Sprachregeln für Christen

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Zum Dossier. Sprachverwirrung - wie nach dem Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) - ist nicht nur eine biblische Geschichte, sondern auch gegenwärtige Realität. Die alttestamentarische Erzählung zeigt, dass "Sprache und Religion" schon seit langem ein Thema ist. Das Furche-Dossier beleuchtet einige Aspekte davon: "Sprachregeln" für Christen, die Poesie des Betens sowie Berührungspunkte zwischen Religion und (zeitgenössischer) Literatur.

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Zum Dossier. Sprachverwirrung - wie nach dem Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) - ist nicht nur eine biblische Geschichte, sondern auch gegenwärtige Realität. Die alttestamentarische Erzählung zeigt, dass "Sprache und Religion" schon seit langem ein Thema ist. Das Furche-Dossier beleuchtet einige Aspekte davon: "Sprachregeln" für Christen, die Poesie des Betens sowie Berührungspunkte zwischen Religion und (zeitgenössischer) Literatur.

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Die Bibel, das Buch der Bücher für Christen und Juden, ist für gewichtige wie drastische Bilder gut, wenn es gilt, menschliche Erfahrung zeitlos zu beschreiben. Die Erzählung vom Turmbau zu Babel, von der Sprachverwirrung nach dem missglückten Versuch, die Grenzen des Menschlichen zu leugnen, gilt heute wie eh und je: Dass die Türme, die gen Himmel wachsen, einstürzen, stimmt in der verwirrten Gegenwart nicht minder, und dass Sprachverlorenheit rundum verbreitet ist, wird kaum ein Beachter der Zeit bestreiten.

Babel - "Wirrsal" - ist überall, und zerstreut sind die Menschen. Sie sprechen ihre Sprache, aber Verstehen bleibt Rätsel: Auch ein paar tausend Jahre Geschichte haben diese Erfahrung nicht obsolet werden lassen.

Ende Mai fand in Wien eine Enquete über "Die kranke Sprache" statt, der Veranstalter - das Forum Kunst-Wissenschaft-Medien der Katholischen Aktion - wollte eine Diagnose des Sachverhaltes, angewandt auf das Hier und das Heute (nicht zuletzt auf Österreich im Jahr 2000) wagen und einer Therapie das Wort reden.

Die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak - engagierte Intellektuelle in der politischen Auseinandersetzung mit Rechts - widersprach: Die Sprache sei nicht krank. Der Dichter Julian Schutting pflichtete bei und wollte dem Titel "Die kranke Sprache" drei Fragezeichen nachstellen.

Nein, die Sprache ist nicht krank. Aber die Sprecher? Die, die aus Sprache Beliebigkeit machen? Oder Waffen? Die sich an den Worten verschlucken? Die den gesagten Unrat aus dem Mund lassen?

Schutting erzählte auf der Wiener Enquete, wie ihm die Anleihen aus der Kriegssprache in der österreichischen Politik der letzten Monate aufgefallen wären: Als Jörg Haider etwa äußerte, die Vorgänge rund um die Regierungsbildung hätten ihn mit Wolfgang Schüssel "zusammengeschweißt", hätte Schutting gerne gefragt: "Wo? Im Stahlgewitter? Im Kugelhagel des Schützengrabens?"

Die Kriegssprache (Sind wir im Krieg?), die Politikersprache (Schutting: eine "Lego-Sprache"), die Kirchensprache (Sprechen die Kirchen überhaupt?): Welche Diagnose?

Christen (und Juden) kennen aus ihrer Geschichte das Schicksal von Babel: Diese Diagnose. Ob sie aber schon wissen, welche Therapie anzuwenden ist? Jedenfalls erzählt die Geschichte, dass Sprachwirrsal herrscht - und sie erzählt es bis heute.

Gibt es in dieser Verwirrung eine Sprache der Christen? Vielleicht keine sichere Therapie, aber vielleicht ein paar Sprachregeln für Christen, zehn Vorschläge einer Bemühung ...

