„Spiele, als ginge es um dein Leben“

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Am 16. Mai wäre Friedrich Gulda, einer der bedeutendsten und widersprüchlichsten Musiker der jüngeren Vergangenheit, achtzig Jahre alt geworden. Als Pianist war er herausragend und unverwechselbar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es Sport und Kultur, die den Staaten, die zu den Verlierern zählten, halfen, ihr Selbstbewusstsein wiederzugewinnen. In Deutschland war es der überraschende Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern, der als ein solches markantes Ereignis gefeiert wurde und wird. Für Österreich fand dieses bereits 1946 statt. Damals gewann der erst 16-jährige Wiener Friedrich Gulda den ersten Preis beim Concours International d’exécution musicale de Genève. Das war zugleich der Start in eine Weltkarriere, die, hätte er es nicht anders gewollt, bis zu seinem Tod hätte andauern können. Und anfangs fügte er sich auch in das Schicksal seiner eminenten Begabung, erfüllte in aller Welt die Erwartungen, die man in einen gerade aufblühenden Star setzte.

Sein „Weltmeister“ war Mozart

Nicht weniger als dreimal sollte er jenes Kompendium für den Rundfunk und Platte aufnehmen, das bis heute auch für weniger musikalisch Interessierte mit seinem Namen unmittelbar verknüpft ist: die Klaviersonaten Ludwig van Beethovens. Radikaler sind diese Werke, bewusst ohne jegliche Art von Psychologie, nie eingespielt worden. Niemand vermochte ihre Strukturen so klar und spannend nachzeichnen wie Friedrich Gulda.

Trotzdem, sein „Weltmeister“, wie er zu sagen pflegte, war Mozart. Zufall ist es unter solchen Auspizien wohl nicht, dass er an einem Mozart-Geburtstag, dem 27. Jänner 2000, in Weißenbach am Attersee, wo er die letzte Zeit seines Lebens verbrachte, starb. Mozart bedeutete für ihn das Höchste. Gulda war auch sein kongenialer Interpret. Selbstverständlicher, gelassener, zugleich aufregender hat man seine Sonaten und einzelne Konzerte nie wieder gehört.

Klassik war nur die eine Seite dieses Ausnahmekünstlers. Früh kam er mit dem Jazz in Berührung. In späteren Jahren wurde er von der Klassik-Szene, die meinte, ihn vereinnahmen zu müssen, für seine Versuche in der freien Musik, wie er sie mit der Gruppe Anima präsentierte, gescholten. Auch der Komponist Gulda musste sich sagen lassen, dass er mit seinem Œuvre nicht an seine Spitzenleistungen als Klassikpianist heranreiche. Konflikte, gleichermaßen mit Veranstaltern und Kritikern, waren die Folge.

Sich selbst immer treu geblieben

Heute, in etwas zeitlicherem Abstand, beginnt man – wie sich auch in dem zum Gulda-Geburtstag erschienenen Buch von Irene Suchy, „Friedrich Gulda. Ich-Theater“ (Styria Verlag) nachlesen lässt, ein weiteres Gulda-Buch aus der Feder seines mittleren Sohnes Paul ist für demnächst zu erwarten – diese Fakten zu relativieren. Aus heutiger Sicht war dieser „bürgerliche Revolutionär“ nur seiner Zeit voraus. Was gäben Veranstalter, Musikindustrie, gewiss auch eine Mehrzahl des Publikums dafür, hätten sie einen Crossover-Künstler wie ihn. Einen, der alle Musik ernst nimmt, sich bewusst von nichts einschränken lässt. Oder, mit den Worten des 24-jährigen Gulda: „Spiel jeden Ton so, als ob es um dein Leben ginge! Mitdenken! Ja nicht die Finger laufen lassen! Bei Klassik – bei Jazz – ganz egal!“

Diesem Credo ist er bis zuletzt treu geblieben. Was auch von Glenn Gould überliefert ist, nämlich, dass Klavierspielen zuerst mit dem Kopf, dann erst mit den Fingern zu tun hat, davon war auch Gulda nicht nur überzeugt, sondern hat es, egal in welchem musikalischen Metier, immer wieder vorgelebt. Wer seine Konzerte besuchte, hat es heute noch in lebendiger Erinnerung. Seine Aufnahmen, auch schon die sehr frühen, die demonstrieren, welche Reife er schon in jugendlichen Jahren besaß, dokumentieren es ebenfalls.

Ein wegweisender Lehrer

„Kein Leben in Österreich. Warum? Ein Reservat. Für touristengeldträchtigen Vergangenheitskult“, formulierte Gulda, der tatsächliche einige Zeit im Ausland verbrachte, Ende der 1960er- Jahre. Bei aller Kritik, die von ihm immer wieder, und durchaus zu Recht, zum Musikland Österreich aufflammte, blieb das Land Mozarts doch bis zuletzt auch seine physische Heimat. Am 16. Mai wäre er achtzig. Im Konzerthaus, wo er 1969 seinen legendären Beethoven-Zyklus absolvierte, zum letzten Mal mit den Wiener Philharmonikern ein Mozart-Konzert – und das himmlisch – interpretierte, richtet man dafür einen sehr langen Abend aus. Mit dabei, neben seinen klavierspielenden Söhnen Paul und Rico, seine Meisterschülerin Martha Argerich. Denn auch das war dieser famose Friedrich Gulda: ein wegweisender Lehrer.

Friedrich Gulda Ich-Theater

von Irene Suchy Styria Verlag, 2010, 311 Seiten, e 24,95

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