Spirituell und politisch

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Mit der "Wallfahrt der Völker" fand der Mitteleuropäische Katholikentag seinen Höhepunkt und Abschluss. Blitzlichter vom kirchlichen Groß- ereignis in Mariazell - eine Kooperation der furche mit der Österreichischen Bischofskonferenz*): Kardinal Schönborn zieht Bilanz über den einjährigen Prozess des Katholikentags (Seite 10), die "Botschaft von Mariazell" (Seite 11), Reportage von den Jugendevents (Seite 12) sowie Statements von Politikern und Pilgern aus den Teilnehmerländern. Redaktion: Otto Friedrich *) Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der furche. Die "Wallfahrt der Völker" nach Mariazell war ein "Fest des Glaubens".Doch das kirchliche Großereignis hatte auch handfeste politische Implikationen.

Regen und sogar Schnee - und das Ende Mai. Die "Wallfahrt der Völker" wird als Wallfahrt der Superlative in Erinnerung bleiben: die größte Menschenmenge die der österreichisch-ungarisch-slawische Wallfahrtsort je gesehen hat, zugleich die unwirtlichste Veranstaltung, wie man sie sich kaum vorstellen mochte, und das erste Mal seit weit mehr als einem halben Jahrhundert, wo deutsch, ungarisch und slawisch sprechende Christen aus dem Herzen des Kontinents in gemeinsamer Perspektive auf dem Weg waren - zu einem Gutteil eine weite Anreise hinter sich bringend, um für wenige Stunden miteinander zu beten und zu feiern: 80.000 oder mehr waren gekommen - aus acht Ländern und mehr.

Eine das Wetter geradezu konterkarierende Stimmung, ein Gefühl gemeinsamen Christ-Seins wurde erlebt - nicht zuletzt von den tausenden Jugendlichen, die Mariazell fast drei Tage lang bevölkerten. Dass der Papst nicht da war, wurde von vielen bedauert; und wenn spitze Zungen monieren mochten, das große Wallfahrtsfest sei ein Papstgottesdienst ohne Papst geworden, so war das nicht ganz falsch, blieb aber doch eine aufs Äußerliche beschränkte Beobachtung. Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner legte zu dieser Diskussion noch ein Schäuferl nach, als er in einem Standard-Interview meinte, es wäre gar ein "Glück" gewesen, dass der Papst nicht gekommen sei: "Das hat der Vernetzung der Ortskirchen eine bessere Chance gebracht", so Zulehner: "Es ist doch hervorragend, dass er dem Katholikentag so die Show nicht gestohlen hat, wenn man das ein wenig salopp sagen darf."

Unabhängig davon, ob man Zulehners locker-züngige Diagnose teilt oder nicht: In den Wortmeldungen unmittelbar nach der "Erfahrung von Mariazell" war die Rede vom Weitertun, von der Notwendigkeit die Vernetzung weiterzutreiben: Sowohl die Wallfahrt der Jugend als auch die neu entdeckte "mitteleuropäische" Zusammenarbeit acht unterschiedlicher Ortskirchen soll weitergehen. Noch am Abend des großen Wallfahrtstages kündigte ein überglücklicher Kardinal Schönborn an, die weitere Zusammenarbeit der acht Bischofskonferenzen sei schon vereinbart. Solche Vernetzung darf freilich nicht nur auf die obere Kirchenebene beschränkt bleiben - beim Jugendgottesdienst wurden die Jugendlichen folgerichtig aufgerufen, weiter in Kontakt zu sein. Ähnliches wäre - um der Nachhaltigkeit von Mariazell 2004 willen - in allen Kirchenbereichen, nicht zuletzt auch auf der Ebene der Laien(bewegungen) zu forcieren.

Auffallend blieb, dass sich die "Wallfahrt der Völker" vor allem als "Fest des Glaubens" definierte. Ein spirituelles Ereignis, das aber gleichwohl jede Menge politischer Implikationen bot. Vielleicht mochte diese Dimension vor allem für Pilger aus den Reformländern noch ungewohnt klingen, sie war aber bei den Worten rund um und in Mariazell auf Schritt und Tritt zu spüren: Unmittelbar vor der eigentlichen "Wallfahrt der Völker" hatten katholische Laienorganisationen zu einem Kongress nach Wien geladen, wo - unter anderem - der deutsche Bischof und Vorsitzende der Bischofskommission bei der EU Josef Homeyer leidenschaftlich für die Aufnahme eines Gottesbezugs in die EU-Verfassung plädierte: Dass Homeyers Ansinnen auch bei christlichen Europapolitikern nicht einhellig unterstützt wird (vgl. das Statement von EU-Kommissar Franz Fischler, Seite 10 des Dossiers), zeigt, dass die Kirche und ihre Christen im eigenen Haus wie in der Gesellschaft im Nu in politische Diskussionen verstrickt sind. Und das ist gut so.

Auch die "Botschaft von Mariazell" (vgl. Seite 11), die einen gemeinsamen Nenner der Bischöfe des in Mariazell versammelten "Mitteleuropa" darstellen will, verschweigt dies keinesfalls: Neben spirituellen und theologischen Punkten enthält die Botschaft gemeinsame gesellschaftspolitische Ansätze. Man mag sich da mehr Akzentuierung und eine vergleichbare Konturierung wie bei den "geistlichen" Punkten gewünscht haben - doch da war die Gemeinsamkeit zwischen den Ortskirchen der Reformländer und manch österreichischer Sicht der Dinge doch noch nicht weit genug gediehen.

Aber es war Kardinal Schönborn selbst, der bei seiner Festpredigt in Mariazell keinen Zweifel daran ließ, dass gesellschaftliche Fragestellungen auch ein geistliches Großereignis durchdringen (das - ein wenig abgegriffene - Schlagwort von Mystik und Politik findet hier neue Entsprechung): Schönborn sprach die geschichtliche Erfahrung der "gottlosen und antichristlichen Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus" ebenso an wie die aktuellen Herausforderungen Europäische Einigung, Schutz des menschlichen Lebens, Gerechtigkeit und Solidarität, Kampf um den Sonntag.

Das Motto "Wallfahrt der Völker" ist ein altes biblisch-prophetisches Bild von der Endzeit. Dass Mariazell 2004 dieses Bild buchstäblich und diesseitig interpretierte - als Zusammenkunft und Versöhnung realer heutiger Nationen - war somit auch ein eindeutig politisches wie starkes gesellschaftliches Zeichen.

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