergen einen Fluch in sich, drohen die Personen zu erdrücken: "Du redest dauernd von der Vergangenheit, als gäbe es für uns keinen Raum. ... Sie sollte tot sein. Und ich meine nicht nur einfach körperlich ausgelöscht. Nein, was ich meine, ist dieses lebende Fossil innerhalb unserer Gesellschaft, die toten Zweige am lebenden Baum, tote Ausläufer eines Baumstammes. Wenn Leute gestorben sind, im einen wie im anderen Sinne, dann sollte es egal sein, was sie uns bedeutet haben. Sie sind es den Lebenden schuldig, dass sie schnell und gründlich vergessen werden, das wäre nützlich."

Wo nicht die Vergangenheit regiert, hat sich die Korruption breit gemacht. Die Parties sind die Bühne für die Vertreter dieser Kaste der käuflichen Jasager, die die Etikette als Panzerung benutzen, um gemütlich durchs Leben kommen. Ein schrilles und buntes Panorama, das zu zerstören die Intellektuellen weder die Macht noch die Möglichkeiten haben. Was ihnen bleibt, sind Zynismus und eine Überheblichkeit, die "selbst einen Heiligen verrückt machen könnte". In Aktion und Abrechnung schlägt diese Außenseiterposition in Form eines Widerstandes um, dessen großer Bruder die pubertäre Auflehnung und Provokation ist, wenn zum Beispiel während der Empfänge die Identitäten gewechselt werden, wenn mit den Plastikfrüchten der Tischdekoration geschossen wird, wenn einem Minister die Fäkalienentsorgung mit Eseln und Zügen als genialer Plan eingeredet wird und sich diese Passage in einer Rede des Politikers wiederfindet.

Die Sechs sind zum Scheitern verurteilt. Sekoni muss einsehen, dass seine Pläne für ein Kraftwerk Makulatur sind. Sagoes journalistische Recherchen über Missstände werden meistens nicht veröffentlicht, aber der Chefredakteur lässt die Betroffenen wissen, was die Zeitung über sie herausgefunden hat: "Wenn die meinen, sie können's verkraften, dann kriegen wir grünes Licht. Wenn nicht, dann sagen die: Veröffentlicht, nur wir haben da gewisse Dinge über Soundso in der Hand ... und schicken uns eine Kopie ihrer Sache." Zynismus ist eine Fluchtmöglichkeit, für Kola ist die Kunst eine andere. Die Suche nach religiösen Gegenmodellen ist einen Ausflug wert, eine kleine Kirchengemeinde nennt ihren "Christus" Lazarus, ihm folgen sie in die Kirche. Diese religiöse Gruppe, die Sagoe, Kola & Co. aufsuchen, ist nur ein kleines Mosaiksteinchen. Die Berichte der Medien über religiöse Scharlatane nützen nichts. "Grimmigst" haben die Zeitungen einen "Propheten" angegriffen, der von sich behauptet, er sei nicht gekommen, um zu leiden, sondern um das Leben zu genießen. "Er blüht und gedeiht besser als vorher. Großes Transportunternehmen, eine Bäckerei, ein riesiger Harem. Zwei Prozesse wegen Verführung hat er unbeschadet überstanden."

Kein bisschen Hoffnung in diesem Nigeria? Kein bisschen Lebensfreude für Intellektuelle, die sich nicht korrumpieren lassen wollen? Nur Streit und Zank und Biergelage? In der Bildsprache Soyinkas ist der Regen nicht nur Bedrohung und abgestandenes Wasser der Beginn der Fäulnis. An einem Fluss findet Egbo eine Pilgerstätte. Wäre er nicht ausgestiegen, während der Zug Wasser und Ballast aufnahm und hätte beschlossen, zum Fluss Ogun zu gehen, um auf den Felsen die Nacht zu verbringen, hätte er die Chance verpasst, am nächsten Morgen "verwundert im Leben zu baden" und seine Erpressbarkeit durch Furcht zu erkennen. Aber "welcher Reisende wagte sich in die Höhle der Götter und ginge ohne göttliche Gabe davon? Erkenntnis nannte er es, Macht über das Schöne oft auch, eine Bewusstheit" Und in den Armen von Simi findet Egbo zumindest für kurze Zeit ein Gefühl abseits von Raum und Zeit, "denn sein Körper war in jenem Augenblick mit Gelatinefäden an Himmel und Erde zugleich geheftet gewesen, und die Zugkraft des Lebens, die aus dem Inneren seiner Sinnlichkeit erwuchs, hatte er wie das Bersten aller Himmelsgewölbe und wie Vulkanausbrüche aus dem Kern der Erde empfunden." Eine kurze Gegenwelt, einen Ausbruch ins Leben lässt Wole Soyinka seinen Geschöpfen also doch offen.

DIE AUSLEGER

Roman von Wole Soyinka

Ammann Verlag, Zürich 2002

343 Seiten, brosch., e 22,60

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