Streik und Demokratie

Werbung
Werbung
Werbung

Anmerkungen zu österreichischen Entwicklungen jenseits von Konsens- & Konfliktdemokratie und runden Tischen.

Eben haben wir gelernt, den Streik als Ausdruck endlich erreichter europäischer Normalität zu lieben, haben wir begriffen, dass es mit "sozialpartnerschaftlicher Ästhetik" (© Robert Menasse) und dröger Konsensdemokratie endgültig aus und vorbei ist - da kommt man uns nun wieder mit einem "Runden Tisch", jener Einrichtung also, die schlechterdings als Inbegriff des Konsensualen gelten kann.

Woran soll man sich eigentlich noch halten, fragt sich der verunsicherte Zeitgenosse. Da registriert man - im Sinne einer Art Selbstvergewisserung - dankbar, dass wenigstens die grundlegenden Mechanismen der Republik aller sonstigen Unbill zum Trotz wie eh und je intakt sind: "Jetzt muss Klestil Frieden stiften!" fordert die Krone auf Seite 1, präzisiert im Blattinneren unter dem Titel "Klestil muss ein Machtwort sprechen!" - und tags darauf schon stiftet und spricht der Bundespräsident, wie Hans Dichand von nichts als der Sorge um das Gemeinwohl getrieben...

Repolitisierung

Versuchen wir es, schwierig genug, dennoch ernsthaft! Bereits im Gefolge der "Wende" 1999/2000 schrieben viele Beobachter, auch der Autor dieser Zeilen, von einer "Chance zur Repolitisierung". Die Aufregung um die Regierungsbeteiligung der FPÖ sowie um die Reaktionen im In- und Ausland würden, so die damalige Hoffnung, eine Sensibilisierung für das Politische, eine zivilgesellschaftliche Qualifizierung des öffentlichen Raumes bewirken. Das hat, zumindest ansatzweise, funktioniert. Der politische Diskurs hat an Dynamik gewonnen. Eine - von manchen freilich freudig als Klärung der Standpunkte begrüßte - Schattenseite der Entwicklungen war indes die Repolarisierung der politischen Landschaft, die Aufteilung in zwei einander gegenüberstehende "Lager". Doch seit dem 24. November sind - dem erneuten Zusammengehen von ÖVP und FPÖ zum Trotz - diese verfestigten Strukturen deutlich erkennbar im Begriff sich aufzuweichen, wie Schwarz und Grün oder auch Rot und Blau zeigen. Gewiss, man wird das alles, tagespolitisch gesehen, nicht überbewerten - aber man sollte diese Verflüssigungen aus demokratiepolitischer Perspektive dennoch nicht zu gering veranschlagen.

Und nun also der Streik als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. "Generalstreik lähmt Frankreich. Protest gegen Pensionsreform", verkündet etwa der ORF-Teletext. Wenn das konfliktdemokratische Normalität ist, dann sind wir davon meilenweit entfernt. Aber ein Schritt in diese Richtung ist es zweifellos. Die Frage ist freilich, ob die Richtung stimmt. Es kann ja gut sein, dass der ÖGB seine Protestmaßnahmen schon aus Gründen der Selbstachtung setzen musste. Der Aufregung darüber haftet jedenfalls etwas Gekünsteltes an, man wird dem Streik die Legitimität nicht absprechen können. Aber es wird auf lange Sicht zu wenig sein - nicht zuletzt auch für die Gewerkschaften.

Parolen von Gestern

Einfach deshalb, weil die dem Streik zu Grunde liegende Idee der Frontstellung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern so nicht mehr stimmt. Weil das auch längst Sozialdemokraten - beileibe nicht nur Tony Blair - erkannt haben, und weil deshalb die Linien hier quer durch die Parteien laufen. Deswegen wird es vorrangige Aufgabe der Gewerkschaftsführungen sein, zu überlegen, wie eine Arbeitnehmervertretung zwischen Sich-zu-Tode-streicheln-Lassen und Kampfparolen von Gestern aussehen könnte.

Wichtiger aber noch wäre die Forcierung einer erst zaghaft erkennbaren Entwicklung: der Stärkung des Parlamentarismus. Entschieden wird im Parlament, heißt es dieser Tage vielfach seitens der Regierung. Gut - doch dazu braucht es selbstbewusste, auch in Eigenständigkeit gegenüber der Regierung handelnde Mandatare. Dann kann das Parlament tatsächlich der Ort der Demokratie sein, dann wären wir tatsächlich in der "Normalität" angelangt.

rudolf.mitloehner@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung