Sprachbilder und Bildersprechen

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Wahlkampfzeit ist Wahlplakatzeit: Die verbale Botschaft verknappt sich zu gedrungenen Parolen, freundliche Gesichter verheißen eine heile oder wenigstens heilbare Welt.

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Wahlkampfzeit ist Wahlplakatzeit: Die verbale Botschaft verknappt sich zu gedrungenen Parolen, freundliche Gesichter verheißen eine heile oder wenigstens heilbare Welt.

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Auf einer langen Zugreise durch deutsche Lande fällt mein Blick auf den Zeitungsständer und haftet mit selektiver Aufmerksamkeit auf dem Logo Bild. Der wohlbekannte Name eines deutschen Boulevardblatts bringt es schlagartig auf den Punkt: Auch ein Printmedium definiert sich vor allem über das Anschauliche, der Kontext dominiert den Text, die Sparte Zeitung wird im besten Falle noch mitverstanden. Wieder in Österreich angekommen, bemerke ich im Angebot der aktuellen Wahlplakate und Inserate das gleiche Phänomen: Köpfe, Szenarien, Ensembles und Gegenstände prägen die kommunikative Schiene und bestimmen den Zeichenvorrat. Die verbale Botschaft verdichtet und verknappt sich zu gedrungenen Parolen und sparsamen Devisen, die keiner aufwendigen syntaktischen Analyse bedürfen. Den Satzbau beherrschen schlichte Gegenüberstellungen, kontrastive Gegensätze und ein gewichtendes Arrangement der Werte. Subjekte stehen für Sujets, kompakte Gegenstände verkörpern komplexe Sachverhalte, freundliche Gesichter verheißen eine heile oder wenigstens heilbare Welt.

Wort wird Fleisch

In der einen sprachlichen Botschaft korrespondieren Kopf und Herz mit Europa und Österreich, vertreten also jeweils den rationalen Anspruch und die emotionale Zuwendung. In einem weiteren Plakat sind im Spannungsfeld von Bankensanierung und Menschenrettung humanitäre Grundsätze aufgehoben. Wieder eine andere Strategie zählt politische Tugenden des Kandidaten funktionalstilistisch und schlagwortartig auf. Bemerkenswert ist der Slogan "Sozial statt egal", der diese Opposition im kleingedruckten Nachhang thematisch auf die Übermacht der Konzerne oder das Problem der Arbeitslosigkeit hinlenkt. Denkt man an den Ursprung der schlechteren Variante im Hochwertvokabel Égalité der Französischen Revolution, so offenbart sich freilich ein paradoxer Bedeutungswandel der politischen Begriffsgeschichte: Die Gleichheit als erstrebenswertes Ziel ist zur Gleichgültigkeit als verwerfliche Geisteshaltung, zur 'Wurstigkeit' gleichsam, verkommen. Das Zusammenspiel von schierer Abbildung und sprachlicher Kundgabe aber ereignet sich exemplarisch in einem Appell für biologische Landwirtschaft. Im Eintreten "für ein Leben vor dem Schnitzel", repräsentiert im Portrait eines Schweines, ist das Wort im bodenständigen Sinn Fleisch geworden.

Keine Frage: In der politischen Propaganda, in der kommerziellen Werbung, aber auch in anderen Bereichen der öffentlichen Sprache sind Bilder unaufhaltsam und irreversibel im Vormarsch. Soll man kulturkritisch von einer 'ikonischen Wende' sprechen, regredieren wir in die Welt prähistorischer Höhlenzeichnungen oder ist gar das Abendland in Gefahr? Betrachtet man die Entwicklung von höherer Warte und mit erweitertem Blickwinkel, so ist eher Gelassenheit angesagt. Immerhin ist unser Leitwort Bild so tief in die Idiomatik und Phraseologie der Sprache eingegraben, dass schon aus dieser Sicht pessimistische Warnrufe verstummen sollten: Man "ist im Bild", wenn es nicht an Information mangelt, und jemand "legt sich ein Bild'l ein", wenn er seine Person in den Vordergrund spielt. Wer sich "ein Bild von etwas macht", setzt meist den Grundstein zu richtigem Handeln und hat keinen Imageverlust zu befürchten. Noch ältere Wendungen wie das gestandene Mannsbild oder die bildschöne Frau seien bloß erwähnt, wie auch die Herkunft des Begriffs Bildung, deren Inhalt uns doch am Herzen liegt.

