„Ständig unter Stress“

Werbung
Werbung
Werbung

Thomas Harms, Körper-Psychotherapeut und Gründer von Schreibaby-Ambulanzen, über die mangelnde Orientierung junger Eltern und den besseren Umgang mit Stress im Baby-Alltag. Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Wie mit Hilfe der Körperpsychotherapie die frühe Eltern-Kind-Beziehung gestärkt werden kann, erklärt Thomas Harms im FURCHE-Interview. Harms war einer der Vortragenden bei der Tagung „Mit Würde ins Leben treten“ im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg.

Die Furche: Herr Harms, haben Sie den Eindruck, dass sich Eltern heute schwerer tun im Umgang mit ihren Babys bzw. Kindern?

Thomas Harms: Aus meiner 20-jährigen Beobachtung und Erfahrung fällt mir auf, dass die Orientierungslosigkeit größer geworden ist. Eltern müssen sich ständig entscheiden, weil es nicht mehr die eine und richtige Strategie gibt, ein Kind zu begleiten. Früher gab es nur das autoritäre Modell der Kinderbegleitung. Heute haben Eltern viele Wahlmöglichkeiten. Das bringt Eltern in einen Zustand von Orientierungslosigkeit, Ratlosigkeit und das produziert sehr viel Stress.

Die Furche: Dabei gab es noch nie so viele Angebote für Eltern: Ratgeberliteratur oder das Internet – und trotzdem sind viele Eltern überfordert. Warum?

Harms: Wie gesagt: Fast bei jedem Aspekt – ob es um das Stillen geht, die Impfthematik, die Schlafproblematik – gibt es unterschiedliche Strategien, die geboten werden. Eltern befinden sich ähnlich wie in einem Supermarkt ständig an Wegkreuzungen. Das ist ein sehr belastender Zustand. Die Frage ist, wie finde ich diese Sicherheit in mir, die Korrektur, sodass ich weiß, ich bin auf einem stimmigen Weg – für meine persönliche Art zu sein, für mein familiäres System.

Die Furche: Wie könnte das gehen?

Harms: Wir müssen uns wieder mehr anderem, sprich: den inneren Bezugssystemen in unserem Körper hinwenden. Wir müssen in uns hineinspüren, wir müssen nachfühlen, ob der Weg, den wir einschlagen, sich subjektiv stimmig anfühlt.

Die Furche: Fehlen vielen Eltern Eigenressourcen oder Kompetenzen, um mit der neuen Lebensphase Elternschaft umzugehen?

Harms: Nein. Viele Eltern sind gut vorbereitet, geben sich Mühe, sich adäquat mit Wissen zu versorgen; sie sind in der Regel auch offen für die Veränderungen, die eine Elternschaft mit sich bringt. Potenziell ist eigentlich alles da, aber in der heutigen Situation unserer beschleunigten Lebensweise und des allgemein hohen Anspruchdenkens ist eine deutliche Verbreitung von Stress und Anspannung zu beobachten. Das Kind in seinen Kompetenzen wird zum einen viel deutlicher und bewusster wahrgenommen als je zuvor in unserer Menschheitsgeschichte, unsere emotionale und soziale Situation ist jedoch viel komplexer und schwieriger geworden. Viele Eltern leben in Strukturen, die sehr isoliert und sozial wenig eingebunden sind. Das kreiert Stress, und das wirkt sich negativ auf die Beziehungs- und Bindungsfähigkeit aus.

Die Furche: Oft scheinen Kinder gar nicht mehr ins Lebenskonzept zu passen, weil sich Menschen zu sehr über Beruf und Eigenentfaltung definieren …

Harms: Ja, das erlebe ich besonders bei eher mittelständischem Klientel. Dass ein Kind die gesamte Lebensplanung über den Haufen wirft, ist eigentlich keine neue Geschichte, es hat sich aber die Geschwindigkeit des Lebens verändert. Die Umstellung auf Mutter- oder Vaterschaft bedeutet heute eine enorme Ausbremsung dieses Lebenstempos. Das ist für viele junge Menschen fast nicht mehr unter einen Hut zu bringen mit ihren bisherigen Lebenskonzepten. Diese Übergangsphase zum Beginn einer Elternschaft ist heute viel schwieriger geworden, als dies noch Generationen zuvor erlebt haben.

Die Furche: Was kann Ihr Konzept der „Emotionellen Ersten Hilfe“ für junge Eltern und ihre Kinder tun?

Harms: Die Grundidee der Arbeit lautet, dass Bindungsprozesse und Bindungsregulation nur dann möglich sind, wenn wir über einen entspannungsfähigen Körper verfügen. Wir wissen aus der modernen Bindungs- und Gehirnforschung, dass alles, was Stress und Angst kreiert, unsere Beziehungs-, Resonanz- und unsere Spiegelungsfähigkeit schwächt. Ziel unserer Arbeit ist es, mit einfachen körperlichen Vehikeln wie Atmung, Berührung und Imagination die Eltern so zu unterstützen, dass die Entspannungsfähigkeit ihres Organismus wieder wirksam wird. Einfach formuliert: Umso besser Eltern bei sich sind, in sich ruhen, desto einfacher gelingt es ihnen, die nonverbalen Signale des Kindes zu verstehen. Indem sie lernen, die inneren Stresszustände ihres Körpers anzuerkennen sowie diese inneren Anspannungszustände durch gezieltes Stressmanagement positiv zu beeinflussen, kehren sie in einen Zustand zurück, der Beziehung zum Kind wieder möglich macht.

Die Furche: Wo sind die Grenzen des Ansatzes?

Harms: Diese liegen eindeutig in der Begleitung von Eltern, die an tiefer gehenden Formen von psychischen Erkrankungen leiden. Ein Beispiel hierfür sind etwa Mütter mit sogenannten postpartalen Depressionen – hier braucht es zwingend eine umfassende Form der psychotherapeutischen Begleitung. Die Emotionelle Erste Hilfe eignet sich gut für die Entwicklungs- und Krisenbegleitung von Eltern und ihren Säuglingen in der ersten Zeit nach der Geburt. Hier kann bei Störungen der Regulations- und Beziehungsfähigkeit von Eltern und ihren Kindern schon in wenigen Sitzungen eine enorme Verbesserung der Situation erreicht werden.

Die Furche: Gibt es gewisse Zielgruppen?

Harms: Die Zielgruppe unserer Arbeit sind Eltern, die im ersten Lebensjahr mit ihren Säuglingen in einen schwächenden Kreislauf aus Stress, Angst und Kontaktverlust geraten und denen es nicht mehr gelingt, diesen aus eigener Kraft zu verlassen. Ich leite Schreibabysprechstunden sowohl in Bremen als auch im ländlichen Umland. Aber im Kern sind die Probleme derer, die uns in den Einrichtungen besuchen, doch sehr ähnlich: „Ich versteh die Verhaltens- und Körperbotschaften meines Kind nicht mehr; ich bin in einem Zustand totaler Belastung und Erschöpfung; ich habe Angst, dass ich das Schreien meines Babys nicht mehr aushalte und meine zerstörerischen Phantasien dann Wirklichkeit werden.“

T. Harms ist Psychologe und arbeitet seit 15 Jahren im Bereich der präventiven Körper-Psychotherapie mit Säuglingen, Kleinkindern und Erwachsenen. Er gründete 1993 die erste Schreibaby-Ambulanz in Berlin, danach in Bremen. Er ist Ausbilder und Supervisor am Zentrum für Primäre Prävention und Körperpsychotherapie in Bremen ( www.zepp-bremen.de)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung