Spuren weiblichen Christentums

19451960198020002020

Marianne Fredriksson stellt Maria Magdalena in den Mittelpunkt einer Apostelgeschichte aus radikal weiblicher Sicht.

19451960198020002020

Marianne Fredriksson stellt Maria Magdalena in den Mittelpunkt einer Apostelgeschichte aus radikal weiblicher Sicht.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit "Hannas Töchter" landete die schwedische Autorin Marianne Fredriksson einen großen Erfolg, indem sie das Leben von schwedischen Frauen mehrerer Generationen zu einer einfühlsamen Frauengeschichte verband. In ihrem neuen Roman "Maria Magdalena" stehen wieder die Frauen im Zentrum, und er hat ein christliches Tabu zum Thema: Maria Magdalena wird hier als Hure, Geliebte und Weggefährtin Jesu gezeigt, war, wie andere Frauen, eine vorurteilsfreie Jüngerin, die "Ohren hatte zu hören".

Aus Fragmenten eines fiktiven Evangeliums der Maria Magdalena, das in der Nag Hammadi Library auftaucht, konstruiert sie eine starke Frauengestalt, deren Interpretationen der Lehren Jesu - als Gegenpol zur reglementierten "Männerkirche" - gerade heute wieder zur Belebung der christlichen Glaubensgemeinschaften führen könnte.

Das Leben der kleinen Maria von Magdala, "nur" ein jüdisches kleines Mädchen in dem von den Römern besetzten Land, noch dazu mit blonden Haaren und blauen Augen Außenseiterin, ist von Frauenverachtung geprägt. "Gepriesen seist du, Herr, König des Weltalls, daß du mich nicht als Frau erschaffen hast," ist des Vaters täglicher Dank am Morgen. Die Brüder dürfen zur Schule, sie darf nicht einmal fragen. Nur mit ihrer Mutter, die sie tröstet und ermutigt, steht sie in wortloser Kommunikation. Bei einem Überfall durch die Römer wird ihre ganze Familie ausgerottet, das geschockte Kind rettet sich in die Berge und wird von einem griechischen Offizier aufgegriffen. Er übergibt es der einzigen Frau, der er vertraut, Euphrosyne, Leiterin des größten Bordells in der Stadt. Auch er, Leonidas, ist Außenseiter: hochgebildet und in undurchschaubare Geschäfte und Liebschaften mit jungen Männern verwickelt. Wie ein Vater zahlt er für die Ausbildung des Mädchens, das zum Liebling der Huren wird, die sich bemühen, ihm eine ordentliche, sittsame Erziehung angedeihen zu lassen. Das Mädchen wird trotzdem "aus Neigung" selbst Prostituierte, bis sie sich in Jesus verliebt und ihm folgt. Nach seinem Tod verliert sie den Verstand, wird von Leonidas wiedergefunden und gesundgepflegt. Als seine Frau lebt sie unter seinem Schutz und unerkannt, bis sie von Simon Petrus und Paulus aufgesucht wird, die ihre Erinnerung an Jesu Lehren hören wollen.

Diese Geschichte bildet den äußeren Rahmen für die Erinnerungen der Maria Magdalena an Jesus, den sie als Mann geliebt hat und dessen Lehren sie ihr ganzes Leben lang beschäftigten. Beunruhigt verfolgt sie die Machtkämpfe zwischen den verschiedenen christlichen Gemeinden um die "wahre Lehre" und die Rolle ehemaliger Apostel dabei. Stehen doch für sie im Mittelpunkt die Worte: "Macht keine Gebote aus dem, was ich euch gesagt habe. Schreibt keine Gesetze nieder, so wie die Schriftgelehrten es tun." Sie zögert, ihre Erinnerungen aufzuschreiben, da ihr bewußt ist, daß sie als Frau kein Gehör finden wird und sich die Lehren Jesu nicht so einfach zusammenfassen lassen. "Er war zu groß für uns" meint sie, auf die vielen Ungereimtheiten ihrer Erinnerungen angesprochen. So nähert sie sich ihrer "großen Liebe" in vielen kleinen, lebendigen Geschichten, wie sie Jesus erzählt hat, und fügt ihre Gedanken dazu an, die niemals als der Weisheit letzter Schluß gelten, sondern von jedem Christen weitergedacht werden sollten.

