Es gibt eine traditionelle Einheit zwischen dem Gott Israels, dem Volk und dem Land Israel. Deswegen die Regel, dass das Wohnen im Land alle anderen Gebote aufwiegt. Denn für orthodoxe Juden ist das Halten der 613 Ge- und Verbote eng mit dem Land Israel verknüpft. Sehr viele dieser Ge- und Verbote lassen sich nur dort richtig halten. Tatsache ist aber auch: jüdische Erfahrung bewegt sich längst elliptisch zwischen zwei Polen. Der eine ist das Land und der Staat Israel, und der andere ist die Diaspora. Das hat schon mit dem babylonischen Exil im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung begonnen und wurde endgültig wahr mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70.
Mit anderen Worten, die Existenz in der Diaspora ist für Juden nie nur eine Notsituation gewesen, mit Defiziten behaftet, sondern sie hat für das Judentum von jeher auch einen positiven Beitrag geleistet. Ja, das, was wir heute als Judentum wahrnehmen, das rabbinische Judentum, ist in der Zerstreuung erst richtig zum Tragen gekommen, als Juden die Eigenstaatlichkeit endgültig verloren hatten. So sind Juden früh zu Spezialisten der Mobilität geworden. Oft hat ihre Umwelt sehr dazu beigetragen, gerade die christliche. Vergleichsweise besser war es unter islamischer Herrschaft. Rabbiner Isaak Zarfati lud 1470 alle deutschsprachigen jüdischen Gemeinden ein, sich doch im Osmanischen Reich anzusiedeln. Und als Isabella die Katholische ihr Spanien endgültig "judenrein“ haben wollte, schickte 1492 Sultan Bayezid II. Schiffe und nahm viele Juden bei sich auf. Er versprach sich Impulse für sein Land, weil Juden als Händler seit jeher zu den Katalysatoren der Globalisierung gehört haben. So wurde die Tora, um mit Heinrich Heine zu sprechen, das "portative Vaterland“ der Juden. Und Mobilität zu einem Markstein jüdischer Identität.
Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin
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