Streitbar und mutig: Bischof des Übergangs

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Kardinal Miloslav Vlk: Der am Samstag verstorbene Prager Alterzbischof war eine prägende Gestalt des europäischen Katholizismus nach 1989.

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Kardinal Miloslav Vlk: Der am Samstag verstorbene Prager Alterzbischof war eine prägende Gestalt des europäischen Katholizismus nach 1989.

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Am Samstag, dem 18. März wurde am Erzbischöflichen Palais auf dem Hradschin die schwarze Fahne ausgehängt. Miloslav Vlk, von 1991 bis 2010 Erzbischof von Prag und Primas von Böhmen, von 1991 bis 1993 Vorsitzender der Tschechoslowakischen und von 1993 bis 2000 der Tschechischen Bischofskonferenz sowie von 1993 bis 2001 Vorsitzender des Rats der europäischen Bischofskonferenzen, ist heimgegangen zum "schönsten König, zu Jesus am Kreuz", wie die letzten von ihm kolportierten Worte lauten.

Geboren wurde der "Wolf", so die Übersetzung seines Namens, am 17. Mai 1932 in einfachen Verhältnissen in Südböhmen. Sein Weg zum Priestertum war steinig. Nach der Matura verdingte er sich als Arbeiter und leistete den Grundwehrdienst, von 1955 bis 1960 studierte er an der Prager Karlsuniversität Archivwesen und wirkte danach als Archivar. 32-jährig trat er in das Priesterseminar in Leitmeritz ein und wurde im "Prager Frühling" am 23. Juni 1968 zum Priester geweiht. Sein Weihespender, der Budweiser Bischof Josef Hlouch, ernannte Vlk zu seinem Sekretär, doch allzu bald ereilte ihn die "Normalisierung" - ab 1971 wurde Vlk in Landpfarren hin-und hergeschoben und 1978 wurde ihm die Ausübung des Priesteramts überhaupt verboten. In Prag durfte er Fenster putzen und sich als Archivar der Staatsbank über Wasser halten.

Verlorene Jahre waren es freilich nicht: In den Landpfarren und als Seelsorger im Prager Untergrund lernte Vlk die Bedürfnisse der Menschen kennen und widmete sich intensiv dem Studium von Fremdsprachen. Wegweisend war für ihn die Einbindung in die Fokolare-Bewegung, die schon vor der Samtenen Revolution ein Netz über den Eisernen Vorhang gespannt hatte. Und wie der Prager Theologe und Soziologe Tomá s Halík in einem Nachruf festhält, gehörte Vlk auch zu jenen Dissidenten, die den betagten Prager Erzbischof Kardinal Franti sek Tomásek schließlich bewogen, für die "Samtene Revolution" Partei zu ergreifen. In diesen Kreisen kam Vlk auch mit nicht kirchlich gebundenen Reformern wie Václav Havel in Berührung.

Ein idealer Bischof

Ein Mann mit solcher Qualifikation war prädestiniert für das Bischofsamt, und keine drei Monate nach der Wende ernannte Papst Johannes Paul II. Miloslav Vlk zum Bischof seiner Heimatdiözese Budweis. Mitkonsekranten bei der Bischofsweihe am 30. März 1990 waren aus Österreich die Bischöfe Maximilian Aichern und Franz Z ak, aus Deutschland Franz Xaver Eder und aus der Slowakei Ján Sokol. Vlks Wahlspruch war das Motto der Focolarini: Ut unum sint - auf dass alle eins seien. In kürzester Zeit erwies sich der neue Hirte als fähiger Organisator und schon am 27. März 1991 folgte die Berufung nach Prag. Die Herausforderungen waren gewaltig und an mehreren Fronten gleichzeitig zu bestehen.

Die Erwartungen der Dissidenten auf ein Wiedererstarken der Kirche erfüllten sich nicht. Der überalterte Klerus war teils in die innere Emigration gegangen, teils durch Kollaboration kompromittiert. Die Untergrundkirche wiederum setzte sich aus Gläubigen zusammen, die an den überkommenen kirchlichen Strukturen festhielten, und aus solchen, die eigene Wege einschlugen und im Extremfall Verheiratete und Frauen zu Priestern weihten. Erzbischof Vlk, 1994 zum Kardinal ernannt, brachte, pointiert gesagt, die "Kirche des Schweigens" zum Schweigen. Verheiratete Priester konn-

ten als sogenannte Biritualisten in die griechisch-katholische Kirche übertreten, verheiratete Bischöfe und Priesterinnen hingegen hatten das Nachsehen.

Wolf gegen Wolf

Erst nach langem Tauziehen, aber doch erfolgreich war Vlk im Kampf gegen den konservativen Dekan der Prager katholisch-theologischen Fakultät Václav Wolf, der sich aus der Zeit des Kommunismus herübergerettet hatte. Der Sieg des Großkanzlers gegen den Dekan -"Wolf" gegen Wolf sozusagen -bedeutete einen Durchbruch zur Theologie des Zweiten Vatikanums. Einen geradezu verzweifelten Versuch, die Katholiken zusammenzuhalten, stellte die "Plenarversammlung der katholischen Kirche" dar. Totenstille begleitete die Predigt des wortmächtigen Kardinals bei der Eröffnung der ersten Hauptsession im Jahr 2003 in Velehrad.

Der breiten Öffentlichkeit Tschechiens blieben freilich andere Aspekte von Miloslav Vlks Wirken in Erinnerung. Der erste ist ohne Zweifel sein Kampf um die Rückgabe der von den Kommunisten enteigneten Güter. Während die traditionell antiklerikale Bevölkerung darin nichts anderes als katholische Habsucht erblickt, handelte es sich für den Kardinal um eine Frage der Gerechtigkeit. Warnungen vor einem dauernden Imageschaden, die nicht zuletzt aus der ehemaligen "Ecclesia Silentii" erhoben wurden, schlug Vlk in den Wind.

Ebenfalls von breiten Bevölkerungsschichten nicht goutiert wurde Vlks Eintreten für die Aussöhnung mit den vertriebenen Deutschen, ein Schicksal, das der Primas mit Präsident Havel teilte. Auf keinen nennenswerten Widerstand trafen hingegen seine Bemühungen um eine Neubewertung von Jan Hus. Dass Papst Johannes Paul II. die guten Absichten des Reformators würdigte, war ein epochales Ereignis, mit dem der Kardinal in die Geschichte der Ökumene eingegangen ist.

Im Unruhestand

Als Miloslav Vlk im Jahr 2010 seine Ämter zurücklegte -Papst Benedikt XVI. hatte ihm über die 75-Jahr-Grenze hinaus drei zusätzliche Jahre als Erzbischof gewährt -, verstummte der stets Hellwache trotz zeitweise auftretender gesundheitlicher Schwächungen nicht. Das Verhältnis zu seinem nicht minder selbstbewussten und streitbaren Nachfolger Dominik Duka lässt sich mit beider Umgang mit dem Internet illustrieren: Als Vlk in Pension ging, dachte er nicht daran seine Homepage www.kardinal.cz seinem Nachfolger zu überlassen; dieser legte sich umgehend eine mit der Adresse www.dominikduka.cz zu.

Der Alterzbischof musste oder durfte mit ansehen, wie es seinem Nachfolger gelang, den endlosen Konflikt um den Besitz des Veitsdoms geradezu handstreichartig zu lösen, indem er diesen dem Staat überließ, und -in Ausnützung einer günstigen Konstellation in der Regierung -auch die übrige Restitutionsfrage zu klären und das Verhältnis von Staat und Kirche dauerhaft neu zu ordnen.

Starke Beachtung fand Vlks Engagement für den abgesetzten Erzbischof von Trnava in der Slowakei, Robert Bezák, der unter anderem das Geschäftsgebaren seines Vorgängers Ján Sokol, also von Vlks Mitkonsekrator, durchleuchten wollte. Vlk vermittelte 2015 ein Gespräch Bezáks mit Papst Franziskus, was dem Vorsitzenden der Slowakischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislav Zvolensk´y, die Bemerkung abrang, Vlk habe ihm "eine geschmiert". Als sich ein Jahr lang nichts bewegte, erinnerte Vlk den Papst im April 2016 noch einmal an den "Dauerbrenner". Danach befragt, was er Franziskus konkret über Bezák gesagt habe, antwortete Vlk, "dass doch das Jahr der Barmherzigkeit ist und das auch gegenüber diesem Bischof zu zeigen wäre".

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