Staudamm statt Lebensraum

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Für einen Mega-Staudamm am Rio Xingù sollen 100.000 Quadratkilometer Regenwald preisgegeben werden. Der Lebenraum der indigenen Bevölkerung wird geopfert.

Die schweren Baugeräte graben sich tiefer und tiefer in den Regenwald Amazoniens hinein, um das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt zu errichten. 8.000 Menschen sind bereits mit den Bauarbeiten beschäftigt, in Kürze sollen es 14.000 sein. Die Regierung will die Kraftwerksgegner, darunter auch der österreichische Bischof der Diözese Xingú, Erwin Kräutler, vor vollendete Tatsachen stellen. Gemäß der Verfassung müsste die indigene Bevölkerung der Region vor Baubeginn konsultiert und ihre Zustimmung eingeholt werden, doch wird dieses verbriefte Rechte ständig verletzt.

Leonardo Bauer ein junger Agraringenieur aus dem Süden Brasiliens erklärt, dass an die 300 Abgeordnete des Parlaments - von insgesamt 513 - direkt die Interessen der Kraftwerksbetreiber vertreten, dass die tendenziell rechts stehende Justiz ebenso hinter dem Vorhaben steht und die Regierung natürlich sowieso. "Der Oberste Gerichtshof spricht ja nicht Recht, sondern er handelt als politischer Akteur.“ In der Region leben 19 indigene Gemeinschaften. Diese hätten vor Baubeginn konsultiert werden müssen, doch ist das nicht geschehen.

Aus diesem Grund sind noch mehrere Klagen anhängig, doch angesichts der oben geschilderten Konstellation ist die Aussicht auf Erfolg gering. Wenn ein Richter einen Baustopp verhängt, wie vor wenigen Monaten passiert, so kommt der Oberste Gerichtshof und hebt diese Verfügung wieder auf. "Die Regierung hat keinerlei Sensibilität für die Kultur und die Lebensform der indigenen Bevölkerung“, erklärt Padre Claret. Der Priester unterstützt seit Jahren, ebenso wie sein Kollege Leonardo Bauer, lokale Gemeinden in ihrem Kampf gegen die Staudammbauten (siehe Kasten).

Durch Versprechen gefügig

Und er schildert die traurige Geschichte, wie die anliegenden Gemeinschaften von der Regierung und den Kraftwerksbetreibern korrumpiert werden: "Das geht zum Beispiel so, dass sie ihnen Geld oder günstige Kredite geben, womit sie Lebensmittel, Kleidung, Treibstoff oder auch Boote kaufen. Auf diese Weise werden sie gefügig gehalten. Wenn sie einmal verstehen, dass sie ein ums andere Mal getäuscht und betrogen wurden, dann werden sie Widerstand leisten. Doch dann wird es wahrscheinlich schon zu spät sein, weil die Bauarbeiten schon zu weit fortgeschritten sind. Die sozialen Folgen dieser Politik sind jedoch jetzt schon zu sehen: Vor allem die Jugendlichen leiden unter der ungesunden industriellen Ernährung, unter Alkoholismus, sie wollen nicht arbeiten, wandern in die Städte ab.“

Das skandalöse Verhalten von Regierung und Unternehmen führt unter der einheimischen Bevölkerung aber auch zu Neid, Missgunst und Streit. Und zu Spaltungen. Aus 19 Gemeinschaften sind wegen interner Auseinandersetzungen bereits 32 Siedlungen geworden. Dieser Prozess vollzieht sich sogar mit Komplizenschaft der FUNAI, der staatlichen Indianerschutzbehörde.

Bischof Kräutler, dessen Diözese mit 100.000 km2 eine der größten der Welt ist, zeigt sich erschüttert darüber, dass der für Menschen und die Natur zerstörerische Kraftwerksbau offenbar nicht zu verhindern ist. Und er versteht nicht, dass es den meisten Menschen in Österreich anscheinend egal ist, was sich dort im weit entfernten amazonischen Regenwald abspielt. Und dass sie die Warnungen nicht hören wollen. "Ich weiß, wir sind ein kleines Land und wir denken immer: Uns wird es schon nicht treffen. Doch wenn Amazonien zerstört wird, so hat das gravierende Folgen für das Weltklima. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Und diese Realität wird vor Österreichs Grenzen nicht Halt machen.“

Aber nicht nur die Auswirkungen des Klimawandels werden die kleine Alpenrepublik treffen. Im Fall Belo Monte laden wir auch eine moralische Schuld auf uns. Der steirische Anlagenbauer Andritz ist mit einem Auftragsvolumen von etwa 350 Millionen Euro am Kraftwerksbau beteiligt. "Nachhaltigkeit war immer schon ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmenspolitik“, brüstet sich der erfolgreiche österreichische Konzern mit seiner sozialen Verantwortung. Bischof Kräutler sieht das anders: "Ich meine, es ist unmoralisch zu sagen, wir schaffen mit diesem Auftrag Arbeitsplätze. Doch um welchen Preis werden diese Arbeitsplätze geschaffen? Es werden dadurch ganze Völker in ihrem physischen und kulturellen Überleben bedroht. Das ist doch menschenverachtend!“

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