Sturmwarnung in Birma?

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"Der Umgang mit Minderheiten entscheidet: Bringt die Zukunft einen föderalistischen Staat oder weitere ethnische Konflikte? “

Zyklon Nargis, der Birma Anfang Mai 2008 heimgesucht hat, verwüstete das Irrawaddy Delta: Überreste von ganzen Dörfern waren im Schlamm versunken, bedeckt von angeschwemmten Pflanzen und vermodernden Blättern. Bäume waren umgefallen oder blattlos bis in die Kronen, das Treibgut vom Wind und Wasser in den Ästen gefangen. Vereinzelt mühten sich Menschen ab, einfache Hütten aus Bambusstangen und Palmenblättern aufzustellen.

So präsentierte sich die Flusslandschaft als ich in einem kleinen Kahn mit einigen Birmanen einer lokalen Hilfsorganisation auf einem der zahllosen Wasserwege fuhr, um in entlegenen Dörfern Hilfsgüter zu verteilen und den weiteren Bedarf zu erheben.

Heimat für über hundert Völker

140.000 Menschen starben, 450.000 Häuser und 5 Millionen Hektar Reisfelder wurden zerstört. Ohne Rücksicht auf die Nöte der Überlebenden - physisch und psychisch am Ende ihrer Kräfte, obdachlos, viele oft ohne Wasser und Nahrung - führte die Regierung während der Katastrophe ein Referendum über eine neue Verfassung durch. Eine Verfassung, die nicht demokratisch ist und den Vorrang der Armee festschreibt.

Das größte Problem des birmanischen Staates wurde darin nicht zufriedenstellend geregelt: Das Land ist Heimat für über 100 verschiedene Völker, die unterschiedliche Regionen besiedeln, eigenständige Kulturen und Sprachen pflegen und unterschiedlichen Religionen anhängen. Die Diskriminierung dieser Völker und die Vorherrschaft der Ethnisch-Birmanen in der Armee und der Regierung führten nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948 zu bewaffneten Aufständen von großen Teilen der Minderheiten. Beides, Diskriminierung und Aufstände, dauern bis heute an.

Vier Jahre nach der verheerendsten Katastrophe des Landes ist nun wieder von einem Wetterumschwung die Rede - diesmal von einem politischen. Mit einer von niemandem erwarteten Geschwindigkeit hat die neue, quasi-demokratische Regierung überraschende Schritte Richtung Demokratie gesetzt: Politische Gefangene und die Friedensnobelpreisträgerin Daw Aung San Suu Kyi wurde freigelassen. Sie durfte mit ihrer Partei an Zwischenwahlen teilnehmen. Exil-Birmanen wurden zur Rückkehr eingeladen, die Medienzensur gelockert, Demonstrationen erlaubt. Wirtschaftsreformen öffnen das Land für ausländische Firmen.

Von einer echten politischen "Wetterwende“ zu sprechen, wäre aber falsch: Grundlegende institutionelle Änderungen, die stattfinden müssten, damit sich die Gesellschaft als "demokratisch“ bezeichnen kann, sucht man vergebens. Das komplexe Problem der aufständischen Minderheiten wird lediglich mit Waffenstillständen angegangen. Diese Abkommen zwischen Kriegsführern leiten keine institutionelle Änderungen ein und berücksichtigen Anliegen der Zivilbevölkerung nicht. Ein von den Volksgruppen geforderter, politischer Dialog, der zu einem föderalistischen Staat führt und Gleichheit und Selbstbestimmtheit für ethnische Gruppen garantiert, findet nicht statt.

Nach wie vor Menschenrechtsverletzungen

Der Kampf gegen die Kachin, eine überwiegend christliche Minderheit, die ein großes, ressourcenreiches Gebiet besiedelt, wurde sogar intensiviert. Internationale Organisationen dokumentieren massive Menschenrechtsverletzungen. Die Zivilbevölkerung wird verfolgt: Durch die Nicht-Registrierung von Parteien wird die Teilhabe am politischen Prozess verhindert. Wirtschaftliche Interessen von regierungsnahen oder chinesischen Firmen führen zu Zwangsumsiedlungen und Enteignungen. Eine historisch wichtige Kirche wurde geplündert und die Archive verbrannt. Hilfsorganisationen wird der Zugang zu den geschätzten 75.000 Kachin, die aus den Konfliktzonen geflohen sind, verweigert. Soldaten entführen, misshandeln und ermorden Frauen immer noch ungestraft. Obwohl der Präsident, der ehemalige General U Thein Sein, die Armee explizit angewiesen hat, sich nur defensiv zu verhalten, setzt sie die Angriffe fort.

Doch diese Lage wird außerhalb Birmas selten wahrgenommen. Das Bild von Daw Aung San Suu Kyi überstrahlt alles. Die Friedensnobelpreisträgerin, traditionell-elegant gekleidet, mit frischen Blumen in den Haaren, spricht tadellos Englisch und ist eine moralische Autorität. Bei ihrer diesjährigen Auslandsreise wurde sie von Medien und vielen westlichen Regierungen gefeiert, durfte zahllose Ehrungen und Preise entgegennehmen. Von den ethnisch-birmanischen Buddhisten in ihrer Heimat wird sie ohnehin nahezu angebetet. Dass sie Missstände nicht mehr so deutlich anprangert und eine neue Verfassung nicht so hartnäckig fordert, wird von wenigen bemerkt - oder damit erklärt, dass eine Dissidentin einen Konfrontationskurs nehmen kann, eine Politikerin jedoch pragmatisch sein muss.

Die internationale Staatengemeinschaft hat nun, auch wegen erhoffter wirtschaftlicher Vorteile, Entwicklungshilfe im größeren Umfang versprochen und die jahrelangen wirtschaftlichen Sanktionen gelockert. Dass Bürgerkrieg und Menschenrechtsverletzungen sich fortsetzen und dass der Reformprozess noch lange nicht unumkehrbar ist, wird übersehen oder verdrängt.

Buddhistische Tugend des Wohlwollens

Die Lage in Birma ist höchst widersprüchlich. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass in der birmanischen Mehrheit der Bevölkerung die Tendenzen zu nationalistisch-buddhistischem Chauvinismus - jetzt so schmerzlich sichtbar in der Auseinandersetzung mit den Muslimen - nachlassen wird. Als leitendes Prinzip für ein demokratisches Staatswesen könnte die buddhistische Tugend des "Wohlwollens“ für alle Lebewesen dienen, die ich selbst zuletzt während der Nargis-Katastrophe erleben durfte: Bei der Rückfahrt wurde es finster, ein heftiger Sturm brach herein, der niederpeitschende Regen durchnässte uns in unserem offenen Boot bis auf die Haut. Das Aufschimmern einer kleinen Flamme in der Dunkelheit zog uns ans Ufer. Ein junges Ehepaar bot uns Unterschlupf für die Nacht an. Wir wateten knietief im Lehm die Uferböschung hoch und wuschen unsere Füße am Eingang ihrer gerade wieder aufgebauten Hütte aus Bambus und geflochtenen Matten. Das Paar gab uns trockene Kleidung, Teile einer Spende. In der Obhut dieser Familie, die selbst in den besten Zeiten ein hartes und entbehrungsreiches Leben haben wird, waren wir sicher.

* Die Autorin studierte Ethnologie und befasst sich seit 40 Jahren mit Birma.

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