Sozial lernende und lehrende Kirche

Werbung
Werbung
Werbung

Vor 120 Jahren veröffentlichte Leo XIII. die Sozialenzyklika "Rerum Novarum“ Dies war der Startschuss zur Entwicklung der Katholischen Soziallehre.

Es war ein Befreiungsschlag aus einer - auch selbst verschuldeten - Isolation: Vor 120 Jahren beendete Papst Leo XIII. durch die Enzyklika "Rerum Novarum“ den völlig ungenügenden Umgang der katholischen Kirchenspitze mit der Arbeiterfrage. Mit diesem Dokument aus dem Jahr 1891 beginnt die Ära der Katholischen Soziallehre, die von den Päpsten seither fortgeschrieben wurde - zuletzt setzte sich Benedikt XVI. 2009 in seiner Enzyklika "Caritas in veritate“ mit Wirtschafts- und Sozialfragen auseinander.

Das runde Jubiläum nimmt die Katholische Sozialakademie, sozusagen die institutionelle Wächterin der Katholischen Soziallehre in Österreich und Thinktank zum Thema, zum Anlass, um auf die enorme Bedeutung der katholischen Sozialverkündigung hinzuweisen.

Eine grundlegend neue Lehre

Bei einer Pressekonferenz in Wien bezeichnete Markus Schlagnitweit ebendiese Soziallehre als "antizyklisches Korrektiv zu dominanten gesellschaftspolitischen Tendenzen bzw. Ideologien“: Der katholische Sozialethiker und Priester hob dabei das grundlegend Neue hervor, das diese "Lehre“ im katholischen Kontext gebracht habe: Das kirchliche Lehramt sei hier nicht mehr - wie in anderen Bereichen - "mit dem Impetus eines unverrückbaren, ewig gültigen Lehrgebäudes“ aufgetreten, sondern müsse als "zeitgemäße Antwort auf soziale Fragen in einem je spezifischen zeitgeschichtlichen Kontext“ verstanden werden. Prinzipien wie Solidarität oder Subsidiarität, auf denen die Soziallehre fußt, hätten nichts von ihrer Aktualität verloren, so Schlagnitweit.

Johannes Pauls II. Aussagen zu einer gerechten Wirtschaft und Arbeitswelt etwa sind bis heute anerkannt, und auch die Überlegungen seines Nachfolgers zu einer menschenfreundlichen (Wirtschafts-)Ethik, die etwa gerade im Lichte der jüngsten Finanzkrise wichtig sei, bestätigen diesen Befund. "Soziallehre entsteht aus Sozialbewegung“: Auf diesen Punkt bringt es Alois Riedlsperger, Jesuit und Direktor der Katholischen Sozialakademie (ksoe).

Riedlsperger wies bei der Pressekonferenz darauf hin, dass im Zuge der Entwicklung ihrer Soziallehre die Kirche selber eine Lernende geworden sei: So habe sich der österreichische Ständestaat in seiner Konzeption auf die Sozialenzyklika "Quadragesimo anno“ von Pius XI. berufen. Der mehr oder weniger unverhohlene Vorwurf, sie sei an der Wiege des Austrofaschismus gestanden, sei der katholischen Kirche aber nicht gut bekommen. Heute distanziere sie sich, so Riedlsperger, von politischen Programmen und Systemen, sie achte vielmehr darauf, dass sie nicht in irgendeiner Form damit vergemeinschaftet werde.

Freie Kirche in freier Gesellschaft

Das gilt auch fürs Nachkriegsösterreich: Hier hat sich die katholische Kirche mit dem Mariazeller Manifest 1952 ("Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“) von jeder Vereinnahmung durch eine Partei oder Politik verabschiedet. Riedlsperger wies darauf hin, dass aus dieser Haltung auch die beiden Sozialhirtenbriefe von 1956 und 1990 erwuchsen, die lokale Meilensteine auf dem Soziallehre-Weg waren.

Zuletzt hat die katholische Kirche durch die Beteiligung am Ökumenischen Sozialwort von 2003 über den eigenen Bereich hinaus eine gemeinsame Basis mit den anderen christlichen Kirchen des Landes zu sozialen Fragen gefunden. In diesem Ökumenischen Sozialwort wurde etwa, so Riedlsperger, schon ein halbes Jahrzehnt vor der jüngsten Krise eine Neuordnung der weltweiten Finanzmärkte gefordert.

Anlässlich des 120-Jahr-Jubiläums dieser Soziallehre hat die Katholische Sozialakademie das Dossier "Soziallehre - in Bewegung“ herausgebracht, in dem eine Bestandsaufnahme, aber auch Kritik der sozialen Doktrin der Kirche unternommen wird. Am 14./15. Mai widmet sich dem im niederösterreichischen Horn bzw. im nahen Stift Altenburg ein Studienwochenende (Infos: www.ksoe.at).

Zwei weitere Jubiläen

Gleichzeitig mit 120 Jahre "Rerum Novarum“ jubiliert auch die Katholische Arbeitnehmer/innenbewegung Österreich (KABÖ), die vor genau 60 Jahren gegründet wurde. Die KABÖ versteht sich als "Sozialbewegung“, die sich um die Verwirklichung der Katholischen Soziallehre müht. So setzt sich diese Teilorganisation der Katholischen Aktion mit der Frage der Steuergerechtigkeit auseinander und hat, wie Bundessekretärin Maria Etl auf der Presskonferenz in Wien darlegte, dazu die Kampagne "Wege aus der Krise“ dazu initiiert (www.wege-aus-der-krise).

Ein weiteres "Jubiläum“ begeht die niederösterreichische Papst-Leo-Stiftung, die seit 25 Jahren Preise für die Verdienste um die Katholische Soziallehre vergibt.Die diesjährigen Preise werden im Rahmen des 120-Jahr-Jubiläums der Katholischen Soziallehre am 14. Mai in Horn vergeben: Einer der beiden Preisträger ist das Integrationshaus Innsbruck, das Aidskranken, Obdachlosen, Drogenabhängigen und Flüchtlingen eine Unterkunft bietet. Als zweiter Preisträger wird der Sozialaktivist Alois Reisenbichler, der sich seit Jahren um den Dialog zwischen der katholischen Kirchen und der Sozialdemokratie müht, geehrt.

Frühere Papst-Leo-Preisträger waren unter anderem der Sozialethiker Johannes Schasching SJ, die damalige Innenministerin Liese Prokop, der ehemalige Linzer Bischof Maximilian Aichern sowie die Salzburger Ordensfrau Maria Herlinde Moises, die in Kolumbien wegen ihres Einsatzes für Landarbeiter von Todesschwadronen verschleppt worden war (Infos: www.kaboe.at).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung