Statt der gerechten Gesellschaft die anständige Gesellschaft?

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Drei Autoren zerbrechen sich den Kopf über das Zusammenleben von Palästinensern und Israeli: Der Österreicher Hans Benedict, der Araber Adel Elias und der Israeli Avishai Margalit.

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Drei Autoren zerbrechen sich den Kopf über das Zusammenleben von Palästinensern und Israeli: Der Österreicher Hans Benedict, der Araber Adel Elias und der Israeli Avishai Margalit.

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Während Fundamentalisten auf beiden Seiten den Nahostkonflikt hochschaukeln, suchen Autoren nach einer Lösung. Die Entstehungsgeschichte Israels in den entscheidenden Etappen machte der verstorbene Nahostspezialist des ORF Hans Benedict in "Bis der Tod sie eint" gefühlsintensiv verständlich. Sein Roman entwickelt sich zum Klassiker. Bekanntlich nahm Benedict die Familie Rabinowicz aus Kishinew zum Leitfaden. Ein Zweig der Familie, der 1902 und 1905 die Pogrome überlebt hatte, emigrierte nach Palästina.

Auf demselben klapprigen Dampfer reiste der türkische Artillerieoberst Abd-ul-Hadi aus Nablus, Anführer der neuen arabischen Nationalbewegung. Die Schicksale der Familien sollten sich nicht mehr völlig trennen. Die Abschnitte des Romans führen in die Hintergründe der großen Ereignisse der israelischen Geschichte weitgehend aus der Sicht des neuen militärischen Geheimdienstes ein. Verständlich, das Familienoberhaupt Reuven Rabinowicz wurde zum ersten Chef des vorerst militärischen Geheimdienstes.

Friedliebende: Auf beiden Seiten allein Benedicts Haltung entspricht jener der zionistischen Einwanderer aus Europa, die mit einer humanistischen Weltsicht ankamen, häufig auf der Flucht vor Pogromen, oder, um in Ruhe vom Antisemitismus leben zu können. Viele hielten die Araber für semitische Brüder, mit denen es möglich sein müßte, friedlich zusammenzuleben. Wie schwierig es ist, diese Einstellung beizubehalten, läßt sich nicht nur anhand der Familie Rabinowicz sehen, von Reuven, der die Familie nach Palästina führte und später von einem Mitglied der Familie Abd-ul-Hadis ermordet wurde, bis zu jenen, die zeitweise zur extremen Rechten abgleiten.

Noch mehr, als auf der jüdischen, finden sich die zu einem vernünftigen Ausgleich gestimmten Kräfte auf der palästinensischen Seite in der Minderheit.

Der im Libanon geborene Soziologe Adel S. Elias, Redakteur des "Spiegel", vertritt diese Einstellung auf der arabischen Seite. In "Dieser Frieden heißt Krieg. Israel und Palästina - die feindlichen Brüder" arbeitet er die palästinensisch-jüdische Problematik in allen Facetten durch. Seine Sympathie gilt weder Arafat noch dessen islamistischen Gegnern. Arafat, versucht er anhand der Osloer Verhandlungen nachzuweisen, habe sich von den israelischen Unterhändlern leicht "über den Tisch ziehen" lassen und sei unfähig gewesen, mit seinen Mitarbeitern einen guten Vertrag durchzusetzen.

Mit der Regierungsübernahme Netanjahus seien selbst diese schlechten Bedingungen hinfällig geworden. Seit Netanjahu sorgen die Fundamentalisten beider Seiten dafür, daß der begonnene Friedensprozeß nicht weitergeht. Elias zeigt sich auch hier als intimer Kenner nicht nur der islamistischen, sondern auch der jüdischen Fundamentalisten. Die Personen, die Organisationen, deren Geschichte zeigen seiner Ansicht im übrigen, daß bei dieser Entwickung wieder einmal ein neuer Faktor ins Spiel kommt: Israels humanistische, demokratische Tendenz, wie auch Benedict sie verkörperte, sei von den westeuropäischen Zionisten gekommen. Die weit weniger an Humanismus und Demokratie ausgerichtete radikal nationalistische Tendenz sei durch die Misrachi-Bewegung verkörpert worden. Diese wurde zwar auch in Europa, von Rabbi Reines in Wilna, gegründet, wird jedoch vor allem von den Einwanderern aus den arabischen Ländern unterstützt.

