Sturm auf dem Hradschin

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Prag erinnert sich seiner großen Vergangenheit als Weinstadt und ist am besten Weg, wieder eine solche zu werden. Noch gilt es viel aufzuholen, denn während des Kommunismus gab es mehrere Jahrzehnte lang gar keinen Weinanbau. Heute präsentieren sich tschechische Winzer voller Stolz auf Weinmessen in Brüssel, London und San Francisco.

Zuerst die Backstuben, dann die Blumenhandlungen und schließlich die Weinboutiquen: An diesen Geschäftstypen konnte man in den 20 Jahren seit der Wende die wirtschaftliche Entwicklung in der Tschechoslowakei bzw. in Tschechien ablesen. Denn diese drei hatte es zur Zeit des Kommunismus so gut wie nicht gegeben.

Am auffallendsten dabei war das Vordringen der Weinboutiquen. Der Weinkonsum und auch der heimische Weinbau waren in den Jahren der „Normalisierung“ nach 1968 zwar gefördert worden, doch die Qualität hatte zu wünschen übriggelassen und in den Regalen der Supermärkte hatte man kaum die Wahl zwischen verschiedenen Sorten. Jetzt aber ist es zum Statussymbol geworden, Gästen edlen Wein zu kredenzen, und in der Hauptstadt trägt die ständige Anwesenheit einer Community ausländischer Weinkenner dazu bei, die Ansprüche höherzuschrauben.

Betrat man freilich eine der durchgestylten neuen Weinhandlungen und fragte man das elegant gekleidete Personal nach tschechischen Weinen, so wurde man bis vor Kurzem mit etwas indigniertem Gesichtsausdruck zu einem abgelegenen Regal geführt und dort seinem Schicksal überlassen. Mit aufdringlichen Plakaten und belehrenden Fernsehsendungen beworben wurden ja die teuren französischen Weine und vom Eigenbau hielt man wenig.

Doch auch das ändert sich nun rasch. Tschechische Winzer präsentieren sich auf Weinmessen in Brüssel, London und San Francisco und in der Kommission zur Kür des heurigen „Winzers des Jahres“ befand sich auch Annemarie Foidl, die Präsidentin des Österreichischen Sommelierverbandes. Österreichs Weinbauern haben natürlich einen besonderen Grund, die Entwicklung im nördlichen Nachbarland aufmerksam zu verfolgen. Denn das mit Abstand größte Weinbaugebiet der Tschechischen Republik schließt nahtlos an jenes im österreichischen Weinviertel an.

Ein bei Muschau (MuÇsov) ausgegrabenes Winzermesser belegt, dass die Römer den Weinbau nicht nur nach Österreich, sondern auch an ihre Vorposten in Südmähren weitervermittelt haben. Und durch die Jahrhunderte zieht sich die Konkurrenz zwischen mährischen und niederösterreichischen Weinen auf den Märkten von Wien und Brünn, wo abwechselnd Einfuhrverbote für die jeweils anderen Weine gefordert wurden.

Als im 19. Jahrhundert die Zollgrenzen zu Ungarn fielen, kam für die Weinbauern in den böhmischen Ländern ein weiterer Konkurrent hinzu, was dem eigenen Weinbau zusammen mit der Reblausplage und dem Vordringen des Biers infolge der Industrialisierung beinahe den Todesstoß versetzte. In Ungarn wurde nämlich billiger produziert und auch die Transportkosten differierten nicht erheblich, befanden sich große Weinbaugebiete doch im damaligen Oberungarn, der heutigen Slowakei, nicht zuletzt übrigens im heutigen Stadtgebiet von Pressburg – weshalb es nicht angebracht ist, Wien als einzige Großstadt mit nennenswertem Weinbau anzupreisen.

Straßen erinnern an goldene Zeiten

Verzeihlich ist es hingegen, wenn Prag als Weinstadt und Böhmen als Weinland im Ausland in Vergessenheit geraten ist, denn deren goldenes Zeitalter liegt weit zurück. Wie in vielen anderen Bereichen gab auch hier den entscheidenden Anstoß der römische Kaiser und böhmische König Karl IV. In seiner resoluten Art dekretierte er den Beginn des Weinbaus innerhalb von 14 Tagen nach Erlass seines Edikts und sah in seiner Weinbauordnung von 1358 für die Beschädigung von Weingärten talibanische Strafen vor: Handabhacken bei Ertappung in der Nacht, Hinrichtung bei Ertappung tagsüber. Natürlich durfte auch bei seiner Burg Karlstein ein Weingarten nicht fehlen, er spendet bis heute einen lieblichen Wein. In einer Weingartenordnung von 1526 hieß es, Prag stehe und falle mit seinen 700 Hektar Weingärten, die einer großen Anzahl von Menschen Arbeitsplätze verschafften. Seinen Höhepunkt erreichte der böhmische Weinbau schließlich unter Rudolf II.

An die große Zeit des Prager Weinbaus erinnern heute noch rund 130 Straßen- und Flurnamen, darunter rund 30 explizit. Straßenbenennungen eines ganzen Stadtviertels nordwestlich des Hradschins nach Rieden und Winzerhöfen im Jahr 1929 belegen, dass das historische Bewusstsein nie geschwunden ist. Die dortige „Hanspaulka“ ist einer der deutschen Namen, die sich im Zusammenhang mit dem Weinbau erhalten haben, denn viele Weingärten einst in Prag und im Gebiet von Leitmeritz (LitomÇeÇrice) an der Elbe wurden bis 1945 von Deutschen bewirtschaftet.

„Víno“ ist eines jener slawischen Wörter, die jede Touristin und jeder Tourist aus nichtslawischen Gefilden auch ohne Zuhilfenahme eines Wörterbuchs versteht. Vinice für Weingarten ist zumindest den Grazern in der germanisierten Form Weinitzen geläufig. Vinohrady wiederum fällt bei genauerem Betrachten des Prager Stadtplans als der Stadtteil hinter dem Nationalmuseum ins Auge. Hier in den „Königlichen Weinbergen“, wie die bis zum Ende der Monarchie selbständige Stadtgemeinde auf Deutsch hieß, hat sich die Erinnerung an Prag als Weinstadt am stärksten erhalten. Der steile Weingarten bei der soeben glanzvoll renovierten Villa „Groebovka“ bietet zwar keine schöne Fernsicht, doch im luftigen Altan etwas unterhalb ist gut sitzen und ein Gläschen des aus hiesigen Trauben gekelterten dunkelroten „Dornfelders“ trinken. In dem prächtigen Jugendstilbau des „Divadlo na Vinohradech“ wurde nach der Uraufführung in Wien Oskar Nedbals Operette „Die Weinlese“ (Vinobraní) erstmals in der Heimat des Komponisten aufgeführt, ihr Libretto ist allerdings in Kroatien angesiedelt.

Weinbau entlang der Elbe

Die größten Weinbaugebiete Böhmens befinden sich an der tiefsten und sonnigsten Stelle des Landes entlang der Elbe. Direkt gegenüber der Mündung der Moldau, in MÇelník, betreibt heute neben anderen honorigen Winzern auch die Familie Lobkowicz wieder Weinbau; ihre Bocksbeutelflaschen kann man mit etwas Glück auch in Prager Supermärkten entdecken. Und MÇelník ist mit seiner vinologischen Kaderschmiede für die Winzer in Tschechien das, was Klosterneuburg für jene in Österreich bedeutet.

Der Weinbau in MÇelník wird bis auf die heilige Ludmilla zurückgeführt, die Großmutter des heiligen Wenzel, der in Böhmen dem heiligen Urban als Patron der Winzer zur Seite steht. Eine Wenzelsstatue auf einer von gemeißeltem Weinlaub umrankten Säule schmiegt sich an die Kreuzherrenkirche beim Ausgang der Prager Altstadt zur Karlsbrücke hin, und auf der anderen Seite der Moldau erkennt man am Ausläufer des Burghügels den neu angelegten Sankt-Wenzels-Weingarten, in dem am vergangenen Wochenende erstmals ein Sturm (burÇcák) gemacht wurde, wie die Managerin der zum Restaurant mutierten „Villa Richter“ bereitwillig mitteilt. Zugeknöpft hingegen verhielt sich das Pressezentrum des Papstbesuchs, das nicht verraten wollte, welchen Wein Benedikt XVI. beim Gottesdienst am Wenzelstag, dem 28. September, in Altbunzlau (Stará Boleslav) konsekriert hat. War es Wein aus Böhmen, so war es gewiss keine schlechte Wahl.

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