Stürmische (Familien-)Geschichte

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Mit "Immer noch Sturm“ hat Peter Handke nicht erstmals aber am explizisten biografische Bezüge in ein Werk aufgenommen - Ein erschöpftes Publikum dankte dem gerührten Dichter

Dimiter Gotscheffs Theaterarbeiten bestehen aus Raum, Körper und Text. Mehr braucht der Altmeister der epischen Inszenierungsform nicht, um ein Theaterereignis zu erschaffen. Mit seinem Hamburger Schauspielensemble hat der bulgarische Theaterregisseur nun die lang ersehnte und bereits im Vorfeld viel diskutierte Uraufführung von Peter Handkes Roman "Immer noch Sturm“ in Salzburg auf die Perner-Insel gebracht.

In dem hochpoetischem Text über den vergessenen Widerstandskampf der Kärntner Partisanen, verbinden sich Religion, Politik und Philosophie zu einem Oratorium, in dem die Möglichkeit des Erinnerns und der Erlösung als Chiffren eingeschrieben sind. Einem Benjamin’schen Engel der Geschichte gleich blickt der Ich-Erzähler dabei in eine Vergangenheit, die in Trümmern auf ihn herabfällt und wird, statt den Toten beistehen zu können, durch den Sturm der Geschichte unaufhörlich weiter in die Zukunft getrieben. "Immer noch Sturm“ ist nicht Handkes erstes Werk mit biografischem Bezug, es enthält aber trotz der fiktiven Handlung, die explizitesten Verweise auf seine Familiengeschichte.

Gleich zu Beginn lässt auf der leeren Bühne unaufhörlicher Blätterregen (Bühnenbild Katrin Brack) das Jaunfeld in Kärnten erstehen, auf dem ein junger Mann mit Sonnenbrille (Jens Harzer), der an den rebellischen Handke der 60er-Jahre erinnert, seiner Vorfahren gedenkt. Und schon tauchen sie auf, die Großeltern, die Onkel, die Tante und die Mutter, alle viel jünger als er selbst und ganz und gar nicht erfreut, vom Ich-Erzähler schon wieder herbeizitiert zu werden. Wie bei einer Familienaufstellung stehen sie auf der Bühne, halten immer wieder im Spiel inne und beginnen, ihre Geschichten zu erzählen. Geschichten, die eng mit dem Schicksal der Kärntner Slowenen seit dem Zweiten Weltkrieg verbunden sind.

Schmerz und Trauer liegen über der Familie

Während die drei Brüder seiner Mutter (Oda Thormeyer), der Apfelbauer Gregor (Tilo Werner), der Älteste unter den Geschwistern, Valentin (Hans Löw), ein unbekümmerter Frauenschwarm, und der stille Benjamin (Heiko Raulin) in die Wehrmacht eingezogen werden, bleiben die Großeltern (Gabriela Maria Schmeide und Matthias Leja) mit ihren beiden Töchtern zurück. Den zahlreichen Briefen der Söhne aus dem Krieg, folgt bald die Nachricht vom Tod Benjamins. Noch einmal versammelt sich die Familie daraufhin im Garten unter den Apfelbäumen, mit dabei bereits der Ich-Erzähler als Säugling, ein Schandfleck aus der kurzen Beziehung der Mutter mit einem norddeutschen Reichskommandanten. Die Schmäh- und Hasstiraden des Großvaters gegen sie und ihr Kind treiben diese aus dem Haus. Die zweite Tochter Ursula (Bibiana Beglau), die sich den Widerstandskämpfern angeschlossen hat, geht gemeinsam mit Gregor in die Kärntner Wälder. Nur Valentin hat sich mit dem Nazi-Regime arrangiert, kehrt an die Front zurück und hofft insgeheim auf ein besseres Leben im Westen. Auch er wird kurze Zeit später im Krieg fallen, ebenso wie Ursula, die wie der Großteil der Kärntner Partisanen getötet wird. Trotzdem werden die Großeltern ihren ältesten Sohn nach drei Todesnachrichten, die sie verbittert und fluchend vor Leid aufnehmen, zurück in den Widerstand schicken. In ihrem Haus ist kein Platz mehr für Liebe und Tragödie, nur der Schmerz und die Trauer können die Kriegswirren überstehen und werden sich nach der Rückkehr Gregors wie ein Schatten über die weitere Familiengeschichte legen.

Gotscheff überlässt seine Schauspieler zu Beginn ganz der epischen Textvorlage, die erst nach und nach in ein dialogisches Spiel übergeht. Die poetische Sprachenvielfalt des Romans integriert er virtuos in das Stück, mühelos wechselt der Text vom Slowenischen ins Englische, vom Hochdeutschen zu Dialektausdrücken. Im Zusammenspiel von Stimme, Körper und Musik gelingen die eindringlichsten Szenen.

Scheitern im Versuch, andere zu erreichen

Zu diesen gehört, wenn etwa das Lachen Thormeyers in eine gelachte Deutschlandliedparodie übergeht oder der verzweifelte Aufschrei der Großmutter nach den Todesnachrichten sich zum schmerzerfüllten Leonhard-Cohen-Hit "The Partisan“ verdichtet. Mitten in diesem Sturm der Zeit- und Erinnerungsebenen steht der Ich-Erzähler, der verzweifelt versucht, eine Verbindung zu seinen Verwandten herzustellen, dessen Berührungsversuche, Umarmungen und Handreichungen immer wieder ins Leere laufen. Groteske Szenen, berührende Momente, großartige Sprachkaskaden bietet dieser Theaterabend sowie eine ausgezeichnete Ensembleleistung, aus der Harzers und Schmeides Können hervorstechen.

Der Schluss stellt das Publikum nach über vier Stunden Bühnenspiel aber noch auf eine harte Geduldsprobe, in einem wirren Endlosmonolog werden nochmals Erinnerungen des Ich-Erzählers wachgerufen, einzig die Stimme Harzers, krächzend, heiser und stockend, vermag diesen pathetischen Abgesang zu brechen und die Zuschauer noch ein letztes Mal zu fesseln. Tosender Applaus für Schauspieler, Regisseur und einem sichtlich gerührten Peter Handke.

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