Streben nach der Utopie

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„The Dust of Time“: In seinem jüngsten zweistündigen Film-Tableau erzählt Griechenlands Regie-Ikone Theo Angelopoulos die Nachkriegsgeschichte der Verwirrung einer griechischen Familie – ein Traum wie als Metapher für ein ganzes Lebensgefühl.

Nach „Die Erde weint“ ist „Dust of Time“ der zweite Teil einer geplanten Trilogie von Theo Angelopoulos, der 75-jährigen Regie-Ikone des griechischen Kinos. Ein Gespräch.

Die Furche: Sie verknüpfen in „Dust of Time“ die persönliche Geschichte eines Mannes mit der Geschichte des gesamten 20. Jahrhunderts. Wie weit sind darin autobiografische Züge enthalten?

Theo Angelopoulos: Ich kann mich nur auf meine eigene Geschichte beziehen. Meine Familie war eine normale bürgerliche Familie, die vom Bürgerkrieg zerrissen wurde. Es gab Verhaftungen, Exil, Abschiede, verlorene und wiedergefundene Menschen: So verlief die Geschichte der meisten Menschen in Griechenland während des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Nach dem Krieg emigrierten viele, manche verließen das Land aus politischen Gründen oder um Arbeit in Deutschland zu finden. Zurück blieben leere Dörfer, verbarrikadierte Häuser, großes Chaos. Griechenland war nie ruhig, und diese Geschichte beeinflusst unsere Leben.

Die Furche: In der Schlüsselszene des Films gibt es das Bild des Engels auf dem Boden, der seine Hand nach einem dritten Flügel ausstreckt. Auf wen bezieht sich diese dritte Schwinge?

Angelopoulos: Auf Jacob, er ist der alte Idealist, der Deutschland verlassen hat, um dem KZ zu entkommen, und der nach Russland ging, ins sozialistische Paradies, wie er glaubte – und dort wurde er brutal enttäuscht. Alles, woran dieser Mann geglaubt hat, wurde zerstört. Er ist der, der sich nach der dritten Schwinge streckt, nach dem Unmöglichen, nach der Utopie, denn das ist es, was der dritte Flügel symbolisiert.

Die Furche: Der Film ist unglaublich vielsprachig, vor allem wird amerikanisches Englisch gesprochen, ein wenig Russisch, Italienisch, Deutsch. War das eine Schwierigkeit?

Angelopoulos: Für all diese Sprachen ist der Grund ganz natürlich: A. ist ein griechischer Amerikaner, er kommt aus den USA. Zwar wurde er in Sibirien geboren, aber er ist in Brooklyn aufgewachsen. Dann trifft er seine Mutter nach 30 Jahren wieder: Das ist eine seltsame Szene, im Nebel, und der Sohn sieht älter als die Mutter aus. Er befindet sich in seiner eigenen Gegenwart, alles andere sind Einbildung, Träume, Vorstellungen von der Zukunft, die auch die Zukunft des Films ist, den er dreht.

Die Furche: Wie haben Sie das Ihrem Schauspieler Willem Dafoe erklärt?

Angelopoulos: Wenn man am Set einem Schauspieler sagt: „Du musst dieses und jenes sagen, das muss sehr emotional sein, und dann möchte ich, dass du weinst“ – in diesem Moment definiert man die Figur. Das ist, als wäre man Gott, der entscheidet, wer weint, wer glaubt, wer hofft. Das ist eine seltsame Macht, denn tatsächlich ist es ja umgekehrt: Während man glaubt, die Macht zu haben, wird man selbst dominiert. Natürlich kann man auch viel simpler arbeiten, aber für mich fühlt sich das Drehen wie das wahre Leben an, und mein Leben außerhalb des Films ist die Vorbereitung auf den Film. Ich fühle mich sehr vom Glück begünstigt, dass ich Kino machen kann.

Die Furche: Musik spielt eine besondere Rolle in „Dust of Time“. Wie gehen Sie damit um?

Angelopoulos: Ich arbeite seit 1982 mit Eleni Karaindrou, das ist eine sehr lange Zeit. In meinen ersten Filmen wollte ich gar keine Musik haben. Wenn ich mir als junger Mann einen Film von John Ford angesehen habe, hielt ich mir immer die Ohren zu, weil ich nur die Bilder sehen wollte! Damals gab es in meinen Filmen auf der Tonspur gar keine Musik, nur Geräusche. Aber irgendwann kam Karaindrou und brachte mir ihre Musik. Das war für den Film „Die Reise nach Kythera“.

Die Furche: Die Musik, auch wenn sie von Eleni Karaindrou ist, fußt aber auf – alten – Vorbildern. Wie ist diese Musik bei „The Dust of Time“ entstanden?

Angelopoulos: Eine Zeitlang hörte ich mir jeden Tag in der Früh nach dem Aufwachen das Konzert für zwei Mandolinen von Vivaldi an, ohne zu wissen warum. Als wirdieses Drehbuch schrieben, kam da wieder ein Regisseur vor, der auch immer morgens dieselbe Musik hört. Ich wollte aber nicht Vivaldi haben, also sagte ich Eleni: „Ich brauche ein Concerto Grosso, wie von Vivaldi!“ Sie sagte mir, „Ich will die Geschichte dazu hören.“ Ich sagte ihr, sie solle das Drehbuch lesen, aber sie beharrte darauf, dass ich ihr die Geschichte erzählen würde. Sie nahm mich dabei mit dem Kasettenrecorder auf, und dann ging sie heim und hörte sich das, was ich ihr erzählt hatte, sich immer wieder und wieder über die Lautsprecher an, setzte sich ans Klavier, stellte sich die Szenen vor, und komponierte dazu. So arbeiten wir zusammen, nach 27 Jahren. Eleni ist mein musikalisches Alter Ego.

* Das Gespräch führte Magdalena Miedl

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