Starker Nebel auf dem Olymp

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Die Furche-Herausgeber

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Neunzig Jahre Salzburger Festspiele. Schon die Eröffnungsfeier war großes Sprech-Theater. Seit Jahrzehnten wissen die Redner in wechselnder Besetzung, was von ihnen erwartet wird: Salzburg loben, die Kultur hofieren, den Frieden beschwören. Ideologisch-Politisches bleibt da meist nur als Geste spürbar. War es Vergesslichkeit, dass die auch für Kirchenfragen zuständige Ministerin Claudia Schmied als Einzige den Salzburger Erzbischof nicht begrüßte? Und das ausgerechnet im „Deutschen Rom“, Symbol größter Nähe von Kult und Kultur.

Gott – und die antiken Götter

Was mich heuer besonders interessiert hat: Wie sich die Stars dieser Weihestunde am Festspielmotto 2010 abarbeiten würden: „Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie“ (© Michael Köhlmeier). FURCHE-Leser erinnern sich vielleicht: An dieser Stelle habe ich vor Monaten daran Kritik geübt.

Es ist schon wahr: Die antiken Dramen, die diesen Festspielsommer beherrschen („Elektra“, „Phädra“, „Ödipus“, „Dionysos“), sind von der Kollision zwischen Mensch und Göttern geprägt. Die Familiensaga des Olymp ist randvoll von Gewalt, Gier und Perversion – samt Durchgriff zu den Sterblichen.

Nur: Von „Göttern“ und Antike ist im Festspielmotto nicht die Rede, sondern von „Gott“. Und das auch noch im Präsens. Also vom Eingottglauben heute. So aber liest sich die Botschaft ganz anders: Der Umgang mit Gott ist zu meiden – er schafft Unglück. Ein schweres Brot gerade für Christen, die Gott an ihrer Seite wissen – und Tragisches eher dort vermuten, wo Gottlosigkeit und Unmenschlichkeit kollidieren.

Wie also sind die Festredner mit dieser theologischen Steilvorlage umgegangen? Kurz gesagt: Die Mehrzahl durch Verschweigen, der Rest durch Flucht.

Der Bundespräsident versuchte, das heikle Thema religionsfern ins Trockene zu bringen. Er spannte den Bogen vom Schicksalsglauben der Antike zur Rechtssicherheit der modernen Demokratie. Was mit einem Lob auf unsere ebenfalls 90-jährige Bundesverfassung endete.

Und die Kulturministerin: Das Grausame einer Tragödie sei ja, zitierte sie Köhlmeier, dass sie meist einen Unschuldigen träfe. Und flugs war sie bei der Insolvenz von Lehman Brothers, bei der „unbeschreiblichen Gier“, der „gewissenlosen Spekulation“, beim „Mythos des schnellen Profits“, beim Zynismus der Wallstreet-Broker. Das Geld als „Goldenes Kalb“ unserer Tage. „Finanzkrise ist Kulturkrise, auch Wertekrise.“ Wer wollte ihr widersprechen?

Provokation ging ins Leere

Nur: Wo versteckt sich hinter dieser globalen Tragödie das Salzburger Festspielmotto vom „Zusammenstoß von Gott und Mensch“? Hat unsere Wertekrise samt Gier und Zynismus nicht eher mit Gottes- und Glaubensverlust zu tun – und die Jagd nach dem schnellen Profit nicht mit Jenseitsverlust und der Panik eines zwischen Geburt und Tod eingezwängten Lebens?

Bleibt als Erfahrung: Da hat sich jemand redlich bemüht, durch ein polemisch-provokantes Motto zum Nachdenken und/oder Widerstand anzuregen – und hat am Ende nur Schweigen und Vernebelung geerntet.

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