Sprache, fremde Sprache

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Zwischen den Kulturen: Wenn Immigrantinnen und Immigranten zu schreiben beginnen - in ihrer Muttersprache und auf Deutsch.

Einer der größten kulturellen Exportschlager Österreichs, die Kultur um 1900, verdankt sich zu einem großen Teil der zweiten bzw. dritten Generation von Zuwanderern aus dem Osten. Schreiben und Denken zwischen den Kulturen, so könnte man daraus lernen, enthält für eine Gesellschaft ein ungeahntes geistiges Potenzial. An zwei Kulturkreisen Anteil zu haben, eröffnet neue, unorthodoxe Zugänge; daraus kann eine intellektuelle Entwicklung entstehen, die sich im Rückblick zum epochebildenden Phänomen verdichtet.

Fremd-Sprache wählen...

Die aktuelle Debatte ist unter diesem Aspekt noch nicht geführt worden. Ein kleiner Versuch in diese Richtung sind die Bemühungen um die so genannten "AutorInnen nicht deutscher Muttersprache", die in Deutschland schon Ende der siebziger Jahre begannen und mittlerweile auch in Österreich zu einer Reihe von Initiativen geführt haben, wie dem Literaturpreis "Schreiben zwischen den Kulturen". Der große Erfolg von Dimitré Dinevs Roman "Engelszungen" (2003) zeigt das poetische Potenzial, das ein von der Biografie erzwungener multikultureller Zugang zur Realität eröffnen kann. Auch der Wiener Milena Verlag interessiert sich seit Jahren für Literatur von Migrantinnen und Migranten. Aus Anthologieprojekten sind nun zwei selbstständige Bücher entstanden: "Trotzdem singe ich" mit engagierten und bilderreichen Gedichten der aus dem Sudan stammenden Publizistin Ishraga Mustafa Hamid und die Novelle "Ein Stück gebrannter Erde" von Viktorija Kocman.

"Die Sprache ist das Werkzeug, mit dem man das Innenleben nach außen trägt. Verändert sich meine Sprache, beeinflusst das auch mein Innenleben, das Er-leben", sagt die 1972 in Belgrad geborene Viktorija Kocman im Gespräch. Sie kam 1991 nach Wien und war in der Folge nicht nur mit der "Ankunft" in der neuen Realität konfrontiert, sondern auch mit dem Krieg in ihrer Heimat. "Ein Stück gebrannter Erde" thematisiert die Auswirkungen des Krieges hier in Österreich. Die Beziehung zwischen Armin, dem gebürtigen Kosovoalbaner aus Pristina, und der Serbin Marina beginnt zu zerbrechen, als die Logik des Nationalitätenhasses in ihren Wiener Freundeskreis einbricht. Die Situation spitzt sich zu, als Armin seine jüngere Schwester Arieta nach Wien holt. Arieta ist glühende Patriotin. Ihr Hass auf die Serben, und damit auch auf die Serbin Marina, wurzelt in traumatischen Erlebnissen. Die Situation ist nicht auflösbar, Marina wird Armin verlassen. Dass sie das ungeborene Kind verliert, ist der finale Schlusspunkt unter ein letztlich vom Krieg beendetes Kapitel ihres Lebens. Das Buch ist aus wechselnden Perspektiven geschrieben. Das kommentarlose Nebeneinander der in sich verständlichen Positionen unterstreicht die Hilflosigkeit der Akteure einer Situation gegenüber, die von der politischen Entwicklung gesetzt wurde.

Was in diesem Buch kaum thematisiert wird, ist die Auseinandersetzung mit der neuen Heimat Österreich. Dass Wien topografisch ergangen wird, die jeweiligen Kaffeehäuser genau benannt werden, ist allenfalls ein versteckter Hinweis darauf, wie die Fremde schrittweise angeeignet sein will. Viktorija Kocman bekennt sich selbst zur "grenzenlosen" Assimilierung. "Wenn man beginnt, diese andere Sprache zu sprechen, fühlt man sich wie ein anderer Mensch, man wird zu einem anderen Menschen. [...] Ich gebe nichts auf, ich entdecke nur, dass es mehr von mir gibt, als ich ursprünglich gewusst habe. [...] Es gibt keinen Verlust dabei, man kann nur gewinnen", sagt Kocman. Dass es so reibungslos doch nicht funktioniert, verhandelt sie in der Erzählung "Reigentänze", erschienen 2001 im Klagenfurter Verlag Kitab.

Welche Reaktionsformen für den Kulturwechsel zur Verfügung stehen, hängt auch von der Größe des kulturellen Sprungs ab. Das Belgrader Bürgertum, dem Kocman entstammt, war kulturell auf Wien und Europa orientiert. Diese Nähe erleichtert auch den raschen Erwerb der deutschen Sprache. "Ich schreibe Deutsch, weil das naheliegend und pragmatisch war. Warum soll ich in Serbokroatisch schreiben, wenn ich in Wien lebe? Die Fremd-Sprache gibt einem die Möglichkeit der Distanzierung und mehr Präzision", sagt Kocman.

