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"Die ,Routiniers mit den Maturantenherzen der alten Generation' werden in ,Moos auf den Steinen' ebenso angegriffen wie die ,politisch fraktionierten der mittleren' und die ,nihilistischen Geschäftsleute' der jungen Generation." stefan alker

Am 27. Oktober 1956 erschien, quasi als Begleitmusik zu seinem Roman, Gerhard Fritschs Text Ebene der sterbenden Schlösser in der Furche. Eine Fahrt durch die Marchfeldschlösser gibt Gelegenheit zu zeitkritischen Betrachtungen, der Umgang mit den alten Gebäuden steht bedeutungsschwer für den Umgang Nachkriegsösterreichs mit seiner Vergangenheit und die Probleme, daraus eine visionäre Zukunft zu entwickeln. Zwischen Sachsengang, Schloß Orth, Eckartsau, Niederweiden und Schloßhof herrscht Dürre und Melancholie, sie sind die Trümmer Österreichs, gezeichnet von Verfall und Kriegsschäden, an denen sich nun die Zukunft entscheiden muss. Viel ungebrochener als im Roman ist die elegische Stimmung und viel eindeutiger sind die kulturkritischen Appelle:

Schlösser, die langsam verfallen. Gewiß, man wird sie allmählich restaurieren. Man hüte sich nur vor einer Fassadenkultur. Architekten allein können es nicht schaffen, die Ruinen reden eine große Sprache, sie reden österreichisch. Man könnte Manager in die Ebene der sterbenden Schlösser führen, man könnte in Schloßhof so etwas wie Kulturtagungen am Eisernen Vorhang veranstalten. Der Anblick des Felsens von Theben gibt auf viele Fragen Antwort. Aber man vertreibe die stille Größe nicht aus dieser Ebene, in der sehr vieles sehr klein wird.

Kritik an Fassadenkultur

Hier klingt ein Ideal vom einfachen Leben und den heilsamen Kräften der Landschaft durch, an das Fritsch später nicht mehr geglaubt hat. Die Kritik aber ist eindeutig: Österreich kann sich nicht mit einer bloßen Fassadenrenovierung begnügen, es muss an die Substanz der eigenen Vergangenheit. Und das Kulturleben darf weder bedenkenlos restaurativen Kräften noch den so innovativen erfolgheischenden Protagonisten des Betriebs überlassen werden. Fritsch, in den Nachkriegsjahren als junger Autor selbst mitten im Wiener Betrieb und mit seinen Tornistergedichten erfolgreich, rechnet in Moos auf den Steinen gnadenlos mit dem literarischen Umfeld ab. Die "Routiniers mit den Maturantenherzen der alten Generation" werden ebenso angegriffen wie die "politisch fraktionierten der mittleren" und die "nihilistischen Geschäftsleute" der jungen Generation. Die kulturellen Werte sind in der "Ebene der sterbenden Schlösser" nicht nur von Verfall und jüngster Zerstörung bedroht, sondern auch von den Machern und Profiteuren einer neu prosperierenden (Kultur-) Gesellschaft. Literatur hingegen - und davon hat sich Fritsch nie so ganz verabschiedet - hätte etwas mit Moral und weitsichtiger gesellschaftlicher Verantwortung zu tun.

Erfolg der Verfilmung

Seine erste Romanveröffentlichung Moos auf den Steinen, 1956 im Salzburger Otto Müller Verlag erschienen, bedeutete für Gerhard Fritsch einen breiten und nicht wiederholbaren Erfolg. Die Verkaufszahlen im Jahr des Erscheinens waren ebenso respektabel wie die Kritikerstimmen, die sich an die vom Klappentext vorgegebene kuriose Deutung des Textes als "unpolitischen Roman" über die "spezifisch österreichische Situation" hielten. Mehrfach wurde Moos auf den Steinen als Fortsetzungsroman in Tageszeitungen nachgedruckt, 1961 folgte eine Lizenzausgabe und im Jahr vor seinem Tod schließlich die Verfilmung des Stoffes durch Georg Lhotzky. Der Film - zur Musik von Friedrich Gulda waren unter anderem Erika Pluhar, Heinz Trixner und Fritz Muliar zu sehen - markiert einen Startpunkt österreichischer Filmgeschichte in der Nachkriegszeit und legte Fritsch, der inzwischen den spektakulär kritischen Fasching veröffentlicht hatte, noch einmal auf seinen frühen Roman fest. In den Nachrufen auf den Autor heißt es immer wieder, er wäre der Öffentlichkeit durch den Film von 1968 bekannt geworden.

