Sprachen für Sonderlinge

Werbung
Werbung
Werbung

Österreich ist vielsprachig. Sechs Minderheiten- und viele weitere nicht anerkannte Sprachen versuchen neben dem Deutschen zu überleben. Dabei unterstützt sie der Staat nur wenig.

Kein Zweifel, Österreich spricht viele Sprachen. Im Selbstverständnis der Republik ist diese Tatsache allerdings nicht verankert. Minderheitensprachen spielen im öffentlichen Leben kaum eine Rolle. Und deshalb verlieren sie immer mehr an Boden. Und wenn es so etwas wie eine Sprachenpolitik gibt, dann zielt diese ausdrücklich auf Assimilierung und Eindeutschung ab.

"Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik." So lautet Artikel acht der Österreichischen Bundesverfassung. Und seit wenigen Jahren gibt es dazu einen zweiten Absatz: "[...] Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern." Damit gemeint sind die Sprachen der sechs offiziell anerkannten Volksgruppen, zu deren Schutz sich die Republik Österreich völkerrechtlich und innerstaatlich verpflichtet hat. Es handelt sich um (Burgenland-) Kroatisch, Slowenisch, Ungarisch, Tschechisch, Slowakisch und Romanes. Insgesamt haben bei der letzten Volkszählung 82.504 Österreicherinnen und Österreicher angegeben, dass sie eine dieser Sprachen als Umgangssprache verwenden. Tatsächlich dürften es doppelt so viele sein. Aus Angst vor Diskriminierung ist die Bekenntnisquote traditionell niedrig.

Missachtete Vielfalt

Noch viel mehr Österreicherinnen und Österreicher verwenden andere Umgangssprachen, genießen aber nicht den Status und den Schutz als Volksgruppe. Türkisch sprechen zum Beispiel 60.000 Österreicher, 42.000 sprechen Serbisch, 33.500 Englisch, 25.000 Kroatisch, 13.000 Polnisch und 10.000 afrikanische Sprachen, um die größten Gruppen zu nennen. Und dann wären dann noch 550.000 ausländische Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich.

Einige dieser Sprachgruppen bemühen sich zwar um die Anerkennung als Volksgruppe - denn das ist das einzige Tor zu Sprachenrechten, zu Schutz und Förderung, wie sie im Volksgruppengesetz vorgesehen sind. Aber die Bundesregierung wehrt ab. Volksgruppe kann nach der gesetzlichen Definition nur eine Gruppe österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum sein, die in Teilen des Bundesgebietes beheimatet ist. Ob eine Gruppe diese Kriterien erfüllt, entscheidet die Bundesregierung. Und die Hürde steckt im Wort "beheimatet". Darunter sei eine örtliche Kontinuität von mindestens drei Generationen zu verstehen. Den Polen in Wien, die seit Jahren mit Verweis auf ihre über 150-jährige kontinuierliche Tradition in Österreich um die Anerkennung als Volksgruppe kämpfen, wurde beschieden, sie seien von der Zuwanderung in den letzten Jahrzehnten abhängig und hätten keine ausreichende genetische Reproduktionskraft.

So geht viel sprachliches Potenzial verloren, das Zuwanderer mitgebracht haben und das die nachkommenden Generationen nicht erhalten können. Die meisten Kinder der zweiten und dritten Zuwanderergeneration sprechen zwar noch ihre Muttersprache, können sie aber kaum richtig lesen und schreiben. Die Praxis der Nichtanerkennung als Volksgruppe läuft darauf hinaus, dass Zuwanderergruppen so lange assimiliert werden, bis nur noch Versatzstücke der Muttersprache und Kultur vorhanden sind.

Die anerkannten "Volksgruppensprachen" haben zwar rechtlich einen Sonderstatus, aber im Alltag sind auch sie marginalisiert. Und mit dem Sprachgebrauch schwinden auch die Volksgruppen und deren Kultur. Der Weg führt in die Einsprachigkeit. Und ohne eigene Sprache keine Minderheit. Die klassischen Instrumente des Minderheitenrechtes zielen konsequenterweise auf Spracherhaltung und Sprachvermittlung ab. Es gibt (mehr oder weniger weit reichende) Regelungen zur Verwendung von Minderheitensprachen vor Ämtern und Behörden, in topografischen Bezeichnungen und Regelungen zum zweisprachigen Unterricht. Im Bereich der Amtssprache und der Ortstafeln sind diese Bestimmungen freilich nur in bestimmten Dörfern anzuwenden, in welchen mindestens 25 Prozent der Bevölkerung der Minderheit angehören. Der Verfassungsgerichtshof hat zwar 2001 diese Klausel aufgehoben und auf 10 Prozent herabgesetzt - umgesetzt wurde das Erkenntnis bis heute nicht.

