Spirituell aufgeladene Wachsgeschosse

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Mit "Shooting Into The Corner" zeigt das Museum für Angewandte Kunst in Wien eine fesselnde Ausstellung des britischen Künstlers Anish Kapoor. Er versteht es, Bildhauerei, Materialität und Immaterialität miteinander kommunizieren zu lassen.

Mit blauem Farbpigment ausgekleidete Sandsteine, monumentale rote Wachszylinder, leuchtend goldene Kugeln. Der britische, 1954 in Bombay geborene Bildhauer Anish Kapoor vermag mit seinen reduzierten und spirituell aufgeladenen Skulpturen Ausstellungsbesucher gleichermaßen zu fesseln wie Kunsttheoretiker, Philosophen und Theologen. Bietet sich sein Werk doch mit den elementaren organischen Formen und dem sinnlichen Einsatz von Farben und Materialien für unendlich viele Deutungen an. Von einer Kunst des Erhabenen und Sublimen ist da die Rede, von der Nähe zu Größen wie Caspar David Friedrich und Joseph Beuys. Ein gefundenes Fressen ist Kapoors Werk auch, da in ihm "westliche" und außereuropäische Traditionen aufeinandertreffen - ganz abgesehen davon, dass es die Auseinandersetzung mit den Weltreligionen spiegelt. Zugleich gelingt es ihm wie keinem zweiten gegenwärtigen Bildhauer, Materialität und Immaterialität miteinander kommunizieren zu lassen. So meinte Kapoor einmal, er versuche "Objekte zu kreieren, die zugleich keine Objekte sind".

Beeindruckende Raumgestaltung

Durch das Spiel mit Licht und Dunkelheit, mit Präsenz und Abwesenheit ergibt sich eine Nähe zu religiösen Fragestellungen. Mit ein Grund, warum Kapoor immer wieder eingeladen wird, in Sakralräumen künstlerische Interventionen zu setzen. Wie gelungen sich dieser Dialog zwischen Gegenwartskunst und einem historischen Raum gestalten kann, war 1997 auch in Graz zu erleben. Hier hatte Kapoor im Rahmen der Ausstellungsreihe "entgegen" in einem frühbarocken Mausoleum eine kugelförmige, vergoldete Skulptur platziert, auf der sich bei offener Tür das Licht von außen spiegelte. Das nach innen eingewölbte Kugelobjekt nahm die Atmosphäre und Geschichtlichkeit des üppigen Raumes wie ein Kraftzentrum in sich auf und strahlte es gebündelt auf die Betrachter zurück. Überhaupt ist eines der Hauptmerkmale von Kapoors Kunst, die Besucher durch seine Raumgestaltungen dazu zu bringen, sich mit ihrer eigenen Wahrnehmung auseinanderzusetzen. "Es ist ja erstaunlich, dass Objekte ähnliche Räume erschließen können wie das Bewusstsein", meinte er einmal in einem Gespräch.

Wie unverkennbar Kapoors bildhauerischer Zugang ist, wurde für eine breitere Öffentlichkeit erstmals bei der Biennale in Venedig 1990 sichtbar. Hier fiel Kapoor mit seinen monolithischen Steinobjekten so überzeugend auf, dass er mit dem "Premio 2000" ausgezeichnet wurde. Der endgültige Durchbruch gelang ihm in den nächsten zwei Jahren: 1991 wurde er mit dem begehrten Turnerpreis geehrt, ein Jahr später war Kapoors Raum "Descent into Limbo" die Hauptattraktion bei der Documenta IX in Kassel. Dabei war die Gestaltung äußerst schlicht. Beim Betreten eines Betonhäuschens sah man in der Mitte nichts als einen drei Meter großen Kreis - ein Samtteppich, so die erste Vermutung. Bei näherer Betrachtung entpuppte sich die tiefblaue "Platte" als riesiges Loch im Boden, dessen Tiefe unendlich schien. Ein Eindruck, der durch die Präsenz eines Museumswärters verstärkt wurde, der die Besucher am "Fallen in das Nichts" hinderte.

Weniger meditativ gibt sich das aktuelle Werk des internationalen Bildhauerstars, wie eine Ausstellung im MAK anhand vier monumentaler Objekte zeigt. Gleich beim Betreten des Hauptraums im Untergeschoß präsentiert sich der Bildhauer von einer ungewohnt kämpferischen Seite. Alle zwanzig Minuten schleudert eine "Kanone" in Form eines Druckluftkompressors unter großem Getöse elf Kilo schwere Geschosse aus rotem Wachs in die gegenüberliegende Ecke. Dort rinnt es platt gedrückt langsam die Wand herunter, bildet einen immer größer werdenden Wachsberg, schließlich sollen im Laufe der Ausstellung 20 Tonnen Wachs "verschossen" werden. Assoziationen zu Gewalt, Blut, Exzess stellen sich ein. Wien als Geburtsstadt der Psychoanalyse und Wirkstätte der Wiener Aktionisten habe ihn zu diesen ungewohnt expressiv-erotischen Werken inspiriert, so Anish Kapoor. Vertrauter erscheint da schon "Past, Present, Future" (2006) im Nachbarraum. Hier dominieren wieder Reduktion, Geometrie und Entschleunigung. Eine von einem Motor getriebene Stahlplatte trägt Wachs von einer blutroten riesigen Wachskugel ab - so langsam, dass man es während des Rundgangs kaum wahrnimmt.

Transformation, Entstehung und Zerstörung

Dass es bei diesen Arbeiten um Transformationen, um Entstehung und Zerstörung geht, erschließt sich rasch. Aber im Grunde sind all diese aufgeladenen inhaltlichen Deutungen bei Kapoor überflüssig. Seine Skulpturen lassen sich für Jung und Alt auch ohne kunstwissenschaftliche Beipacktexte erfahren - so man sich auf die Ästhetik von sinnlichen, weichen Wachskolossen einlassen möchte. Und sie zeigen, dass die Skulptur auch in Zeiten von Videoinstallationen und Fotorecherchen aufgrund ihrer Körperlichkeit durch nichts zu ersetzen ist. Ganz im Sinne des Schriftstellers Johann Gottfried Herder, der sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts als großer Befürworter der Bildhauerkunst outete: "Die Bildnerei ist Wahrheit, die Malerei Traum."

Anish Kapoor. Shooting Into The Corner

MAK-Schausammlung, Stubenring 5, 1010 Wien

bis 19. April, Mi-So 10-18 Uhr, Di 10-24 Uhr

Katalog hrsg. von Peter Noever, MAK,

Wien 2009, 136 S., E 9,90

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