Vielleicht wird die Dominanz des visuellen Eindrucks mit der Omnipräsenz des Fernsehens und den unvermeidlichen optischen Reizquellen unseres Alltags allzu seicht und oberflächlich erklärt. Ist es verstiegen, auf Lessings Kunsttheorie zurückzugreifen, um sich dabei die grundlegenden Unterschiede zwischen verbaler und ikonischer Darstellung zu vergegenwärtigen? Während die Sprache auf eine lineare Abfolge von Momenten der Information setzt, kann das Bild eine Botschaft in der Synergie seiner Elemente simultan vermitteln. Auch das Verhältnis von zentralem Thema und rahmendem Hintergrund, von Signal und Stimmung ergibt sich bei dieser Präsentation unwillkürlich, ja zwangsläufig.

Doch die semantischen Nuancen, die strukturelle Gliederung, die Umsetzung voraussetzungsreicher Tatsachen und subtiler Prozesse bleiben ein Vorrecht sprachlicher Mitteilung. In dieser Hinsicht mag es als Zeichen der Verarmung durchgehen, wenn sich die Schlagzeilen des Boulevards mitunter mit lautsymbolischen Ausrufen wie Pfui!, Brrr!! oder Autsch!!! begnügen.

Bilder als Bereicherung des Wortschatzes

Bilder als unerschöpfliche Quelle der Affekterneuerung und Bereicherung des Wortschatzes haben seit jeher Konjunktur. Vielen davon ist das ursprüngliche Profil abhandengekommen, sie sind in ihrer neuen Bezeichnungsfunktion völlig aufgegangen. Solche konventionellen Metaphern sind so zahllos wie der Sand am Meer. Wer in unseren Tagen von Strom redet, denkt spontan eher an die Steckdose oder die fällige Rechnung als an die schöne blaue Donau. Und wer sein Geld auf die Bank legt, meint wohl kaum das Ambiente einer Parkanlage - es sei denn, er hält die beiden Alternativen für gleich bedenklich. Die modernen Jargonauten haben unser Ausdrucksrepertoire laufend ergänzt und auffrisiert. Wer heutzutage surft, tut das zumeist ohne sportliches Risiko. Es rauscht ständig im Blätterwald, und hinter den Stilblüten verbirgt sich manche Zeitungsente. Auf dem Fußballfeld aber macht eine Schwalbe noch lange keinen Elfer. Apropos Tiernamen, die das Vokabular immer wieder mit Bildspenden auffrischen: Mancher abendliche Affe verwandelt sich in einen morgendlichen Kater (eigentlich Katarrh!), im Katzenjammer fühlt man sich hundeelend, vor allem, wenn eine Ochsentour samt einem Rattenschwanz von Problemen bevorsteht.

In einer Warteschlange ist es selten mucksmäuschenstill, und nicht jeder, der lammfromm ist oder eine Eselsgeduld hat, wird deshalb gleich zum Hahn im Korb befördert.

Doch zurück zum Anfang und den in jedem Wortsinn plakativen Tendenzen politischer Kommunikation. Der so manifeste wie unleugbare Befund auf diesem Sektor - weg von der Sprache und hin zum Bild - ist zu registrieren und zu respektieren. Der aufgeregt erhobene Zeigefinger der Wortschützer bewirkt da wenig und weist zudem gegen die Einbahn in die falsche Richtung. Gerade der Linguist ereifert sich - vielleicht gegen die Erwartung - darüber wenig, denn er ist mit den Capricen seines Metiers vertraut. Sprachwandel ist zu vielem imstande und zu allem fähig. Und am Anfang war nun einmal das Bild - und nicht das Wort. In Sinnbezirken, bei denen es auf die feinen Unterschiede ankommt und sich der Sprechakt nicht auf parteiliche Empfehlungen reduzieren lässt, bleibt der Primat der Rede ohnehin intakt und ungefährdet. Endstation Sprachverlust ist in diesem Segment nicht zu befürchten.

Keine flüchtigen Sprechblasen

Vor Jahrzehnten hat der Journalist Thaddäus Podgorski ein neues Nachrichtenformat des damals jungen Fernsehens Zeit im Bild genannt. Aus der Augenblicksbildung, unter Benennungsbedarf entstanden, ist in jeder Hinsicht eine Erfolgsgeschichte geworden. Und dem Namen kommt über den Einzelfall hinaus symptomatische Geltung zu. Denn selbst ein schlechthin wortbezogenes Medium wie Die Zeit kann nicht mehr auf das Bild verzichten. Vor dem aktuellen politischen Anlass aber wünscht sich der Adressat der Propagandaflut von den markanten Köpfen dringliche Anliegen und triftige Aussagen, keine flüchtigen Sprechblasen.

Der Autor ist Univ.-Prof. für allg. und vergl. Sprachwissenschaft an der Uni Salzburg.

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