"Stein ins Rollen gebracht"

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Wie sich die verkürzte Ärzte-Arbeitszeit auf die Patienten auswirkt und was sich dadurch an den Spitälern alles ändern wird, erklärt Patientenanwalt Gerald Bachinger.

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Wie sich die verkürzte Ärzte-Arbeitszeit auf die Patienten auswirkt und was sich dadurch an den Spitälern alles ändern wird, erklärt Patientenanwalt Gerald Bachinger.

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Bei den Ärzten bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen: Die verkürzte Ärzte-Arbeitszeit und die neue Ärzteausbildung sollen Missstände beseitigen.

DIE FURCHE: Was erwarten Sie sich von der geplanten schrittweisen Verkürzung der Ärzte-Arbeitszeit?

Gerald Bachinger: Erstens eine bessere Versorgung und Sicherheit für die Patienten. Wir wissen aus vielen Studien, dass lange ArbeitszeitenderÄrzteeingroßesProblem in punkto Patientensicherheit darstellen. Ärzte, die übermüdet sind, verursachen öfter Komplikationen. Zweitens sollte es mehr Zeit für Kommunikation geben, die individuelle Beziehung zwischen Arzt und Patient dürfte besser werden. Wir erkennen an den Patientenbeschwerden, dass die Ärzte durch den Arbeitsdruck und die langen Arbeitszeiten nicht mehr so aufnahmefähig sind. Irgendwo hat jeder Arzt seine Grenzen und geht schließlich in eine Dienst-nach-Vorschrift-Haltung.

DIE FURCHE: Welche Beschwerden äußern Patienten?

Bachinger: Immer wieder berichten Patienten, dass sie aufgefordert wurden, sich zu beschweren, damit publik wird, dass die Ärzte aus dem letzten Loch pfeifen. Wenn die Patienten einmal sagen, dass sich die Ärzte wegen der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht besser um sie kümmern können, ist das eine alarmierende Entwicklung.

DIE FURCHE: Laut Ärztekammer gibt es nicht nur junge, überforderte Ärzte, sondern auch viele ältere, die ausgebrannt sind.

Bachinger: Es gibt viele Oberärzte, die am Ende ihrer Karriereleiter angelangt sind, weil es eben nicht so viele Führungsposten in Spitälern gibt. Die anstrengenden Nachtdienste sind für diese Leute jenseits der 50 noch schwerer auszuhalten als für die Jungen. Da droht vielfach Burn-out.

DIE FURCHE: Stichwort Ärztemangel: Viele junge Ärzte gehen ins Ausland. Wie könnte man den Beruf hierzulande attraktiver machen?

Bachinger: Junge Ärzte bräuchten nicht nur mehr Zeit und ein angemessenes Gehalt, sondern bessere Arbeitsbedingungen: Sie müssten bürokratisch entlastet werden von arztfremden Tätigkeiten und mehr Aufgaben an eigenverantwortlich arbeitendes Pflege- oder Administrations-Personal delegieren können. Es braucht flexiblere Arbeitszeiten. Der Dienst in den überfüllten Ambulanzen ist oft belastend.

DIE FURCHE: Wie schätzen Sie die neue Ärzteausbildung ab 2015 ein?

Bachinger: Ich halte diese für sehr praxisrelevant und zielgerichtet, auch in Hinblick auf die Bedürfnisse der Patienten. Da besteht Hoffnung, dass Turnusärzte nicht mehr als System-Erhalter missbraucht werden wie derzeit. In Vorarlberg, wo viele Jungärzte ins Ausland gehen, hat man bereits neue Arbeitszeiten und ein attraktiveres Gehaltsschema entwickelt - und der Ärztemangel wurde gemildert. In Deutschland oder der Schweiz sind die Hierarchien nicht so stark wie bei uns, womit viele Junge nicht mehr zurechtkommen.

DIE FURCHE: Fallen mit der EU-Richtlinie Überstunden künftig weg?

Bachinger: Nur mehr in Ausnahmefällen sollen Überstunden geleistet werden. Die verkürzte Arbeitszeit wird einen Stein ins Rollen bringen: Man wird überlegen müssen, wie man die hohe Patientenanzahl im stationären Bereich reduziert, etwa durch eine Zentralisierung von Leistungen in spezialisierten Zentren. Diese Dichte von Spitälern wird sich nicht halten lassen. Die jetzige Spitalsstruktur besteht seit 150 Jahren - damals gab es keine Rettungshubschrauber, die Leute waren weniger mobil. An den richtigen Stellen wird manauch im Gesundheitssektor schließen oder zusammenlegen müssen.

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