So war der Erfolg von 1956 für Gerhard Fritschs weitere Arbeit auch eine große Hypothek. Der vermeintliche Durchbruch verhalf ihm nicht zu finanzieller Unabhängigkeit, immer war er auf Brotarbeiten - wenn auch so wichtige wie die Herausgabe der Literaturzeitschriften Wort in der Zeit und Literatur und Kritik - angewiesen. Die Verkaufszahlen von Moos auf den Steinen für 1961, als ganze 84 Exemplare abgesetzt wurden, kommentiert er lakonisch in einem Brief: "Dos haast sich Erfolgsautor". Auch literarisch verpasste er den Anschluss - seine wiederholten Versuche, einen zweiten Zeitroman im Stil von Moos auf den Steinen zu schreiben, schlugen ein ums andere Mal fehl. Fasching (1967) und Katzenmusik (posthum 1974) sind auch späte und rabiate Befreiungsschläge gegen den "Erfolgsautor" Fritsch und die Aufnahme seines Romans, die kritische Elemente in bester österreichischer Manier gerne ausgeblendet hatte.

Moos auf den Steinen, so sieht man heute, enthält - wohl dezenter als spätere Werke, aber nicht minder präzise - kritische Reflexionen sowohl über die dunkle Vergangenheit und unehrliche Gegenwart des Landes als auch über das Selbstverständnis und die Probleme des Autors. Da gibt es das Schloss, das durch die sinnlose Gegenwehr der SS schwer beschädigt wurde, und die Schlosserbin, die von diesen mit Verwundeten allein gelassen unter den anrückenden Russen schwer zu leiden hatte. Es gibt den einstmals erfolgreichen jüdischen Schriftsteller Lichtblau, der seit der Arisierung des Ullstein-Verlags in der Erfolglosigkeit verkümmert und nun, aus dem Exil zurückgekehrt, im "Heimatland des Antisemitismus", wie es im Roman heißt, den Beschimpfungen von Passanten auf offener Straße ebenso ausgesetzt ist wie den Repressalien seiner Vermieterin, die gemütlich in einer arisierten Wohnung sitzt. Und schließlich gibt es die beiden so gegensätzlichen jungen Schriftsteller, die um das Wohlwollen der Schlosserbin rittern und die sich fast wie ein ambivalentes Doppelporträt lesen. Sie scheitern immer wieder an ihren moralischen bzw. literarischen Ansprüchen und sie kämpfen angestrengt und erfolglos um ihren Platz im Leben. Die Literatur ist dabei ihre große Hoffnung, allerdings eine, die bald an ihre Grenzen stößt.

"Wahrscheinlich ist das ganze Schreiben nur eine Mangelerscheinung, ein elegischer, lendenlahmer Versuch, das Leben wenigstens so zu bewältigen, wenn man schon nicht anders damit fertig wird", heißt es im Roman. Dieser Satz, so unbequem er ist, beschreibt auch die Rolle des Schreibens im Leben des Autors Gerhard Fritsch. Moralinsauer und verantwortungsbewusst hat Fritsch sich radikale Befreiungsschläge im eigenen Leben immer verboten: "Man darf nicht leben, wie man will", schreibt er sich selbst ins Tagebuch. So war ihm Literatur immer auch Auseinandersetzung mit nicht gelebtem Leben und Ventil für unbewältigte eigene Bedürfnisse. Seine Tagebücher erzählen eindrucksvoll, wie sehr Fritsch im Alltags-, Familien-, Berufs-und Sexualleben ständig versuchte, den eigenen und gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen, und damit immer wieder scheiterte. Drei Ehen, ein letztlich unbedanktes Aufreiben im Literaturbetrieb und das stete Leiden an eigenen Neigungen zum Transvestismus zeugen von den alltäglichen Schwierigkeiten, denen sich der Autor ausgesetzt sah.

"Nicht leben, wie man will"

Die Bilanz dieses schwierigen Schriftstellerlebens ist noch nicht gezogen. Sein Roman Fasching, zu Lebzeiten weitgehend verrissen, ging als einer der ersten radikalen Texte zur verlogenen gesellschaftlichen Situation im Österreich vor der Waldheim-Debatte in die Literaturgeschichte ein. Eine breitere Rezeption im Hinblick auf Gender-und Körperdiskurse steht noch aus. Das Romanfragment Katzenmusik, kürzlich bei Suhrkamp wieder aufgelegt, wird wohlwollend besprochen und verspricht in dieser Hinsicht einiges. Insgesamt ist es um Fritsch in letzter Zeit wieder lauter geworden. Die Wienbibliothek im Rathaus zeigte eine Ausstellung aus dem Nachlass und ein bei Sonderzahl erschienener Band mit wissenschaftlichen Beiträgen und Auszügen aus den Tagebüchern des Autors zeigt, wie viel nicht nur an Material, sondern auch in den Romanen und Gedichten des Autors noch ans Tageslicht zu heben ist.

Der Autor arbeitet an einer Dissertation über Gerhard Fritsch.

Buchtipp:

Gerhard Fritsch. Schriftsteller in Österreich. Hg. von Stefan Alker und Andreas Brandtner. Sonderzahl Verlag, Wien 2005, 268 S., kart., e 19,80

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