Sport als Weltanschauung

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Wer meint, Olympische Spiele wären eine vorübergehende Episode, ist auf dem Holzweg. Die Disziplinen Wettlauf und Weitsprung breiten sich als politische Infektionen aus und sind eine Volkskrankheit. Dopingmethoden werden ohne Scheu angewendet, um Leistungen zu steigern, auch wenn die Leistungssportler daran zu Grunde gehen; es gibt ja genug davon.

Europa leidet am Morbus Wettbewerb. Leistung wird in Dividenden und Aktienkursen gemessen, als Doping werden Anabolika in Form von Steuergeschenken injiziert, und Abfahrten in Niedriglohnländer häufen sich. Teamverkleinerung durch Personalabbau ist besonders wirkungsvoll; so erreicht man höhere Produktivität, denn wer bleiben darf, arbeitet schneller. Wenn der Arbeitssportler nicht mehr kann, wird er ausgewechselt; es gibt ja genug davon.

Wettbewerb, hören wir, macht alles billiger. Tatsächlich, chinesische T-Shirts kann sich heute jeder leisten, ausgenommen die europäische Textilarbeiterin, die arbeitslos ist, weil die T-Shirts aus China kommen. Die Infektion breitet sich bereits in der Kulturszene aus, die bisher als immun galt. Anzeichen waren schon seit langem Radio-Hitlisten von Schlagern. Inzwischen hat der Sportsgeist die Universitäten befallen. Sie nennen es "Ranking" und rühmen sich ihrer Plätze im globalen Wettbewerb. Und was eine Weltanschauung ist, kennt kein Zurück: Zeitschriften werden gerankt, Verlage kämpfen um Listenplätze. Nicht was Forschung leistet, sondern wer sie druckt, ist entscheidend. Via Sport ist Qualität endlich messbar.

Höher, weiter, schneller und - nicht zu vergessen - jünger: Hervorragende Wissenschaftler dürfen nicht über 40 sein, später fällt ihnen nichts mehr ein. Als Läufer oder Springer wären sie längst unbrauchbar. Wer die Altersgrenze überschritten hat, geht in die Politik und wird Sportstättenverwalter.

Der Autor ist freier Journalist.

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