Spiritueller Führer für die Tibeter - in spe

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Der Karmapa, Oberhaupt des Kangyü-Ordens ("Rotmützen"), ist nach dem Dalai Lama (Oberhaupt der "Gelbmützen") der prominenteste Geistliche im tibetischen Buddhismus. Erstmals war der derzeitige 17. Karmapa, der 28-jährige Orgyen Thrinley Dorje, in Europa.

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Der Karmapa, Oberhaupt des Kangyü-Ordens ("Rotmützen"), ist nach dem Dalai Lama (Oberhaupt der "Gelbmützen") der prominenteste Geistliche im tibetischen Buddhismus. Erstmals war der derzeitige 17. Karmapa, der 28-jährige Orgyen Thrinley Dorje, in Europa.

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Die dunkelroten Roben der buddhistischen Mönche und Nonnen sind wie leuchtende Farbtupfer in der Lobby des Berliner Estrel Convention Centers, des größten Hotels Deutschlands. Sie sind gekommen, um den Karmapa zu sehen und zu hören. Der Karmapa ist neben dem Dalai Lama einer der ranghöchsten tibetisch-buddhistischen Geistlichen. Er ist das erste Mal in Deutschland, und wohin er kommt, füllen sich die Hallen. Am Nürburgring kamen 2000 Menschen, um seinen Belehrungen zu lauschen, in Berlin füllen rund 1500 Menschen den großen, unterirdischen Vortragssaal. Mönche und einige Nonnen sitzen in den vordersten Reihen - nicht nur Tibeter, sondern auch einige Westler. Die Zuhörerschaft ist international: u. a. aus Spanien, Polen, der Volksrepublik China, Taiwan, Australien, den USA, Frankreich sind Menschen gekommen, auch einige Exil-Tibeter; Deutsche scheinen in der Minderheit.

Der 17. Karmapa

Orgyen Thrinley Dorje, der 17. Karmapa, das Oberhaupt des tibetischen Kagyü-Ordens ("Rotmützen", wegen der roten Zeremonialhüte), ist als Gast der deutschen Regierung da. Mit sieben Jahren wurde der Nomadensohn als Karmapa anerkannt. Als 14-Jähriger flüchtete er um die Jahreswende 1999/2000 über den winterlichen Himalaya nach Indien. Seither lebt er in Dharamsala, in unmittelbarer Umgebung des Dalai Lama - als staatenloser Flüchtling ohne Pass. Die indische Regierung hatte ihm bisher nur zweimal, 2008 und 2011, eine Reiseerlaubnis für die USA erteilt -vielleicht als Konzession gegenüber China, weil der 28-Jährige als Zukunftshoffnung und kommender spiritueller Führer der Tibeter gilt.

Die Lage der Tibeter ist schwierig: In ihrer Heimat Tibet sind eth-

nische Tibeter und Tibeterinnen mittlerweile eine Minderheit, dominiert von Han-Chinesen. Mehr als 120 Tibeter haben sich aus Protest gegen die Unterdrückung in den letzten Jahren selbst verbrannt. Den zunehmenden Druck der Volksrepublik China bekommen die Tausenden Tibeter, die über den Himalaya nach Nepal oder Indien geflüchtet sind, hautnah zu spüren, ebenso alle Regierungen, die den Dalai Lama empfangen. Der Dalai Lama sei ein "Wolf im Schafspelz", heißt es aus Peking, er betreibe unter dem Deckmantel der Religion Separatismus.

Beide, der Karmapa und der Dalai Lama, stehen in Reinkarnationslinien des Tulku-Systems (s. Kasten). Nächstes Jahr feiert der Dalai Lama seinen 80. Geburtstag. Auf die Frage, ob und wie er sich wiederverkörpern werde, antwortete er unterschiedlich. Vielleicht würde er als Frau wiedergeboren, sagte er, oder auch, dass die Reinkarnationslinie enden würde und schloss dann wieder eine weitere Geburt nicht aus, aber nicht in chinesisch besetzten Gebieten.