... oder Muttersprache

Radikal anders sieht das Tarek Eltayeb, Ägypter mit sudanesischen Wurzeln, der seit genau 20 Jahren in Wien lebt und arbeitet. "Ich schreibe nur Arabisch. Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Auf Arabisch habe ich hundert Varianten in meinem Wörterbuch im Kopf, in Deutsch vielleicht nur sieben oder zehn." "Aus dem Teppich meiner Schatten" heißt das dritte Buch des Autors mit Gedichten und Prosatexten, das die Edition Selene 2002 herausbrachte. 1999 war hier der erste Lyrikband Eltayebs erschienen. "Es war eine Entscheidung für den Autor, nicht nur für ein Buch", sagt der Verleger Alfred Goubran heute. Tatsächlich ist die Verbindung eine äußerst fruchtbare geworden und wird im Herbst 2004 in einen Themenschwerpunkt "arabische Literatur" münden.

Auch Eltayeb spricht von einer Bereicherung durch den Kulturschock, den er vor allem als "Sprachschock" erlebt hat. Als leidenschaftlicher Arbeiter an der Sprache empfindet er die "permanente Sprachreflexion" positiv, zu der ihn die neue Sprache zwingt. "Das lässt mich auch das Arabische neu sehen, ich lerne durch das Deutsche auch in meiner Muttersprache immer wieder etwas Neues dazu", sagt Eltayeb, der als Arabischlehrer arbeitet. "Ich verwende viele phonetische Elemente, die Wortübergänge in meinen Gedichten hängen oft wie Ketten aneinander." Die Übersetzung, die seine Frau Ursula besorgt, ist entsprechend schwierig und erfordert sorgfältige und langwierige gemeinsame Arbeit an den Texten. Um Deutsch zu schreiben, sei sein Respekt vor der Sprache viel zu groß, sagt Eltayeb, der fehlerlos Deutsch spricht.

Die behutsame Spracharbeit ist auch in der Konstruktion seiner Texte spürbar. Sie leben häufig von den unausgesprochenen Sätzen dazwischen, so wie seine kleinen, den Büchern beigegebenen Gouachen vom Weiß der Zwischenräume leben. Die Bildwelt der Gedichte entstammt zu einem großen Teil den Realien seiner Heimat, wo der Schatten lebensrettend und die Sonne erbarmungslos ist. Die Texte sprechen von der Erinnerung an die Kindheit und der Sehnsucht nach der Heimat. Ein eigenartiger Kontrast ergibt sich dabei oft aus der sorgfältigen Datierung und Verortung der Schreibsituation im Wien der Gegenwart.

Wo die österreichische Realität hereinkommt, geschieht das mit leisen Tönen. Eltayeb setzt nicht auf die große Anklage gegen die österreichische Xenophobie, die er zweifellos nicht nur in den ersten Jahren als Zeitungsverkäufer gut kennen gelernt hat. "Ich halte nichts von aggressiver Kritik, das Leise kann oft mehr bewirken", meint er. Zum Beispiel wenn der junge Hamsa, die Hauptfigur seines Romans "Städte ohne Dattelpalmen" (2000, arabische Originalausgabe 1992) klarstellt, dass er einen ihm eigentlich wenig sympathischen Dorfbewohner trotzdem achten muss, "denn wir hatten von klein auf gelernt, jeden zu respektieren, der von weit herkam".

Situation des Immigranten

Im Herbst wird Eltayebs zweiter Roman "Palmenhaus" erscheinen, der erstmals primär in Österreich handelt. "Ich habe sehr viele Texte über das Leben in Österreich geschrieben, aber es hat lange gebraucht, bis ich so weit war, an ein Buch darüber zu denken." Die Hauptfigur wird wiederum Hamsa sein, nun als Immigrant in Österreich. Das Manuskript des Kapitels, das sich mit dem Zeitungsverkäufer Hamsa beschäftigt, ist ebenso wie eine Reihe von Lebensdokumenten und eine Videoaufzeichnung mit dem Autor in der Ausstellung "Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration" zu sehen, die aktuell im Museum Wien und der neuen Hauptbücherei am Gürtel stattfindet.

BUCHTIPPS:

TROTZDEM SINGE ICH

Von Ishraga Mustafa Hamid

Milena Verlag 2003

REIGENTÄNZE

Erzählungen von Viktorija Kocman

Edition Kitab 2001

EIN STÜCK GEBRANNTER ERDE

Novelle von Viktorija Kocman

Milena Verlag 2003

Ein mit Tauben und Gurren gefüllter Koffer. Gedichte und Prosa von Tarek Eltayeb, 1999

Städte ohne Dattelpalmen

Roman von Tarek Eltayeb, 2000

Aus dem Teppich meiner Schatten Gedichte und Prosa von Tarek Eltayeb, 2002

(alle drei Bücher erschienen bei Edition Selene, übersetzt von Ursula Eltayeb)

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