Statistische Grauzone im Elend der Welt

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Wie soll man sich die Erhebung von soziodemografischen Daten im Südsudan vorstellen, wie in der Zentralafrikanischen Republik oder in den diversen Kampfgebieten Syriens?

Aus dem britischen Raum kommt eine äußerst herausfordernde Lebensweisheit: "Drei Wege gibt es, einander nicht die Wahrheit zu sagen: Lüge, Meineid und Statistik". Das ist zwar ernüchternd, dafür aber erstaunlich unwiderlegt. Denn immerhin dreht sich die Welt der menschlichen Gesellschaft nach nichts anderem als nach Statistik. Die Wirtschaft ist eine BIP-Wirtschaft, die jede Seit-oder Abwärtsbewegung der Konjunkturkurve als eine Katastrophe wertet. Wohl und Wehe politischer Prinzipalen werden nach Umfragen und statistischen Verfahren bemessen. Aber kann man auch einem Staat den Puls messen?

Natürlich ginge das, meinen die Initiatoren des "Fragile States Index", der sich mit den Schwächen der Schwächsten beschäftigt. Und zwar vermittelst eines höchst ausgeklügelten Verfahrens nach "Millionen von Berichten und Studien", so die Homepage. Jahr für Jahr werden so die Schwächsten der Schwachen bestimmt. Das alles mit dem proklamierten Ziel, "nachhaltig die Sicherheit zu fördern und die Fähigkeit von Staaten, ihre Probleme zu lösen". Dieser Tage ist der Bericht erschienen und die Schande des fragilsten Staates bucht der kriegsverseuchte Südsudan für sich.

Nach eigenen Angaben sammeln die Experten Land für Land Daten und Berichte, die sie nach zwölf Kriterien ordnen, von der ökonomischen Performance über die Sozialsysteme, aber auch die Infrastruktur und die Kohäsion, also den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Daraus wird dann ein statistisch gewichteter Trend gezogen. Theoretisch ist das ein feiner Ansatz, denn wer würde nicht gerne wissen wo man gegenüber den anderen stünde. Österreich ist übrigens auf Rang 165 von 178 Nationen, also im Feld der Musterschüler staatlicher Ordnung, da die schlechtesten in diesem Falle die ersten der Rangordnung sind. Unbestreitbar ist die Statistik eine der segensreicheren Erfindungen der Menschheit. Schon 1831 war das so, als der britische Zahlenliebhaber William Chadwick während der Cholera-Epidemie in London die Aufnahmezahlen von Patienten in den städtischen Spitälern Bezirken und Wohnvierteln zuzuordnen begann. Mit dem Ergebnis, dass eine Patientenhäufung in der Nähe einer bestimmten städtischen Wasserleitung feststellbar war, über welche sich die Krankheit verbreitete.

Einer solchen Heldentat kann sich der Index der "fragilen", früher auch "failed" genannten Staaten nicht rühmen. Im Jahr 2012 mussten sie sich vom Guardian sogar den Vorwurf gefallen lassen, die Statistik hemme durch ihre negative Punzierung jeden noch so kleinen Investitionsfluss in gefährdete Länder und veranlasse so nur ein Anheizen der Misere. Fazit: "Man sollte den Index im Papierkorb entsorgen."

Katarische Krisen

Dieses Jahr begegnete man den Kritikern mit dem Hinweis, man habe immerhin die dramatischste Verschlechterung nicht bei einem armen Staat festgestellt, sondern beim reichsten Land Katar, das seit dem vergangenen Jahr unter Sanktionen seiner Nachbarländer steht. Die vermeintliche Rechtfertigung zeigt allerdings die Beliebigkeit des gesamten Verfahrens auf. Denn in Katar herrschen weder Hunger noch Krieg, noch haben sich die sozialen Strukturen verändert, geschweige denn der gesellschaftliche Zusammenhalt.

Der Anlassfall Katar hat die FUR-CHE veranlasst, sich einmal die historische Leistungsbilanz Österreichs auf dem Index anzusehen -und auch da muten die Bewertungen zumindest bemerkenswert an. Für das Jahr 2006 ist zum Beispiel ein deutlicher negativer Ausschlag verzeichnet, was das Kriterium "Einflussnahme von außen" betrifft. Darunter verstehen die Macher des Index "die Besetzung des Landes durch fremde Truppen" oder "die Unterstützung von regierungsfeindlichen Fraktionen". Da muss sich also etwas auf österreichischem Boden ereignet haben, das der Öffentlichkeit entgangen ist. Oder aber, die Macher des Reports verstehen unter der EU-Präsidentschaft Österreichs 2006 einen "Angriff ausländischer Mächte".

Ähnliches gilt für die Bewertung der Reichtumsdisparität. Hier müssten sich die Unterschiede nach der Liste des "Fund for Peace" in den vergangenen zwölf Jahren halbiert haben. Das haben sie aber weder nach den einschlägigen Studien der Nationalbank, noch nach jenen der Arbeiterkammer.

Wenn es solche Auffälligkeiten bei statistisch bestens bestückten Ländern gibt, wie sieht es dann mit der Verlässlichkeit des Urteils bei Staaten aus, die der Bericht im Bereich der "failed states" verortet? Wie soll man sich die Erhebung von soziodemografischen Daten im Südsudan vorstellen, wie in der Zentralafrikanischen Republik oder in den diversen Kampfgebieten Syriens? Wie kann dort eine halbwegs abgesicherte Methodologie zum Einsatz kommen? Oder einfach ausgedrückt: Landen wir bei dieser Art der Statistik letztlich bei in Zahlen gehüllte Bestätigung von Vorurteilen? Vorurteile, die wir dann eindrucksvoll umgesetzt in einer tollen interaktiven Karte mit hübschen Farben sehen.

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