Ein Problem stellt auch das veraltete Territorialkonzept im Volksgruppenrecht dar, das von einer tief im ländlichen Bereich verwurzelten Bevölkerung ausgeht. Grundmodell ist eine geschlossene Minderheitengemeinde des 19. Jahrhunderts, in der die Minderheit die Mehrheit stellt. Außerhalb des Ortes waren Sprachenrechte kein Thema. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts konnten sich so die meisten Minderheitengemeinden halten. Man lebte, arbeitete und heiratete im Ort. Durch die Mobilität der Gesellschaft gilt das längst nicht mehr. Höhere Schulbildung gibt es nur außerhalb der Minderheitengemeinden, innerhalb derer die meisten außerdem keine Arbeit finden. Immer mehr Menschen verbringen einen Großteil des Tages - oft auch des Lebens - nicht mehr in der schützenden zweisprachigen Gemeinde. Zugleich steigt die Präsenz der deutschen Sprache in den Minderheitengemeinden durch die Medien massiv an. Dutzende Kanäle senden rund um die Uhr deutsches Programm. Vor allem für Kinder, bei denen der Grundstein für die Sprachentwicklung gelegt wird, geht die Schere zwischen Angeboten in der Minderheitensprache und denen auf Deutsch immer weiter auseinander.

Veraltete Politik

Die Menschen sind mobil geworden, die Sprachenpolitik nicht. Sprachenrechte gibt es immer noch nur in bestimmten Dörfern. Wer Sprachen fördern will, müsste es dort tun, wo die Sprecher heute leben, nicht dort, wo deren Großeltern begraben sind. Die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen bietet einige moderne Ansatzpunkte, zum Beispiel im Bereich der Medien, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oder der Information der Mehrheit über die Minderheit. Österreich jedoch hat sich bei der Ratifikation der Charta auf eine konservative Minimalvariante beschränkt. Das hat der Republik zu Jahresbeginn die erste Rüge des Europarates eingebracht.

Minderheitensprachen haben nur dann eine Chance, wenn sie ihren Platz im modernen öffentlichen Leben zurückbekommen. Denn entschieden wird die Zukunft der Minderheitensprachen primär in der Weitergabe von Generation zu Generation. Es geht ja um Muttersprachen, nicht um schulisch erworbene Sprachkenntnisse. Und automatisch weitergegeben wird nur eine Sprache, die gebraucht wird. Wenn die Minderheitensprache keine gleichberechtigte Funktion im öffentlichen Leben mehr hat, wird sie nicht mehr weitergegeben.

Verkümmerte Sprachen

Sprachenpolitik muss hier ansetzen. Egal ob es um "Volksgruppensprachen", um "Minderheitensprachen" oder "Zuwanderersprachen" geht. Eine Sprache wird als Muttersprache nur überleben, wenn sie als natürliches Kommunikationsmittel gefordert und gefördert wird. Das beginnt bei der konsequenten zweisprachigen Erziehung vom Kindergarten bis zur Matura, bei der Verwendung der Minderheitensprachen in öffentlichen Verlautbarungen, vor Ämtern und Behörden, bei zweisprachigen Aufschriften und Formularen, bei Serviceangeboten in den Minderheitensprachen, bei der Verwendung der Sprachen im öffentlich rechtlichen und privaten Radio, auf Beipackzetteln für Medikamente und für Produktaufschriften, bei der Förderung von Zeitungen, Zeitschriften, audiovisuellen Medien und geht bis hin zum mehrsprachigen Kinderprogramm. Es geht darum, das Ungleichgewicht zwischen der deutschen Sprache und den Minderheitensprachen aktiv auszugleichen.

Geht einer Sprache der Anschluss an das öffentliche Leben der Gesellschaft verloren, wird sie zur Feierabendsprache, zur Sprache der Privatleute - ohne die Sphäre des Privaten angemessen zur Sprache bringen zu können; denn auch das Private unterliegt einem steten Wandel, der in abgeschlossene Sprachen keinen Eingang findet. Eine von der gesellschaftlichen Öffentlichkeit abgeschlossene Sprache verkümmert zur Schwundsprache: weltfremd, zur lebenspraktischen Orientierung ebenso untauglich wie zur zeittheoretischen Argumentation. Sie sinkt von der Sondersprache zur Sprache von Sonderlingen herab. Dann aber gibt es keinen plausiblen Grund, diese Sprache zu retten. Sie verkommt zum Privatvergnügen einer immer kleiner werdenden Gruppe, die sich aus Anhänglichkeit ans herkömmlich Vertraute der Muttersprache (noch) in der Sprache der Volksgruppe freizeitlich unterhält - um den Preis gegenwärtiger und zukünftiger Weltfremdheit. Wenn eine Minderheitensprache keine neuen Begriffe für neue Themen entwickelt oder alte Begriffe neu besetzen kann, wird sie bald ihre Ausdrucksfähigkeit für aktuelle Fragen verlieren.

Der Autor ist Jurist und Experte für Minderheiten in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung