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Der "Writer in residence" als Chronist einer Stadt.

Sie haben noch nie von Zweibrücken gehört? Ja, so ist das eben mit den Relativitäten: Hat eine Stadt in Deutschland 38.000 Einwohner, figuriert sie unter "ferner liefen". Im zehn Mal kleineren Österreich sieht die Sache anders aus: Steyr und Wiener Neustadt, beide in der gleichen Liga spielend, würden es sich vehement verbitten, als namenlose Provinznester abgetan zu werden.

Natürlich hat es auch andere als nur quantitative Gründe, dass das dicht an der Grenze von Westpfalz und Saarland gelegene Städtchen Zweibrücken nur etwas für fortgeschrittene Kreuzworträtsellöser ist: Zweimal ist es - im Lauf seiner streckenweise durchaus glanzvollen Geschichte - "ausgelöscht" worden. Zuerst 1793, als es - mit der Besetzung durch französische Revolutionstruppen - mit dem Herzogtum Pfalz-Zweibrücken ein jähes Ende hatte und die einst blühende Fürstenresidenz zum bedeutungslosen Landstädtchen absackte, und geradezu verheerend an jenem 14. März 1945, als ein Bombenangriff der Alliierten die Stadt in Schutt und Asche legte. Hinter Dresden und Pforzheim steht Zweibrücken an dritter Stelle im "Ranking" der während des Zweiten Weltkrieges meistzerstörten Städte Deutschlands. Von so einem Kollaps muss man sich, wenn überhaupt, erst mal erholen ...

Nicht nur ein Rosengarten

Dass dies geglückt ist, darf wohl als Sonderfall des deutschen Wirtschaftswunders gelten. Tatsächlich ist Zweibrücken heute, 57 Jahre nach dem Aus, eine längst wieder wohlfunktionierende Kommune mit hervorragenden Wirtschaftsdaten (insbesondere in der eisenverarbeitenden Industrie), die mit dem wiederaufgebauten barocken Herzogsschloss, dem Landgestüt und dessen Pferderennen sowie einem der schönsten Rosengärten Europas sogar auf eine Reihe von Attraktionen verweisen kann, die dem Fremdenverkehr im äußersten Südwesten der Bundesrepublik mancherlei Anreiz bieten.

Auch die Krise der frühen neunziger Jahre, als sich - mit dem Abzug der amerikanischen bzw. kanadischen NATO-Kontingente - Zweibrücken vor die Aufgabe gestellt sah, einen der größten und plötzlich überflüssig gewordenen Militärflugplätze neu zu nutzen, scheint überwunden: Eine Fachhochschule des Landes Rheinland-Pfalz, ein die gesamte Region mit "Schnäppchen" versorgendes Designer-Outlet-Center und ein opulenter Multimedia-Park sorgen für neue Impulse, für neue Arbeitsplätze, für neue Erwerbsquellen. Zweibrücken kann sich also mittlerweile sogar wieder die eine und andere Extravaganz leisten. Zum Beispiel - aus Anlass seines 650-Jahre-Jubiläums - den Posten eines "Stadtschreibers".

Und dieser "Stadtschreiber" bin ich.

Ich freue mich über diese ehrenvolle Aufgabe und ich komme ihr mit Vergnügen nach. Kurios sind allerdings die Reaktionen derer, denen ich davon erzähle - vor allem in Österreich, wo man mit dem Begriff "Stadtschreiber" wenig anfangen kann. Hierzulande haben sich in dieser Hinsicht, so viel ich weiß, bis jetzt nur die Landeshauptstädte Klagenfurt, Innsbruck, Graz und Linz hervorgetan; es wäre wünschenswert, wenn deren Beispiel andere folgen würden.

Eine kleine Minderheit, offenbar vom Wohlklang des Titels beeindruckt, gratuliert mir zu der neuen Würde und überprüft interessiert mein Äußeres - begierig Ausschau haltend nach den entsprechenden Insignien. Sobald sie festgestellt haben, daß Stadtschreiber weder eine schmucke Uniform übergezogen bekommen noch im Rolls Royce vorfahren, schlägt ihre Hochachtung allerdings regelmäßig in Enttäuschung um: Ich trage keinen samtenen Talar, kein Barett in den Stadtfarben, nicht einmal eine Anstecknadel mit dem Zweibrücker Wappen. Das soll etwas Besonderes sein?

Die überwiegende Mehrheit drückt mir also unverhohlen ihr Bedauern aus. Sie sehen mich offenbar, Ärmelschoner über das zerschlissene Sakko gestreift, in einer düsteren, schäbig ausstaffierten Amtsstube verstaubte Akten ordnen: eine gescheiterte Existenz, ein Sozialfall, ein armer Wurm.