I. ... um eine klare Sprache.

Euer Wort sei: Ja. Ja. Und: Nein. Nein. Solche Rede will der Verschleierung durch Worte den Kampf ansagen, dem Einlullen durch Beteuerungen und den Sirenenklängen der leichten Lüge. Was Recht und - erst recht - was Unrecht ist, muss benannt werden. Wer verschweigt, lügt doppelt.

II. ... um eine echte Sprache Ein echtes Wort sagt mehr als tausend Worte. Sätze sind nicht zum Verstecken da, und Mauern aus Phrasen sind Trennwände zwischen Menschen. Leibhaftig sollen Menschen reden, ihre Handschrift ins Sprechen übersetzen: Kein Abpausen anderer Meinungen. Kein gestohlener Gedanke - für sich selbst vereinnahmt.

III. ... um eine unentstellbare Sprache Julian Schutting zitierte bei obiger Enquete den Spruch eines Rabbis aus einer chassidischen Geschichte: Jeder Satz muss so sein, dass er nicht entstellt werden kann.

IV. ... um eine vorsorgliche Sprache Worte sind verletzend, können weh tun, wenn nicht die Achtsamkeit hörbar bleibt. Ein dahingesagter Satz kann Gräben reißen, schwer überwindbare; ein behutsamer Ausdruck bleibt Menschen treu. Sorgende Sprache macht auch dem Mutlosen kenntlich: Du bist nicht immer allein.

V. ... um eine Herzenssprache In der Kälte der Tage herrscht das Verlangen nach Geborgenheit. Worte sind Messer, die tief ins Fleisch schneiden. Aber es gibt auch Zärtlichkeit, die ganz schwach, aus dem Inneren kommend ein Gewand voller Laute oder Buchstaben webt. Mitfühlen schwingt in den leisen Sätzen der Herzenswörter: Deren Klang wird immer gehört.

VI. ... um eine heilende Sprache Nicht die Sprache ist krank. Aber die Menschen sind ungeheilt. Wer müht sich wider das Verwunden, um Wiedergutmachung, wenn Menschenworte Arges antun? Ein kleiner Zuspruch, der ein krankes Gemüt aufrichtet; eine wunde Seele sehnt sich nach der Ölung des Worts.

VII. ... um eine verletzliche Sprache Auch in den Worten stehen Christen auf Seiten der Ohnmächtigen. Nicht die Sprachgewalt ist ein Fanal, sondern geflüsterter Trost, so zart, dass ein leiser Windhauch schon ihn beinahe verbläst.

VIII. ... um eine hörende Sprache Sprechen kann aufdringlich sein. Der Schwall der Worte strömt über und begräbt Menschen. Sprache für Christen meint Worte, die erst dem Hören folgen: Kein zu frühes Reden, keine vorschnellen Antworten. Schon gar nicht auf Fragen, die niemand stellt.

IX. ... um eine Sprache des Schweigens Die Zeit ist die Zeit der Geschwätzigkeit. Wörter - missbraucht, jeden Augenblick zu übertünchen. In der Atemlosigkeit der Tage wenigstens einen Moment entdecken - der Sprachmuße, des Innehaltens im Trubel der Welt. Solches Reden meint zu einem Gutteil das Schweigen: Wovon man nicht sprechen kann, darüber darf man nicht schwätzen.

X. ... um eine biblische Sprache Alle Sprache, von der hier die Rede ist, ist auch Sprache der Bibel: das Gleichnis von Babel, vom Einsturz des Turmes mit anschließender Sprachverwirrung - ist eine Sprechweise; aber auch Sprache von Trauer, Freude, Angst, Zorn, Liebe, Zärtlichkeit, Verlassenheit, Geborgensein ist Sprache der Bibel. Prophetische Rede und gedichtetes Wort. Gottessprache und Menschensprechen. Kriegsgestammel und hoffnungsschwangere Friedensbotschaft.

Christen sollten sprachsorgsam sein. Es ist ein mehr als guter Rat, sich dabei an die Wortmacht der biblischen Dichter zu halten.

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