Starke Körper in einer gebrochenen Welt

Werbung
Werbung
Werbung

Die 26. Ausgabe des „ImPulsTanz“-Festivals geht heuer vom 16. Juli bis zum 26. August über die Bühne. Dabei setzen die Veranstalter auf große Namen wie Vandekeybus und De Keersmaeker.

Wüsste ich nicht, wer sie ist, ich würde die leichtfüßig das Kreuz tragende Figur kaum erkennen: Jesus – als „role model“ im Blitzlichtgewitter beim Foto-Shooting einer Modellagentur. Eine andere Szene: Drei hochschwangere Frauen hocken breitbeinig über Einkaufswägen und gebären Cola-Dosen, Chips-Tüten, Schoko-Riegel …

Skandalös? Nicht doch. Der Skandal in „Orgy Of Tolerance“, der neuesten Tanznarretei des schlaflosen Doktor Faustus aus Flandern, Jan Fabre, liegt woanders. Der Moralist im humorigen Gewand verschont uns diesmal mit Körperflüssigkeiten. Urin und Blut sind in seinem Œuvre ja genug geflossen. Eine wüste Show ist sie trotzdem, diese antikapitalistische „Orgie der Toleranz“, samt Gruppensex bis zum Abwinken. Jan Fabre grapscht nach den Wunden unserer Zeit, bis es weh tut, lässt das Unwohlsein der Seele groß werden, bis der Schweiß eiskalt und die Hoffnung ein großer Trauerzug ist (5., 7., 8. August, Akademietheater).

Ein mächtiges Programm

Das mächtige Programmheft der 26. Ausgabe des „ImPulsTanz“-Festivals, das heuer vom 16. Juli bis 26. August über die Bühnen Wiens fegen wird, liegt vor. Ein Programm, das es nicht bei Fabres politischer Grobmotorik im Feinripp belässt. Europas größtes Tanzfest mit seinen 48 Einzelproduktionen in über hundert Aufführungen positioniert starke Körper in einer gebrochenen Welt. Es beschert uns Bilder, die den Körper, seine Innen- wie Außenbeziehungen gleichsam in Aspik festhalten.

Dabei setzt man auf große Namen: So werden der belgische Polterer Wim Vandekeybus und seine brachialen „Ultima Vez“ in Kooperation mit Rockmusiker Mauro Pawlowski und dessen Band dEUS „niewZwart (newBlack)“ zeigen – und dabei nicht zuletzt die Stabilität des Körpers ausloten (24., 25. Juli, Museumsquartier).

Zurück zum Wesentlichen

„ImPuls“-Veteranin Anne Teresa De Keersmaeker präsentiert ihre neue Arbeit „The Song“ (17., 18. Juli, Volkstheater). Zehn Tage später brilliert sie in ihrem Choreografie-Klassiker aus dem Jahr 1983, „Rosas danst Rosas“. „Béjarts Töchter“, vier an Maurice Béjarts Tanzschmiede ausgebildete Tänzerinnen, probten damals die Rebellion. Ihr Tanz führte die Dinge auf das Wesentliche zurück. In der Reduktion wurden die Berührungen scheu, Zärtlichkeit dockte an Aggression an. Die Atmosphäre blieb unterkühlt, entemotionalisiert. Ein Kritiker konstatierte: „Nicht jeder muss diesen Tanz lieben, aber, dem Himmel sei Dank, hatte jemand den Mut, ihn zu kreieren“ (27., 28. Juli, Museumsquartier).

Weiter geht’s im Who is Who des Gegenwartstanzes: mit dem studierten Biochemiker Xavier Le Roy etwa, der in seiner weltberühmten Performance „Self-Unfinished“ aus dem Jahr 1998 nicht nur eingefahrene Seh- und Theatergewohnheiten provoziert. Der in Berlin lebende Franzose begann – nebst Landsmann Jérôme Bel und der Amerikanerin Meg Stuart – in seinen Arbeiten der 1990er Jahre die selbstverständliche Anatomie des Körpers in Zweifel zu ziehen, die Schnittstellen von Körper-Haben und Körper-Sein zu thematisieren. Der Körper erscheint als zerstückeltes Gebilde, das sich je nach Blick neu gestaltet. Le Roy tritt als Leib ohne Kopf auf – selbstredend eine Täuschung, ist es doch der Kopf, der dieses Wesen bewegt. Der Tanz wird aus diesem Dilemma nicht herauskommen, Le Roys „Self-Unfinished“ macht es sichtbar (9. August, Akademietheater).

Tänzerisch-theatralische Delikatesse

Und auch der Altmeister der Moderne, JiÇrí Kylián aus Prag, macht einen Abstecher nach Wien. Er verwöhnt uns mit seiner neuesten tänzerisch-theatralischen Delikatesse „Last Touch First“, einem Gruselkabinett trügerischer zwischenmenschlicher Annäherung, das im 19. Jahrhundert spielt, Gutbürgerliches ins Surreale transformiert (31. Juli, 2. August, Akademietheater).

Zum traditionellen kostenfreien Eröffnungsspektakel bittet man am 16. Juli in den Haupthof des Museumsquartiers. Savion Glover wird mit seinem Jazztrio dort nachheizen, wo Fred Astaire oder Gene Kelly aufgehört haben: Wo immer Steppwunder Glover antanzt, hinterlässt er pure Verzückung.

ImPulsTanz

16. Juli bis 16. August 2009

Info, Kartenreservierung: (01-)523-55-58

www.impulstanz.com

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung