Sternstunde in Reichenau

Werbung
Werbung
Werbung

Werfels "Jacobowsky und der Oberst" eröffnet neuen Spielraum.

Auf die Wände ist historisches Bild- und Filmmaterial projiziert, inmitten des neuen Spielraums, von allen Seiten den Blicken der Zuschauer ausgesetzt, agieren die Schauspieler. Zur Eröffnung des neuen Reichenauer Spielraums steht Franz Werfels "Jacobowsky und der Oberst" auf dem Programm, ein Stück, dem man leicht - wäre nicht der Autor über jeden Verdacht dieser Art erhaben - Verharmlosung einer grauenvollen Zeit vorwerfen könnte.

Werfels eigene Flucht durch das 1940 von Nazi-Deutschland besetzte Frankreich schlug sich im Lourdes-Roman "Das Lied von Bernadette" und in diesem Drama nieder, das eine Hymne an Lebensbejahung trotz katastrophaler Umstände darstellt. Zwei völlig ungleiche Charaktere, der intellektuelle jüdische Überlebenskünstler Jacobowsky und der katholisch-antisemitische polnische Offizier und Frauenheld Stjerbinsky, schlagen sich mit wachsender Achtung voreinander abenteuerlich per Auto von Paris bis zur Küste durch. Werfels Anliegen der Versöhnung von Katholizismus und Judentum machen zwei zwischendurch auf einem Tandem auftauchende symbolische Figuren - der Ewige Jude und der Heilige Franziskus - augenfällig.

In Maria Happels leichtfüßiger Inszenierung, zu der Peter Loidolt (Bühne, Projektionen) und Erika Navas (Kostüme) die passende Ausstattung beisteuern, gerät das Werk wirklich zur "Komödie einer Tragödie". Peter Mati´c erweist sich als Idealbesetzung. Sein Jacobowsky, dem er unverwüstlichen Charme und Lebenswillen gibt, wird als eine der größten Rollen seines Lebens in die Theatergeschichte eingehen. Ihm stehen kongenial der gekonnt Gefühlsschwankungen, aber auch einen menschlichen Lernprozess signalisierende Joseph Lorenz als Oberst, Mercedes Echerer als dessen reizende Braut und französische Patriotin und Urs Hefti als Offiziersdiener zur Seite. Auch das übrige Ensemble, in dem viele Akteure zumindest zwei Rollen spielen, weist keinen Schwachpunkt auf.

Dem Premierenpublikum wurde zunehmend bewusst, dass es einer Theatersternstunde beiwohnte, und es überschüttete die Mitwirkenden am Ende mit lang anhaltendem Beifall. In der Kathedrale des Kritikerherzens wird immer eine Kerze für diese Aufführung brennen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung