Sprachwitz, Schein und Sein
Der ehemalige Intendant des Volkstheaters Michael Schottenberg kehrt mit einer Nestroy-Posse als Regisseur ins Theater zurück. Dort, wo Nestroy durchscheint, wird man reich belohnt.
Der ehemalige Intendant des Volkstheaters Michael Schottenberg kehrt mit einer Nestroy-Posse als Regisseur ins Theater zurück. Dort, wo Nestroy durchscheint, wird man reich belohnt.
Die meisten der nahezu 80 Possen, die Johann Nestroy hinterlassen hat, sind grundiert von einer unverhohlenen Skepsis gegenüber der conditio humana. Und wer kann angesichts der Zustände und Vorgänge um uns herum seiner Einschätzung ernstlich widersprechen, dass sich hinter allem menschlichen Tun immer materiell-egoistische Interessen verbergen, dass sich Täuschung als "feine aber starke Kette durch alle Glieder der Gesellschaft zieht"?
Sprachwitz und Situationskomik
Auch der 1841 uraufgeführten Posse "Mädl aus der Vorstadt oder Ehrlich währt am längsten" ist diese pessimistische Grundaussage zu eigen. Sie enthält darüber hinaus auch alle Ingredienzien, die diesen "Hohngiganten", wie Karl Kraus den bewunderten Nestroy einmal nannte, auszeichnen. Mit hintergründiger Situationskomik und einem beißenden, unermüdlichen Sprachwitz geißelt Nestroy die menschlichen Fehler und Laster, die standesbedingten Mimikry-Zwänge, den Widerspruch von bürgerlichem Schein und egoistisch-triebhaftem menschlichen Sein.
Michael Schottenberg verzichtet bei seiner Inszenierung am Theater in der Josefstadt aus Einsicht in eben diese conditio humana auf zeitgenössische Vergegenwärtigung. Stattdessen setzt er auf die Situationskomik, hervorgerufen durch eine Vielzahl von sich öffnenden und schließenden Türen, die (nicht) erwünschte Überraschungen offenbaren und verbergen. Vor allem aber setzt Schottenberg auf den aggressiven Wortwitz Nestroys. Das geht während der zweieinviertel Stunden dauernden Aufführung nur bedingt auf.
Zum einen liegt das in der etwas unglücklichen weil unscharfen Figurencharakterisierung, zum anderen an der etwas nachlässigen Figurenführung unter der Nestroys Sprachwitz sich nur bedingt entfalten kann. Vor allem Thomas Kamper in der Rolle des misstrauischen und findigen Winkelagenten mit dem sprechenden Namen Schnoferl, also einer der seine Nase in alle Dinge steckt, ist in der Anlage undurchsichtig. Er ist es, der den gierigen und geilen Spekulanten (überzeugend: Martin Zauner), der sich durch einen fingierten Diebstahl bereichert hat, überführt. Er ist es, der das Mädl aus der Vorstadt (Daniela Golpashin), die Tochter des zu Unrecht Verdächtigten, rehabilitiert. Der sie sogar unter die Haube bringt und zum Lohn selbst die Witwe Erbsenstein (hinreißend: Michou Friesz) ehelichen darf. Kamper spielt diese zentrale Figur weder als passionierten Detektiv ohne Auftrag, noch als leidenschaftlichen Gerechtigkeitsfanatiker. Vielmehr eignet ihm etwas Unergründliches, fast Dämonisches an. Und seine heimliche Anbetung der Frau Erbsenstein ist auch erst in dem Moment sichtbar, in dem im Stück davon die Rede ist. Auch Gigl, der vermeintliche Bräutigam der Witwe, ist in der Darstellung von Matthias Franz Stein etwas gar kindisch, um als glaubwürdiger Partner der gediegenen Witwe durchzugehen. Komik bezieht er aus dieser Differenz aber auch kaum.
Der Bühnenraum als Wimmelbuch
Der zwiespältige Eindruck, den diese Inszenierung hinterlässt, ist nicht zuletzt Hans Kudlichs Bühnenraum geschuldet. In den ersten beiden Akten ist er eher an die Biedermeierzeit angelehnt. Der dritte Akt, der in der Vorstadt, im "Lustgarten" des Spekulanten Kauz spielt, zeigt einen amerikanischer Hinterhof. Dieser ist mit seinen Rosenbeeten, weiß-gelben Markisen und der Hollywoodschaukel so überfüllt, dass er unweigerlich an ein Wimmelbuch erinnert.
Insgesamt gelingt es Schottenberg nicht immer, Nestroys Sprache auch als Sprachmasken durchschaubar zu machen, und dessen bösen Witz in dem Gewimmel der vielen Personen Gehör zu verschaffen. Dort aber, wo Nestroy durchscheint, wird man reich belohnt, wegen seiner Virtuosität und trotz der Einsichten in die conditio humana.
Das Mädl aus der Vorstadt
Theater in der Josefstadt
16., 17., 18., 19., 20,29., 30. Dez.