Vielleicht ein Meisterwerk

Obwohl es inzwischen - vor allem in Deutschland - schon eine große Zahl von Orten gibt, die sich einen Stadtschreiber halten, besteht nach wie vor in weiten Kreisen der Unklarheit darüber, was es mit dieser Einrichtung, die von den mittelalterlichen Protokollführern, Chronisten und Kanzlisten bloß den Namen ableitet, auf sich hat. Wie bei so vielen neuzeitlichen Errungenschaften hilft auch hier nur eine Anleihe beim Englischen weiter: "Writer in residence". Gemeint ist: Das Kulturreferat der betreffenden Stadt lädt einen Schriftsteller seiner Wahl ein, sich für die Dauer eines Jahres in ihr niederzulassen, dort bei freier Kost und Logis sowie gegen ein angemessenes Entgelt seinem Tagwerk nachzugehen, am Leben der Bürger teilzunehmen und am Ende seiner "Amtszeit" vielleicht auch einen Text abzuliefern, der auf diese oder jene Weise mit dem gastlichen Ort zu tun hat. Haben die Stadtväter Glück, so ist es etwas Brauchbares, vielleicht sogar ein Meisterwerk, das das Image des ihnen anvertrauten Gemeinwesens aufpoliert; haben sie Pech, so fällt der Auserwählte über seine Wohltäter her und macht sie vor aller Welt zur Sau. Künstlerische Freiheit ist oberstes Gebot - wie leicht kann da etwas schiefgehen!

Anders im Fall Zweibrücken: Die zwischen dem Magistrat und mir ausgehandelte Vereinbarung sieht keinerlei permanente Anwesenheitspflicht vor, dafür aber ausdrücklich ein Buch, und an diesem Buch, das - bei ansonsten freier Themenwahl - ein Zweibrücken-Buch sein soll, arbeite ich seit Monaten mit ganzer Kraft.

Die Frage war: Womit kann ein österreichischer Autor einer deutschen Kleinstadt, die ihn unter Vertrag nimmt, nützlich sein? Bei meinen Überlegungen kam mir zu Hilfe, dass ich im Sanktionsjahr 2000 ein Buch über Auslandsösterreicher veröffentlicht hatte, die es an ihrer neuen Wirkungsstätte zu Ruhm und Ansehen gebracht haben: "Heimat bist du großer Namen". Wie wär's, wenn ich versuchte, nach diesem Muster Zweibrücken unter die Lupe zu nehmen?

Heimat großer Namen

Die Rechnung ging voll auf. So mühsam die Recherchen verliefen, so ergiebig waren sie: Da ist der herzogliche Mundkoch Nicolas Appert, der in späteren Jahren als Erfinder der Konservendose in die Geschichte eingeht, der Abenteurer Heinrich Hilgard, der es zum "Eisenbahnkönig" in den USA bringt, der Maler Johann Georg Trautmann, der - schlag nach in "Dichtung und Wahrheit"! - in Goethes Elternhaus am Frankfurter Hirschgraben ein und aus geht, der Großindustrielle Daniel Lapp, der in Rekordzeit den Arlbergtunnel baut (und für seine Jahrhundertleistung von Kaiser Franz Joseph nobilitiert wird), der Zweibrücker Lehrerssohn und Einstein-Freund Hermann Anschütz-Kaempfe, der den Kreiselkompass entwickelt, der Instrumentenmacher Christian Baumann, der sogar Mozart zu seinen zufriedenen Kunden zählt (und mit einem seiner Klaviere auch in der staatlichen Wiener Sammlung historischer Musikinstrumente vertreten ist). Ja, sogar einen echten König hat Zweibrücken "geliefert": Es ist jener letzte Herzog Maximilian Joseph, der Anno 1806 den Münchner Thron besteigt und damit die Dynastie der Wittelsbacher begründet.

So fügte sich eins zum andern - mit dem skurrilen Ergebnis, dass sich unter die insgesamt 33 von mir "ausgegrabenen" und porträtierten Ex-Zweibrücker sogar auch ein Vierbeiner mischte: jener in einem dortigen Zwinger gezüchtete Schäferhund "Apollo aus dem Rosarium", der es als "Rin Tin Tin" in Hollywood zu Filmruhm brachte.

Um nicht nur in der Vergangenheit zu verharren, sondern auch die Lebenden einzubeziehen, spürte ich in Berlin den Filmregisseur Peter Fleischmann ("Jagdszenen in Niederbayern"), in Hannover die Sängerin und Gesangspädagogin Charlotte Lehmann, in München den Cheftexter der "Lach- und Schießgesellschaft" Klaus Peter Schreiner, und in Ingolstadt die Sagenforscherin Emmi Böck auf, und ein ganz besonders "fetter" Fisch ging mir in Gestalt des weltweit agierenden Schlagerproduzenten Horst Nussbaum alias Jack White ins Netz.

In Schillers Trauerspiel "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" heißt es an der berühmten Stelle des dritten Aktes: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen." Bezogen auf meine Arbeit an dem Buch "Von Zweibrücken in die Welt" (das in diesem Herbst erscheint), möchte ich den zweiten Teil dieses vielzitierten Wortes wie folgt abwandeln: "Der Mohr kommt wieder." Denn ich habe das kleine Zweibrücken während meines Dortseins so liebgewonnen, dass ich es ganz gewiss auch nach meinem Abgang als Stadtschreiber nicht aus den Augen verlieren werde.

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