Nicht mehr politisches Oberhaupt

Seit April 2011 ist der Dalai Lama nicht mehr das politische Oberhaupt der Tibeter - er hat die politischen Agenden dem gewählten Ministerpräsidenten übertragen, seit Sommer 2011 ist dies der Jurist Lobsang Sangay. Doch spiritueller Führer und Garant der tibetischen Identität ist der 14. Dalai Lama noch immer, und wie eine Studie der Religionswissenschaftlerin Luana Laxy (erschienen 2012) zeigt, wünscht sich die Mehrheit der Exiltibeter einen 15. Dalai Lama. Dass dies zu Schwierigkeiten mit den Chinesen führen wird, ist sicher. Schon als 1995 die Wiedergeburt des Penchen Lama, des Zweithöchsten in der tibetischen Hierarchie, vom Dalai Lama anerkannt wurde, entführten die Chinesen den 11. Penchen Lama, den sechsjährigen Gendün Chökyi Nyima, der spurlos verschwunden ist, und setzten einen eigenen Kandidaten ein -der aber von den Tibetern nicht anerkannt wird.

In dieser Situation kommt dem jungen 17. Karmapa eine wichtige Rolle zu. Als Oberhaupt des Kagyü-Ordens ("Rotmützen") steht er dem Dalai Lama, dem Oberhaupt des Gelug-Ordens ("Gelbmützen"), an Popularität nicht nach. Wenige Tage, nachdem der Siebenjährige aus der Nomadenwelt seiner Familie als 17. Karmapa ins Stammkloster der Karmapas, nach Tsurphu, gebracht worden war, versammelten sich 20.000 Menschen, um seinen Segen zu empfangen. Alte Filme, die bei dem Treffen in Berlin in Ausschnitten präsentiert wurden, zeigen, wie der kleine Bub sofort beherzt seine neue Rolle ergriff. Ob er nach dem Tod des 14. Dalai Lama von den Chinesen als Verhandlungspartner akzeptiert wird, ist offen. Immerhin wurde er auch von der Regierung in Peking als 17. Karmapa anerkannt.

Bei seinem Deutschland-Besuch besichtigte der Karmapa den Kölner Dom und das Benediktinerkloster Maria Laach und führte Gespräche mit Vertretern christlicher Kirchen und der jüdischen Gemeinde Berlin. Interviews gab's nur für wenige große Medien, kleinere buddhistische und christliche Medien wurden vertröstet. Das Publikum wiederum sah in den Veranstaltungen oft auch einen Event mit Unterhaltungscharakter.

Neues von einem wachen Geist

In seinen Vorträgen kam er immer wieder auf seine Zeit als Nomadenkind zurück, und auf die Schwierigkeiten der rigorosen und rigiden Erziehung im Kloster, im 3. Stock eines großen Gebäudes statt in der freien Natur, und ohne Spielgefährten. Um die bedrohte Ökologie zu schützen, empfiehlt er heute dringend einen angemessenen Lebensstil für Laien und Klöster.

Den Nonnen, bisher vom Studium ausgeschlossen, ermöglicht er dieselbe Ausbildung wie Mönchen. Zum jahrelangen Training, das er selbst durchlief, gehören u. a. buddhistische Philosophie, das Erlernen der umfangreichen und vielfältigen tibetisch-buddhistischen Rituale und Meditationspraxis. Gefragt nach dem Verhältnis von Religion und Spiritualität betont er den Unterschied zwischen einem erlernten Glaubenssystem wie dem Buddhismus und der eigenen persönlichen Erfahrung. Das klingt neu -und man kann wohl noch einiges von diesem wachen, kritischen Menschen erwarten.

BUCHTIPP: Das edle Herz Von Karmapa Ogyen Thrinley Dorje. Vorwort: Dalai Lama. Edition Steinrich

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