Späte Sommerliebe

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Eine ungewöhnliche Beziehung und die adäquate Sprache.

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Eine ungewöhnliche Beziehung und die adäquate Sprache.

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Ein Mann mittleren Alters kommt wegen einer Zeitungsannonce für Gartenarbeiten zu einer alten Dame. Sie liegt hilflos am Fußboden ihres Hauses. Sie ist hingefallen und kann allein nicht mehr aufstehen. Sie ist blind, sagt sie. Und das ist der Auftakt zu einem gemeinsamen Sommer, zur außergewöhnlichen Liebe zwischen dem schweigsamen Werner und der vor Lebendigkeit übersprudelnden Frau Arlette. Der junge Berliner Schriftsteller Arne Roß läßt in seinem Roman Frau Arlette die Figuren sprechen, ihre persönlichen Worte finden, der Erzähler hält sich nahezu unbemerkt im Hintergrund. Sprachgewaltig, in einer Ausdrucksweise, die in ihrer Präzision und dem wiederholten Insistieren auf manchen Punkten zuweilen an Thomas Bernhard erinnert, schlägt die 80jährige Frau Arlette allmählich den 50jährigen Werner in ihren Bann. Er erscheint losgelöst von seiner Vorgeschichte und aus allen früheren Beziehungen. Er wohnt bei ihr im Haus, schläft bei ihr im Bett, scheint ihre Welt niemals zu verlassen, kein eigenes Leben zu haben. Es zählt nur die Gegenwart, Mai, Juni, Juli, August, September, die Monate ihrer Sommerliebe, die ebenso allmählich schwindet, wie sie sich angebahnt hat.

Roß verbindet gekonnt Inhalt und Form: Es gibt keine Großschreibung am Anfang der Absätze, keinen Punkt an ihrem Schluß, es ist, als wären sie allesamt einem größeren Zusammenhang entnommen, wie auch die ganze Handlung sorgsam aus dem komplexen Geflecht des Lebens herauspräpariert scheint. Es gibt keine Vorausschau, kaum Rückblenden, die außergewöhnliche Liebe zweier ungleicher Menschen wird isoliert betrachtet, und Überblick über das Geschehen bewahrt einzig und allein Frau Arlette selbst: "Man muß, wenn man anfängt, immer das Ende mitdenken, nur so kann man die Zügel in der Hand behalten". Die blinde alte Frau ist trotz ihrer zeitweiligen Hilflosigkeit außerordentlich stark und selbständig. Auch wird wieder manchmal Innen und Außen verknüpft, erhalten banale Kleinigkeiten große Bedeutung. Ordnung ist wichtig für Blinde, nur sehend kann man sich im Chaos zurechtfinden, Frau Arlette hingegen hat die Umwelt auswendig gelernt, um sich in ihr mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegen zu können, doch manchmal irrt sie sich ...

Arne Roß hat nicht zuletzt einen Roman über Vergänglichkeit geschrieben, über den zum Scheitern verurteilten Versuch, sich in Traditionen und Gewohnheiten zu retten, durch äußerliche Regelungen das innere Leben zu bestimmen. Aber es ist nicht nur ein melancholisches Buch, der Leser wird ebenso Zeuge von sonnigen Nachmittagen, erlesenen Momenten des Glücklichseins und davon, daß man für die Liebe nie zu alt ist.

FRAU ARLETTE Roman von Arne Roß Verlag DuMont, Köln 1999 176 Seiten, geb., öS 234.-/e 17,

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