Spielball des androgynen Gottes

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Silviu Purcarete inszenierte am Burgtheater poetisch-phantasievoll, aber nicht ganz schlüssig die "Bakchen" des Euripides.

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Silviu Purcarete inszenierte am Burgtheater poetisch-phantasievoll, aber nicht ganz schlüssig die "Bakchen" des Euripides.

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Wer nicht gewußt hat, daß Dionysos im alten Griechenland unter anderem auch der Gott des Theaters war, merkt es jetzt im Wiener Burgtheater. In Tiergestalt, als Mann, vor allem aber als Frau nähert er sich den Menschen, benebelt ihre Sinne, läßt sie in Ekstase geraten und rächt sich furchtbar an denen, die ihn nicht ehren wollen.

Den Bakchen, jenen auch Mänaden genannten fanatischen Frauen, die diesem Gott leidenschaftlich huldigen, hat Euripides, der letzte der drei großen griechischen Tragödiendichter, vor 2.400 Jahren ein Drama gewidmet, das nach wie vor Rätsel aufwirft: Ist es eine Zurechtweisung des Menschen, der glaubt, die Götter mißachten zu können? Oder ist es als Anklage jener zu verstehen, die in religiöser Verblendung sich und andere schädigen? Oder kommt darin nur die Ohnmacht des Menschen gegenüber seinen Trieben und Leidenschaften zum Ausdruck, beziehungsweise gegenüber seinem Schicksal, das vielleicht ein Gott lenkt, vielleicht aber auch nicht? Aus seinem Gesamtwerk wissen wir jedenfalls, daß Euripides ein aufgeklärter Geist und kein frommer Traditionalist war und den alten Mythos sicher eher als Warnung vor blindem Glauben denn als Aufruf zur Götterverehrung deuten wollte.

Die Geschichte von der Herkunft des Dionysos wird in einem langen Monolog zu Beginn erzählt. Zeus hat ihn mit der thebanischen Königstochter Semele gezeugt, diese verbrannte bei dem Wunsch, den Göttervater in seiner ganzen Stärke zu sehen, der Fötus reifte von da an im Schenkel des Zeus heran und wurde zum Gott alles Flüssigen - vom Wein bis zu den Körpersäften. Doch Pentheus, der junge König von Theben, Sohn von Semeles Schwester Agaue, sagt dem einsetzenden Dionysos-Kult den Kampf an, hört nicht auf die Warnungen seines Großvaters Kadmos oder des Sehers Tiresias, das rechte Maß zu halten.

Dionysos verwirrt ihn und erfüllt ihn mit der Begierde, die Bakchen bei ihren Orgien auf dem Kithairon-Gebirge zu beobachten. So begibt sich Pentheus als Frau verkleidet - im Burgtheater freilich gar nicht bekleidet - dorthin und wird von den Bakchen für Jagdbeute gehalten und als solche zerfleischt. Die Tragödie endet, nachdem die an diesem Massaker führend beteiligte Agaue entsetzt den entstellten Leichnam ihres Sohnes und mit Kadmos darin die Rache des Dionysos erkannt hat.

Das rechte Maß fehlt weniger der Neubearbeitung durch Raoul Schrott als vielmehr der Inszenierung des Rumänen Silviu Purcarete. Das Geschehen von Anfang an um einen - sprachlich hervorragenden - Knaben (Reinhard Führer) inmitten seiner Stofftiere zu ranken, rückt den Mythos in die Nähe des Kindermärchens. Im nahezu perfekten Einsatz stimmiger Musik und in manchen Bildern (Ausstattung: Helmut Stürmer) läßt Purcarete als Regisseur Klasse aufblitzen, sicher mehr als ein Frank Castorf, aber ganz schlüssig wird seine poetisch-phantasievolle Inszenierung nicht.

Auf dem Höhepunkt rinnt schließlich in Hermann-Nitsch-Manier Theaterblut über die Kulissen, stellen rotgefärbte Papiersäcke den zerfledderten Körper dar, aus dem sich bald die Bakchen an Weintrauben und Melonen laben. Der Saft aus den von ihnen genüßlich zerquetschten Früchten macht dann die Bühne, an deren Seite als stummer Zaungast längst wieder der massakrierte Pentheus Platz genommen hat, geradezu zur Rutschbahn.

Den von der Regie androgyn angelegten Dionysos gestaltet Sylvie Rohrer fast zu komödiantisch und zu sympathisch, den Pentheus des trefflichen Nicholas Ofczarek führte nicht nur Dionysos, sondern auch die Regie falsche Pfade. Am meisten berührt die Klage von Kirsten Dene (Agaue) das Publikum, während Wolfgang Gasser (Kadmos) und Heinz Schubert (Tiresias) im guten Sinn altbewährtes Burgtheater bieten. Mit dem antiken Chor tun sich heutige Inszenierungen stets schwer. So sprachgewaltig hier die Mitwirkenden, allen voran Elisabeth Orth, agieren, ein Team aus einem Guß war zumindest bei der Premiere noch nicht ganz vorhanden.

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