In den letzten drei Jahrzehnten, zeigt Elias, sind jedoch Einwanderer aus den USA zur ideologischen Triebfeder der, wie der arabische Autor meint, gar nicht an Demokratie interessierten radikalen Rechten Israels geworden.

Elias sieht in der Art und den Bedingungen des Friedensprozesses die Wurzeln eines neuen Krieges. Aber obwohl seiner Ansicht der Friedensprozeß gescheitert ist, sieht er, nicht unähnlich Benedict, über die triste Lage hinaus noch alle Möglichkeiten für eine Versöhnung zwischen den "verfeindeten Brüdern" offen. Israel müsse "ein demokratischer Staat, die israelische Gesellschaft eine säkulare" werden. Auf der anderen Seite müssen die Palästinenser die "Idee eines rein arabischen, islamisch dominierten Palästina aufgeben". Eine friedliche, multikulturelle Gesellschaft also - in wieviel Generationen?

Offenbarungsglaube als gemeinsame Basis Ein weiterer Autor, der israelische Philosoph Avishai Margalit, stellt Überlegungen über eine gerechte Gesellschaft an. Habe doch der Jude Moses mit den Zehn Geboten die Grundlage für eine solche Gesellschaft gelegt. In seinem Buch "Politik der Würde" geht es um das gerechte Zusammenleben. Dahinter steht fühlbar stets der Gedanke an das heutige Israel und das Zusammenleben mit den Palästinensern. Das betont auch Fritz Stern in seinem Vorwort, obwohl im Buch selbst nur wenige Zeilen dem Palästinenserproblem gewidmet sind.

Was ist überhaupt eine gerechte Gesellschaft? Margalit geht Punkt für Punkt durch, was helfen kann, sie zu definieren. Da ist die Frage der Demütigung. Was ist Demütigung? Die Verletzung der Rechte? Der Ehre? Kann man Menschen als Untermenschen behandeln und sich dann eine gerechte Gesellschaft nennen? Die Verletzung der Würde des Menschen in allen ihren Formen, findet der Philosoph, "ist gleichbedeutend mit einer Verletzung des Tempels; diese entweiht sowohl die Ehre Gottes als auch die des Menschen, da sich letztere aus der göttlichen Ehre ableitet."

Wenn Demütigung als Ausschluß aus der menschlichen Gesellschaft verstanden werden muß, beruht "der Akt des Ausschließens darauf, daß man sich so verhält, als ob die betreffende Person ein Tier oder ein Gegenstand wäre," sagt Margalit. Dagegen steht die Achtung vor dem Menschen. Wie aber läßt sich die Achtung rechtfertigen? "Begründungen dieser Art werden von Religionen geliefert, die auf einem Schöpfungs- und Offenbarungsglauben basieren." Margalit sucht "nach Eigenschaften, welche die Achtung vor dem Menschen begründen."

Schließlich steht das Problem der Entwürdigung im Zusammenhang mit der Situation der Palästinenser in diesem Buch indirekt stets im Hintergrund. Der Autor erwähnt allerdings nicht sie, sondern die Mohammedaner, die in Israel verblieben und israelische Staatsbürger wurden. Er hält sich penibel fern von Aktualität, ihm geht es um das Prinzipielle.

Über die Untersuchung gesellschaftlicher Institutionen wie Bürokratie, Wohlstandsgesellschaft und Arbeitslosigkeit kommt er der Definition der gerechten Gesellschaft - und der Möglichkeit ihrer Verwirklichung - näher. Doch sei die "gerechte Gesellschaft" wohl sehr schwer zu erreichen.

Hingegen habe "die anständige Gesellschaft meiner Ansicht nach bessere Aussichten, realisiert zu werden, als die gerechte Gesellschaft". Sie ist für ihn, nach dem Ideal der gerechten Gesellschaft, der zweitbeste anzustrebende -und ein realistisch ins Auge zu fassender Zustand. Die anständige als Grundlage für eine künftige israelische Gesellschaft, die sich, wie Benedict ebenso wie Elias hofft, mit den Palästinensern einigt?

Dieser Frieden heisst Krieg. Israel und Palästina - die feindlichen Brüder Von Adel S. Elias. Droemer Knaur Verlag, München 1997, 384 Seiten, geb., öS 335,-.

Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung Von Avishai Margalit. Alexander Fest Verlag, Berlin 1997, 332 Seiten, geb., öS 424,-.

Bis der Tod uns eint. Ein israelisch-palästinensischer Tatsachenroman Von Hans Benedict. Verlag Styria, Graz 1997, 480 Seiten, Ln., öS 350.-.

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