Damit verwirrt sie die Apostel, die viele Jahre, nachdem sie Maria Magdalena aus ihrem Kreis verjagten, als Zuhörer zu ihr kommen. Als "Jüngerin" suchen sie sie auf, denn ihre Rolle als Geliebte verstört zu sehr, und sie betonen, daß es eine "einfache Lehre sein muß, die man den Menschen vermittelt". Genau das aber sei unmöglich, meint Maria Magdalena, die im vorurteilsfreien Zugang zu menschlichen Problemen, in der allumfassenden "heilenden" Liebe des Jesus, in seiner Gottverbundenheit und trotzdem menschlichen Existenz, Angst und Erschöpfung eingeschlossen, Jesu Größe erkennt. Auch ihren Begriff von Liebe, der nicht zwischen geistig und körperlich unterscheidet, sondern als allumfassende Erfahrung zwischen Menschen in allen Facetten Würde besitzt, kann sie den Jüngern nicht vermitteln.

Marianne Frederiksson erfindet Begegnungen mit Maria, die zugeben muß, ihren Sohn nie wirklich verstanden zu haben, die seine Loslösung von der Familie - die er allen Menschen empfiehlt, was man ihm sehr übelnimmt - schwer verkraftet, aber doch versucht, den revolutionären Sohn zu verstehen. Andere Frauen aus Jesu Umgebung, Lydia, Susanna, werden für Maria Magdalena zur Stütze und Hilfe. Von der Eifersucht der Jünger, von ihren Machtkämpfen, die schon zu Jesu Lebzeiten begannen, erfährt sie, die Geliebte, in den wenigen vertrauten Stunden, in denen sie sich vor der Menschenmenge zurückziehen können. "Da wir in seinem Gefolge gewöhnliche Menschen mit kleinen Gedanken und großer Eifersucht waren, wurde viel darüber geredet, wen er vorzog", erinnert sich Maria Magdalena.

Sie lebt in einer Zeit grausamer religiöser Richtungskämpfe. Griechische Götter und römische Götter werden verehrt. Jüdische Gemeinden, gnostische Gruppierungen und christliche Gemeinschaften entstehen, bekämpfen einander und verschwinden wieder. Den Aposteln geht es um den Machterhalt.

"Es gibt eine Menge Menschen, die so ängstlich sind, daß sie nur an festgefügten Regeln Halt finden", ist Simon Petrus überzeugt, er sagt: "Was du lehrst, ist schwer zu begreifen. Eine solche Lehre können wir nicht unter die Leute bringen." Aus diesem Grunde werden Maria Magdalenas Erinnerungen nur von Frauen gelesen, als Teil der offiziellen Geschichtsschreibung des Christentums taugen sie den Männern nicht.

Marianne Fredriksson beschreibt ein lichtdurchflutetes Land, ein stilles, ernstes und lustvolles Frauenleben und ein ermutigend freudvolles Christentum, das nicht Verzicht, Sünden und den strafenden Gott, sondern lebendigen Glauben, Vertrauen und Liebe in den Mittelpunkt stellt. Verglichen damit wirken die katholischen Dogmen und die Ausstrahlung der hohen Geistlichkeit heute doppelt erstarrt, kalt und lieblos. Es wird klar, was dem christlichen Glauben mit dem Verlust der "weiblichen Seite" und der Verleugnung von Emotionalität und Lust verlorengegangen ist. Die Autorin schildert die Kraft der Frauen nicht als bedrohliche Macht, sondern als das Leben durchdringende, auch im Dienen innerlich unabhängige Stärke.

Eine der schönsten Szenen des Romans ist die Geburt eines Kindes im Isis-Tempel, bei der Maria Magdalena - die selbst nie Kinder hatte - behilflich ist. Zum ersten Mal versteht sie Jesu zentrale Botschaft vom "Vertrauen haben" wirklich und ihr wird klar, warum Frauen keine starren Reglementierungen brauchen und die männlichen Machtspiele im Grunde nur belächeln können.

"Männer sollten werden wie Frauen und Frauen wie Männer", sagte Jesus, erinnert sich Maria Magdalena, was die Apostel schon vor zwei Jahrtausenden zornig machte. Von diesem Roman geht soviel Ruhe, Wärme und Zuversicht aus, daß man trotzdem die Hoffnung nicht verliert, die bereits die alte Priesterin im Isis-Tempel hegt: "Ich hatte gehofft, daß der neue Gottmensch der weiblichen Kraft auf unserer Erde wieder zu ihrer Anerkennung verhelfen würde."

Maria Magdalena. Roman von Marianne Fredriksson. Aus dem Schwedischen von Senta Kapoun Wolfgang Krüger, Frankfurt/M. 1999. 284 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,14

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung