Arthur Millers Stück "Hexenjagd", das gegenwärtig in der Inszenierung von Martin Kusej am Wiener Burgtheater zu sehen ist, wurde in seiner über 60 Jahre währenden Rezeptionsgeschichte immer wieder als das Stück der Stunde apostrophiert, weil es leicht als Parabel jeweiliger Gesellschaftsentwicklungen zu lesen war.
In der Tat ist eine Analogie zwischen Millers Porträt einer puritanischen Gesellschaft im ausgehenden 17. Jahrhundert und dem Amerika, in welchem die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse für unamerikanische Umtriebe unter dem Senator Joseph McCarthy Anfang der 1950er Jahre zu einer hysterischen Kommunistenhatz geführt haben, leicht zu sehen. Und die hatte Miller im Blick, als das Stück 1953 uraufgeführt wurde. Nicht weniger augenfällig kann es heute als Spiegel des gesellschaftlichen Sittenbildes gelesen werden. Im Hexenprozess, der im dritten Akt Zentrum und Höhepunkt des Stückes bildet, beginnen Mädchen, die zuvor bei einem eigentlich harmlosen Teenager-Ritus im Wald beobachtet wurden, um ihre Haut zu retten, wahllos arglose Mitbürger als Zauberer und Hexen anzuschwärzen. Eindrücklich zeigt das Well-Made-Play, wie unter bestimmten Umständen mittels Kompromittierung, Denunziation, Manipulationen und Lügen auf einmal Selbstverständlichkeiten zerbröseln, Mit-Menschlichkeit sich auflöst, einfache Wahrheiten die Oberhand gewinnen, Vernunft nicht mehr greift. Es zeigt, was mit Menschen passiert, die durch Missgunst und Neid Systemen ausgeliefert sind, wie schnell noch die abstrusesten Verdachtsmomente, gar offensichtliche Unwahrheiten mehrheitsfähig werden können.
Sehr genau, unendlich langsam
Wer wollte, ja müsste da nicht eine Parallele sehen - in einer Zeit der Wutbürger und Demagogen, der Wahlkämpfe von Präsidentschaftsanwärtern aus populistisch zu nennenden Parteien mit einfachen, eingängigen, meist das Ressentiment bedienenden Slogans, wo die Diffamierung des politisch Andersdenkenden die argumentative Auseinandersetzung ersetzt, einer Zeit der Fake-News-Epidemien, wo Troll-Heere Nachrichten schlicht erfinden, einer Zeit, in der nichts mehr geschrieben werden kann, was die Leute nicht glauben, einer Zeit, in der Extreme an die Macht drängen etc.? Das Theater hat die Kraft, das zu zeigen.
Kusejs in der Figurenzeichnung sehr genaue, unendlich langsame Inszenierung gibt dem Text so viel Raum, dass die ungeheuerlichen Sätze, die da gesagt werden, ihre Bedeutung und Muster, alle Zeit haben, ins Bewusstsein der Zuhörer zu schießen, und diese über ihre Aktualität eigentlich erschrecken müssten.
Hexenjagd
Burgtheater 9., 14. Jänner, 3., 18., 21. Februar